Die Initiative "Stop Pedofilii" hat in diesem Sommer, unter anderem mit Infoständen bei CSD-Gegenveranstaltungen, angeblich über 260.000 Unterschriften für ihren Gesetzentwurf gesammelt. Sein Zweck sei "Schutz der Kinder gegen sexuelle Gewalt durch LGBT-Aktivisten und Verhinderung der sexuellen Promiskuität junger Menschen", heißt es dazu auf der Webseite
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Nur drei Tage nach der Parlamentswahl in Polen stimmt am Mittwoch der Sejm in alter Besetzung über einen Gesetzentwurf ab, der Sexualaufklärung praktisch unter Strafe stellen würde und weitreichende Folgen speziell für queere Jugendliche, letztlich aber auch für heterosexuelle Schüler, haben könnte. Offiziell wird der von einem ultrakatholischen Hassbündnis eingebrachte Entwurf mit einem Kampf gegen Pädophilie begründet.
Der Entwurf sieht vor, Paragraf 200b des Strafgesetzbuches zu ergänzen, der für die "öffentliche Werbung für oder Zustimmung zu Pädophilie" eine Geldstrafe oder Haft bis zu zwei Jahren vorsieht. Ein neuer Zusatzabschnitt stellt fest, dass die gleiche Strafe jemandem droht, der "Geschlechtsverkehr von Minderjährigen öffentlich propagiert oder empfiehlt". Minderjährige sind in diesem Fall Personen unter 18 Jahre, während in Polen ein Schutzalter von 15 Jahren gilt.
Zu einer Haftstrafe von drei Jahren soll es kommen, wenn die "Propagierung" des Geschlechtsverkehrs Minderjähriger im Rahmen von Massenkommunikation geschieht. Das gleiche Vergehen soll ebenfalls mit drei Jahren bestraft werden, wenn es in Räumlichkeiten einer Schule oder Bildungseinrichtung geschieht oder im Zusammenhang mit Berufsausübungen oder sonstiger Aktivitäten, die mit der Erziehung, Bildung, Behandlung oder Betreuung von Minderjährigen zu tun haben. In jenem Absatz geht es zudem um "Werbung oder Zustimmung" für "Geschlechtsverkehr oder anderer sexueller Aktivitäten" von Minderjährigen.
In der Begründung wird vor Sexualerziehern gewarnt, "die Kinder sexuell erwecken und Homosexualität, Masturbation und andere sexuelle Aktivitäten fördern". Auch heißt es, "Sexualerziehung, bei der Kinder sexuell stimuliert und an Homosexualität gewöhnt werden", sei ein "Mittel der LGBT-Lobby für politische Zwecke". Die Erziehung könne zu Pornosucht und einer "Zunahme sexuellen Verhaltens" führen, so die Gesetzesautoren, die beispielhaft Unterrichtseinheiten zu Verhütung und sexuellen Krankheiten ebenso als Gefahr darstellen wie welche zu Homophobie, Toleranz, Antidiskriminierung oder "Gender".
Kritiker führten schnell aus, dass das vage Gesetz nicht nur Lehrer und Sexualpädagogen für sinnvolle Aufklärung bestrafen könnte, sondern auch Ärzte oder Psychologen, wenn diese zur Verhütung raten oder Masturbation oder Homosexualität als normal beschreiben. Auch Journalisten, LGBTI-Aktivisten, Aids-Aufklärer und -Berater, Webseiten- oder Kinobetreiber oder TV-Produzenten könnten betroffen sein – und das sind nur die ersten Gedanken. Der Entwurf schaffe zugleich die absurde und gefährliche Situation, dass Teenager Sex haben, aber nicht darüber aufgeklärt werden dürfen.
PiS fordert fünf statt drei Jahre Haft
Der Gesetzentwurf stammt vom Bündnis "Stop Pedofilii", das in diesem Sommer CSD-Veranstaltungen mit einem Hass-Bus und "Info"-Ständen begleitete und auf seiner Webseite üble homo- und transphobe Hetze und Fehlinformation über Sexualaufklärung verbreitet. Geleitet von Mariusz Dzierzawski von der Anti-Abtreibungs-Organisation "Fundacja Pro" und unter Mitwirkung des ultrakatholischen Instituts "Ordo Iuris" ist das Projekt mit europäischen Homo-Hassern wie der "Demo für alle" in Deutschland vernetzt.
