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Der LGBTI-freundliche Premier muss nach vier Jahren im Amt um seine Mehrheit bangen. Gegner ist mit dem Konservativen Andrew Scheer ein Politiker, der einst für das Ehe-Verbot für Schwule und Lesben gekämpft hat.
Am nächsten Montag wird Kanada ein neues Parlament wählen – und es ist völlig offen, ob Premierminister Justin Trudeau weitermachen kann. Der 47-jährige Liberale hat sich zwar einen Namen als Kämpfer für Bürgerrechte und als vernünftige Alternative zum Präsidenten aus dem einzigen Nachbarstaat USA gemacht. Allerdings erschütterten mehrere Korruptionsskandale seine Regierung, bei denen er oft eine wenig professionelle Figur machte.
Trudeau hatte 2015 den Posten des Premierministers vom konservativen Vorgänger Stephen Harper übernommen, einem erklärten Gegner der Gleichbehandlung von Homosexuellen (queer.de berichtete). Ein Homo-Gegner könnte ihm nun das Amt des Regierungschefs im flächenmäßig zweitgrößten Land der Welt wieder streitig machen: Laut Umfragen liefern sich Trudeaus Liberale mit den Konservativen von Andrew Scheer ein Kopf-an-Kopf-Rennen.
Weil auch zwei kleinere Parteien – die linksgerichtete Neue Demokratische Partei (NDP auf Englisch, NPD auf Französisch) sowie die frankokanadischen Separatisten vom Bloc Québécois – laut Umfragen knapp ein Fünftel der Sitze im Unterhaus erobern werden, sind sowohl Liberale als auch Konservative von einer absoluten Mehrheit weit entfernt.
Beide kleinen Parteien stehen den Liberalen politisch näher als den Konservativen, allerdings lehnt der Bloc eine Koalition kategorisch ab, während sich die NDP offen zeigt. Die letzte kanadische Koalitionsregierung gab es zwischen 1864 und 1867, danach kam es allerdings immer wieder zu Minderheitsregierungen. Unter den sonstigen Parteien spielen außerdem nur die Grünen eine Rolle, die eventuell einige Sitze in Wahlkreisen im urbanen Vancouver gewinnen könnten.
Trudeau als Verfechter von LGBTI-Rechten
Trudeau hatte mit LGBTI-freundlicher Rhetorik vor vier Jahren queere Wählerstimmen eingesammelt – und auch danach gelieifert. So war der Sohn des langjährigen Premierministers Pierre Trudeau der erste Regierungschef, der an einem CSD teilnahm. Er ernannte zudem einen LGBTI-Sonderbeauftragen, entschuldigte sich als erster Premier für LGBTI-Verfolgung und stellte umgerechnet 65 Millionen Euro für die Entschädigung von Opfern der Verfolgung sexueller Minderheiten zur Verfügung. Auch einen längst vergessenen Paragrafen im Strafgesetzbuch, der Gruppensex mit Analverkehr verbietet, ließ Trudeau abschaffen. Außerdem ließ er die Nationalhymne ändern, so dass sie heute einen geschlechtergerechten Text enthält.
Sein Herausforderer ist der 40-jährige Andrew Scheer von der Konservativen Partei, der sich in der Vergangenheit als Gegner von LGBTI-Rechten profiliert hat. Diese Ablehnung ist seit August diesen Jahres Thema in den kanadischen Medien. Damals teilte Sicherheitsminister Ralph Goodale in sozialen Netzwerken eine Parlamentsrede von Scheer aus dem Jahr 2005, in dem sich der Konservative für das Ehe-Verbot für homosexuelle Paare aussprach. Damals stimmte das Parlament trotzdem für die Ehe für alle – Kanada war weltweit das vierte Land nach den Niederlanden, Belgien und Spanien, das Homosexuelle im Ehe-Recht gleichstellte.
Während dieser Debatte sagte Scheer, dass Homo-Paare zwar viele "Eigenschaften" der Ehe mit sich brächten, aber nicht "die wichtigste" – nämlich Kinder zu kriegen. Minister Goodale erklärte, dass der Konservative zuerst seinen "lebenslangen CSD-Boykott" beenden und sich für das Grundrecht auf Ehe aussprechen müsse, bevor er "Anführer aller Kanadier" werden könne.
Twitter / RalphGoodaleTo be a leader for all Canadians, the Conservative Party leader should now end his lifelong boycott of Pride events and explain whether he would still deny same-sex couples the right to marry, as he said in Parliament. pic.twitter.com/5WEyja6Ov5
Ralph Goodale (@RalphGoodale) August 22, 2019
Scheer, der öffentlich seinen katholischen Glauben zelebriert, hat sich für seine Forderung nach einem Ehe-Diskriminierung für Homo-Paare bislang nicht entschuldigt. Er sagte lediglich, dass das Thema in Kanada "juristisch geklärt" sei und er es bei seiner Wahl nicht wieder thematisiere werde. Die Liberalen warnen allerdings davor, dass eine Scheer-Regierung die Uhren beispielsweise beim Diskriminierungsschutz wieder zurückdrehen könnte.
NDP-Chef Jagmeet Singh schließt wegen Homophobie Koalition mit Torys aus
Dritter Premierminister-Kandidat in der Runde ist NDP-Chef Jagmeet Singh, der als indischstämmiger Sikh der erste nicht-weiße Chef einer großen kanadischen Bundespartei ist. Die Partei, die in der Vergangenheit immer wieder in Umfragen an die Liberalen herangerückt war, aber sie bislang nur einmal im Jahr 2011 überholen konnte, gilt als äußerst LGBTI-freundlich und weltoffen. Seine Partei ist – ähnlich wie die deutschen Grünen – besonders unter jungen Kanadiern beliebt. Singh reagierte auch entschieden auf die homofeindlichen Äußerungen von Tory-Chef Scheer und versprach, keine konservative Regierung zu tolerieren oder gar mit den Torys zu koalieren. "Wir haben kein Vertrauen in Herrn Scheer und seine Partei, sich für die Grundrechte der Kanadier einzusetzen", erklärte er im August nach der Veröffentlichung des Scheer-Videos zur Ehe für alle.
Liberale Parteistrategen fürchten jedoch, dass eine starke NDP zu einer konservativen Regierung führen könne. Sie spielen damit auf das Mehrheitswahlrecht an, bei dem ein Wahlkreis von einem Kandidaten gewonnen wird, der die meisten Stimmen erhält. Da NDP und Liberale um ähnliche Wählerschichten kämpfen, könnten sie die Stimmen teilen und dadurch einen Konservativen ins Unterhaus befördern. Bei den Wahlen 2015 reichten etwa in einem Wahlkreis 28,5 Prozent der Stimmen für den Sieg – eine Stichwahl ist nach kanadischem Recht nicht vorgesehen.
Bereits jetzt können Kanadier per Briefwahl oder ab Freitag in einigen Wahllokalen ihre Stimme abgeben. Am Montag bleiben dann die Wahllokale je nach Provinz bis 21.30 Uhr geöffnet. Erste Ergebnisse werden am frühen Dienstagmorgen erwartet.
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