LGBTI-Aktivisten am Dienstag vor dem Supreme Court. Dutzende von ihnen wurden später bei der Auflösung einer Straßenblockade durch die Polizei festgenommen (Bild: GLAAD / twitter)
Schützt ein landesweites Gesetz gegen Diskriminierung in den USA auch Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentät? Diese von Gerichten und Regierungen bislang unterschiedlich beantwortete Frage wird in einigen Monaten wohl vom höchsten Gericht der USA in einem Grundsatzurteil entschieden.
Der Supreme Court hatte im Frühjahr angekündigt, dazu drei Fälle aus Vorinstanzen aufzunehmen. Konkret geht es erstens um die Entlassung des Fallschirmsprunglehrers Donald Zarda aus der Nähe von New York, der 2010 von seinem Arbeitgeber wegen seiner Homosexualität gefeuert worden war (queer.de berichtete). Zweitens wird der Fall eines Sozialarbeiters aus Georgia behandelt, der von der Bezirksregierung mit Verweis auf seine Homosexualität entlassen wurde. Drittens geht es um die Bestatterin Aimee Stephens aus Michigan, die von ihrem christlichen Arbeitgeber 2013 gefeuert wurde, weil sie eine Geschlechtsanpassung durchführen ließ (queer.de berichtete).
Einige Bundesstaaten oder Kommunen verbieten ausdrücklich Diskriminierung von LGBTI, aber eine entsprechende bundesweite Regelung fand bislang aufgrund des Widerstands der Republikaner nie eine Mehrheit. Die Richter müssen jetzt darüber befinden, ob der Civil Rights Act aus dem Jahr 1964 – das bahnbrechende Bürgerrechtsgesetz, das unter anderem die Rassentrennung in den Südstaaten beendete – auch Homo- und Transsexuelle schützt. Unter anderem beim Diskriminierungsschutz im Arbeitsrecht enthält das Gesetz neben dem Merkmal Rasse auch das Merkmal Geschlecht. Die Anwälte der homo- und transsexuellen Kläger argumentieren, dass es sich in den vorliegenden Fällen um Geschlechterdiskriminierung handelt. Eine entsprechende Rechtsauffassung hatten in den letzten Jahren mehrere Gerichte entwickelt und war auch vom Justizministerium unter dem früheren Präsidenten Barack Obama vertreten worden.
Sorge vor neuer konservativer Mehrheit
LGBTI-Aktivisten zeigten sich vor der Anhörung am Dienstag besorgt, da das es im eigentlich als Motor für Liberalisierung geltenden Gericht, das 2015 mit fünf zu vier Stimmen die Ehe geöffnet hatte, durch die Ernennung von Neil Gorsuch und Brett Kavanaugh unter Präsident Donald Trump eine konservative 5:4-Mehrheit gibt. Beide Richter gelten als Gegner von LGBTI-Rechten, die stattdessen möglichst weitreichende Rechte für Gläubige vertreten. So wird auch befürchtet, dass es in den nächsten Jahren zu Einschränkungen beim Recht auf Abtreibung kommen könnte.
Aus der zweistündigen Verhandlung vom Dienstag hieß es seitens der Beobachter, dass die üblicherweise liberalen Richter wohl für einen Diskriminierungsschutz sind, während die konservativen Richter in ihren Fragestellungen Bedenken erkennen ließen. Eine Schlüsselrolle spielt offenbar Gorsuch: Während Kavanaugh kaum Fragen stellte, meinte der andere Neurichter, dass das Merkmal Geschlecht in den vorgelegten Fällen wohl durchaus eine zusätzliche Rolle gespielt haben könnte. Zugleich fragte er, wie weit man sich in der Interpretation von Gesetzen vom Originaltext entfernen könne und ob man nicht Entscheidungen, die zu einem "massiven sozialen Umbruch" führen könnten, nicht der Regierung überlassen sollte.
Noel Francisco, als Solicitor General oberster Anwalt der US-Regierung, bejahte diese Frage – und erinnerte daran, dass ein bundesweiter Diskriminierungsschutz für Homo- und Transsexuelle beinahe jährlich keine Mehrheit im Parlament finde. Die Trump-Regierung hatte schon im schriftlichen Verfahren betont, dass Kündigungen aufgrund von Homo- oder Transsexualität legitim seien (queer.de berichtete).
Francisco meinte in der Verhandlung auch, dass ein entsprechender Diskriminierungsschutz zum Aufenthalt von Männern in Frauentoiletten führen könnte. Der konservative Oberste Richter John Roberts, von dem sich viele Beobachter in der neuen Aufgabe einen kompromissbereiten Schwenk in die Mitte wünschten, hatte die Toiletten-Frage mehrfach aufgeworfen. Das derzeit politisch und vor Gerichten bekämpfte Recht von Transpersonen, an Schulen oder Universitäten die zu ihrem selbstbestimmten Geschlecht passenden Toiletten aufzusuchen, hängt von einer verwandten Gesetzespassage und ebenfalls dem Merkmal "Geschlecht" ab.
Der Supreme Court müsste mit mindestens fünf zu vier Stimmen entscheiden, dass das Bundesgesetz Homo- und Transsexuelle vor Diskriminierung schützt. Ansonsten wären womöglich noch jahrzehntelang rund die Hälfte der US-Bürger aufgrund mangelnder örtlicher Regelungen ausdrücklich nicht vor entsprechender Diskriminierung geschützt und könnten etwa schutzlos gefeuert werden. Ein Urteil dürfte erst in einigen Monaten folgen – und Auswirkungen auch auf andere Rechtsfragen haben, etwa zum Umgang von Schulen mit transsexuellen Schülern oder um aus Glaubensgründen verweigerte Dienstleistungen wie Hochzeitskuchen gegenüber homosexuellen Paaren. Entsprechende Fragen gehen derzeit durch die Instanzen. Auch Gesundheits, Adoptions- und Vermietungsleistungen könnten unter anderem betroffen sein.
Demokratische Präsidentschaftsbewerber stellten sich am Dienstag in sozialen Netzwerken und bei Twitter hinter die LGBTI-Community. "Niemand sollte in Angst leben, gefeuert zu werden wegen dem, was er ist oder wen er liebt", meinte etwa Favorit Joe Biden. "Wir müssen uns den unerbittlichen Angriffen von Präsident Trump auf LGBTQ-Rechte stellen und den Kampf für die volle Gleichstellung fortsetzen – denn jeder Amerikaner verdient es, offen, stolz und frei zu leben." (nb)