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Kaczynski-Partei vor Wiederwahl
Homophobie ist zentrales Thema im polnischen Wahlkampf
Die Regierungspartei, die rechtsradikale Opposition, das Staatsfernsehen und die katholische Kirche machen Stimmung gegen Homosexuelle, um die Polen für die Parlamentswahl am Sonntag an die Urnen zu locken.

PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski wird wohl als Sieger der Parlamentswahl am Sonntag hervorgehen (Bild: Screenshot TVP1)
11. Oktober 2019, 15:14h 4 Min. Von
Der Wahlkampf in Polen wird in diesem Jahr bestimmt vom Thema Homosexualität. Insbesondere die Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) von Parteichef Jaroslaw Kaczynski versucht lautstark, ihre Abneigung gegenüber Schwulen und Lesben in Stimmen zu verwandeln. Die Rechtspopulisten versuchen außerdem, ihre Wählerschaft durch soziale Wohltaten an sich zu binden. Das scheint in der Bevölkerung anzukommen – eine erneute Mandatsmehrheit der PiS-Partei bei der Parlamentswahl am Sonntag gilt als wahrscheinlich.
Die homophobe Rhetorik fällt auf fruchtbaren Boden, da die Mehrheit der polnischen Bevölkerung, insbesondere in ländlichen Gebieten, äußerst homophob eingestellt ist. Laut einer aktuellen Umfrage sprechen sich etwa rund zwei Drittel der Polen gegen die Anerkennung von homosexuellen Partnerschaften aus.
Poland, CBOS poll: Legal option for same-sex partnerships Support: 35% Oppose: 65% (excludes 15% don't know/refuse to…
Gepostet von Europe Elects am Mittwoch, 9. Oktober 2019
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Im Wahlkampf ließ Kaczynski – der zwar kein Regierungsamt inne hat, aber dennoch als Parteichef im Hintergrund die Fäden zieht – kaum eine Möglichkeit aus, gegen Homo- oder Transsexuelle zu hetzen. So erklärte er etwa, dass er am liebsten CSDs wieder verbieten würde, daran aber von der Europäischen Union gehindert werde (queer.de berichtete). Der 70-Jährige betonte außerdem gebetsmühlenartig, dass "eine Familie aus Mann und Frau und ihren Kindern besteht". Erst am letzten Wochenende meinte er: "Wenn wir normale Beziehungen haben wollen, und nicht zwei Väter und zwei Mütter, dann müssen wir die Wahl gewinnen" (queer.de berichtete). Außerdem bilde der Katholizismus das Zentrum der polnischen Identität.
Die katholische Kirche in Polen bedankte sich für diese Vorlage, indem sie praktisch Wahlkampf für die Rechtspopulisten machte und ebenfalls die Minderwertigkeit von Homosexuellen betonte. Der Krakauer Erzbischof Marek Jedraszewski warnte etwa mit Blick auf sexuelle und geschlechtliche Minderheiten vor einer "Regenbogen-Pest" (queer.de berichtete). Bischof Miroslaw Milewski sprach von "kranker LGBT-Ideologie" (queer.de berichtete). Zudem veröffentlichte die katholische Bischofskonferenz ein Schreiben, in der die Kirche an die Regierung appellierte, an der Diskriminierung von LGBTI festzuhalten (queer.de berichtete).
Bereits im Frühjahr hatte die Bischofskonferenz davor gewarnt, dass Homosexuelle der "europäischen Zivilisation" fremd seien und "eine Gefahr für die Zukunft unseres Kontinents" darstellten (queer.de berichtete).

