Nur die Ruhe bewahren: Aktivistin während der Festnahme (Bild: Youtube-Screenshot)
Die Moskauer Polizei hat am Freitag elf Personen nach einer Kundgebung vor dem Sitz der Vertretung Tschetscheniens beim russischen Präsidenten festgenommen und teilweise bis zum späten Abend auf einer Wache festgehalten. Der Protest fand anlässlich des Internationalen Coming-out-Tags statt, der jährlich am 11. Oktober begangen wird.
Die Aktivisten setzen nacheinander auf nach russischem Recht ohne Anmeldung erlaubte Einzelproteste und hielten dabei Schilder vor dem Eingang hoch, darunter "Das Töten von Homosexuellen in Tschetschenien ist unsere gemeinsame Tragödie! Eine faire Ermittlung ist unser gemeinsames Ziel", "Ich bin stolz auf meine Community, schäme mich für den Staat" und "In Tschetschenien werden Homosexuelle getötet und gefoltert. Wo bleiben die Strafermittlungen?"
Polizeibeamte beobachteten das Geschehen und überprüften Personalien, griffen aber zunächst nicht in die Kundgebung ein. Nach Ende des Protests und dem Eintreffen von Verstärkung wurden die Aktivisten – und offenbar zwei Störer der Kundgebung und einige Unbeteiligte – allerdings festgenommen, in einen Polizeibus gezerrt und zur Wache gebracht. Während bei der Festnahme offenbar teilweise das Gesetz gegen "Homo-Propaganda" als Grund angegeben wurde, lautete der Vorwurf letztlich auf Verstoß gegen das Versammlungsgesetz.
Verfolgter Tschetschene meldet sich zu Wort
Bewusst zum Internationalen Coming-out-Tag ging am Freitag in Russland zugleich ein Interview eines aus Tschetschenien geflohenen Schwulen viral. Gegenüber "Radio Svoboda" berichtete Amin Dzhabrailov darin ausführlich auf Russisch über seine Inhaftierung und Folter im Rahmen der Verfolgungswelle 2017.
Twitter / RFERL | Englische Zusammenfassung des Interviews von Radio Svoboda / Radio Free Europe
Der mit Hilfe des russischen LGBT Network nach Kanada geflüchtete 27-Jährige hatte im Sommer erste Interviews gegeben und berichtete in diesen Tagen auch gegenüber den amerikanischen Sendern ABC und CBS von seiner Tortur. Er ist der erste gebürtige Tschetschene, der sich nicht-anonym als Betroffener der Verfolgungswelle an die Öffentlichkeit wendet.
Im Frühjahr 2017 waren in Tschetschenien über hundert Männer wegen vermuteter Homosexualität von Sicherheitskräften verschleppt und in außergesetzlichen Lagern an der Seite von anderen Inhaftierten wie Drogensüchtigen gefoltert worden, einige von ihnen starben dabei. Nach internationaler Empörung wurde das mutmaßliche Hauptinhaftierungslager geräumt, später kam es aber immer wieder zu kleineren Verfolgungen, die auch vermutete Lesben oder Transsexuelle umfassten, zuletzt Anfang des Jahres (queer.de berichtete).
Bereits im Oktober 2017 hatte sich ein junges Opfer der Verfolgungswelle auf einer Pressekonferenz in Moskau an die Öffentlichkeit gewandt – der aus einem anderen Teil Russlands stammende Maxim Lapunow hatte in Grosny gearbeitet, als er verschleppt wurde (queer.de berichtete). Er stellte Strafanzeige und stellte sich der Staatsanwaltschaft als Zeuge zur Verfügung. Die zuständigen russischen Behörden verschleppten allerdings alle Ermittlungen zum Thema. Europarat und OSZE hatten eigene Untersuchungen zu den Verfolgungen angestellt und in den letzten Jahren Russland mehrfach aufgefordert, Hintergründe zu ermitteln, Verantwortliche zu bestrafen und das "Klima der Rechtlosigkeit" in der Region zu beenden (queer.de berichtete). Der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow streitet die Verfolgung weiter unter homofeindlicher Hetze ab (queer.de berichtete). (nb)
In meinem Land bringt man mich um / wofür, das wisst ihr selber/ In meinem Land ist man hinter mir her / erst bin ich dran, und dann ihr