Erzbischof Marek Jedraszewski macht praktisch Wahlkampf für die Kaczynski-Partei
Ähnlichkeiten mit US-Wahlkampf 2004
Die LGBTI-feindliche Kampagne der PiS-Regierung, die sich auf den christlichen Glauben beruft, erinnert an den US-Präsidentschaftswahlkampf 2004, bei dem Präsident George W. Bush und seine Republikanische Partei ebenfalls die Homophobie-Karte zogen. Die US-Konservativen sprachen sich damals dafür aus, in der Bundesverfassung die homosexuelle Ehe ausdrücklich zu verbieten. In vielen Bundesstaaten wurde außerdem zeitgleich zur Präsidentenwahl Volksentscheide über ein Verbot der Ehen in den Regionalverfassungen angesetzt, wodurch besonders Homo-Hasser an die Urnen gelockt wurden. Bei den Volksentscheiden stimmten zwischen 57 Prozent (Oregon) und 86 Prozent (Mississippi) für ein Ehe-Verbot für Schwule und Lesben – Bush konnte sich dadurch die Wiederwahl sichern.
In Polen sprachen sich in den letzten Monaten viele Städte, Gemeinden und Regionen mit PiS-Mehrheit in Resolutionen gegen die angeblich um sich greifende "LGBT-Ideologie" aus. Die PiS-Partei hat zudem den Vorteil, das öffentlich-rechtliche Fernsehen zu kontrollieren. Die Partei hat TVP in den letzten Jahren praktisch zu einer Propaganda-Maschine umgebaut.
So wurde am Donnerstag, also drei Tage vor der Wahl, zwischen den Hauptnachrichten und einem Fußballspiel der polnischen Nationalmannschaft im Kanal TVP1 die Dokumentation "Inwazja" (Invasion) gezeigt. Darin begleiteten "Journalisten" des Staatssenders LGBTI-Aktivisten zu CSDs und stellen sie als gefährliche Personen dar, die sich über Religion lustig machten und Kindern Pornografie zeigten. Ohnehin sei das Ziel von LGBTI-Aktivisten, Minderjährige zu verführen. Das mit Spionagetechniken arbeitende TV-Team war im September aufgeflogen (queer.de berichtete). Die "Kampagne gegen Homophobie" wies die Vorwürfe der Sendung, zu der man nicht direkt befragt wurde, als Angstmacherei zurück und rief zu einer "Invasion an der Wahlurne" auf.

Der polnische Staatssender versucht, Homosexualität mit Kindesmissbrauch in Verbindung zu bringen (Bild: Screenshot TVP1)
Die LGBTI-freundliche Opposition kann dem höchst professionell organisierten Wahlkampf der PiS allerdings kaum etwas entgegensetzen. Eine Parteienkoalition unter Führung der konservativen Bürgerplattform, die etwa in Warschau die Erwähnung von Homosexualität im Sexualkundeunterricht durchgesetzt hat, liegt rund 20 Prozentpunkte hinter der PiS-Partei. Die Partei "Frühling" des offen schwulen Politikers Robert Biedron tritt in einem Linksbündnis gemeinsam mit anderen sozialdemokratischen Parteien an – laut Umfragen kann diese Allianz allerdings nur mit zwölf Prozent rechnen.
Höchstens der Erfolg einer rechtsradikalen, noch homophoberen Splitterpartei könne laut dem Nachrichtenmagazin "Spiegel" die PiS-Mehrheit gefährden. Parteichef Janusz Korwin-Mikke, nachdem die "Korwin-Partei" benannt ist, versuchte sogar wiederholt, die PiS in Homophobie noch zu überbieten – mit teils absurden Aussagen. So griff er die Kaczynski-Partei als zu schwul an: "Sehr viele in der höchsten Führungsriege der PiS sind selbst Homos. Und die Schwulen kennen sich. Und sagen: Wenn ihr uns bekämpft, dann outen wir euch."
Twitter / beatazwie | Schriftstellerin Olga Tokarczuk, die diese Woche als Literatur-Nobelpreisträgerin bekannt gegeben wurde, setzt sich auf CSDs für die Anerkennung von Homosexuellen ein – und hofft, dass die Wähler weise entscheidenLast weekend #OlgaTokarczuk, today's @NobelPrize winner in literature, marched in Polish equality parade. She supported teachers' strike, women, etc. Today she dedicated her prize to the Poles who are "a few days before elections. Vote the right way – for democracy".#InwazjaLGBT pic.twitter.com/ukVkc0beSU
Beata Zwierzyska (@beatazwie) October 10, 2019
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