Mit Bussen wie diesen tauchte das Bündnis "Stop Pedofilii" in diesem Sommer bei Pride-Veranstaltungen im ganzen Land auf
Nichtsdestotrotz hatte die Regierung Anfang Oktober mitten in ihrem homophoben Wahlkampf angekündigt, den Entwurf in dieser Woche ins Parlament einzubringen. Im Rahmen der ersten Lesung am Dienstag deutete sich eine Zustimmung durch Abgeordnete der Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) an – obwohl das Verfassungsgericht in einer Stellungnahme zum Entwurf mitteilte, dass dieser gegen das Recht auf Bildung und Gesundheitsversorgung verstoßen könnte.
Der PiS-Abgeordnete Andrzej Matusiewicz lobte im Namen der Fraktion den Entwurf, da der bisherige Schutz von Kindern nicht ausreichend sei. Die neue Fassung schütze Kinder vor "psychologischer Gewalt" und bewahre das Recht der Eltern, Kinder "in Übereinstimmung mit ihrem Glauben zu erziehen". Matusiewicz forderte fünf statt drei Jahre Haft, da alles bis zu drei Jahre unter Bedingungen ausgesetzt werden könnte. Auch ein Abgeordneter von Kukiz'15 lobte den Entwurf; "intime Fragen" dürften nicht in Schulen diskutiert werden.
Oppositionsparteien kritisierten das Vorhaben deutlich. Arkadiusz Myrcha von der Bürgerplattform betonte, der Entwurf lasse keinen Zweifel aufkommen, "dass es um die Kriminalisierung der Sexualerziehung geht". Die Begründung sei mehr "Manifest" als Rechtfertigung, es mangele an Nachforschungen und Expertenmeinungen. Krzysztof Paszyk von der gemäßigt konservativen PSL beklagte, der Entwurf bestrafe Initiativen, die Kinder und Jugendliche ernsthaft aufklären wollten, und ignoriere stattdessen tatsächliche Bedrohungen.
Nicht Sexualaufklärung sei ein Problem, sondern ihr Fehlen, betonte auch die sozialdemokratische Abgeordnete Joanna Scheuring-Wielgus. Der PiS-Abgeordnete Piotr Kaleta wies die Kritik zurück, und bat die Abgeordnete zynisch-homophob, sie solle Robert Biedron grüßen. Der schwule Politiker war zur Wahl mit seiner Partei Wiosna (Frühling) ein linkes Bündnis mit den Sozialdemokraten und der Bewegung Razem (Gemeinsam) eingegangen.
Neues Parlament kann Entwurf aufnehmen
Die Debatte wurde am Dienstag vertagt und wird am Mittwochnachmittag in der letzten Sitzung der Legislaturperiode fortgesetzt. Zur Abstimmung könnte es zwischen 17.30 und 18 Uhr kommen. Findet der Entwurf eine Mehrheit, geht er zur weiteren Bearbeitung in die Ausschüsse und landet danach zu weiteren Lesungen im Parlament. Entwürfe von Bürgern unterliegen nicht der Diskontinuität – der neu zusammengesetzte Sejm mit seit der Wahl verstärkter PiS-Mehrheit kann die Arbeit am Entwurf im aktuellen Verfahrensstand fortsetzen.
In dutzenden polnischen Städten und selbst in London soll es am Mittwochnachmittag zeitgleich zur Abstimmung notdürftig organisierte Demonstrationen gegen das Vorhaben geben – letzte Info dazu bietet diese Facebook-Seite. Queere Medien und Organisationen haben zur regen Teilnahme aufgerufen. In sozialen Netzwerken wird zudem häufig ein Text des Polnischen Instituts für Sexologie geteilt: Die Experten warnen nicht nur vor unübersehbaren Konsequenzen für ganze Berufsgruppen, sondern vor allem vor Gefahren für Jugendliche: Nur eine ausgewogene Sexualerziehung senke die Wahrscheinlichkeit, Opfer oder Täter bei einem Sexualverbrechen zu werden.
Das von der Regierung in ihrem Sinne umgeformte öffentlich-rechtliche Fernsehen Polens betonte am Mittwoch hingegen, die Opposition und ihr nahestehende Medien verbreiteten "Fake News": Der Entwurf wolle nicht Sexualaufklärung bestrafen, sondern lediglich Pädophilie bekämpfen. (nb)
Update 19h: Gesetzentwurf nimmt erste Hürde
Das polnische Parlament hat am Mittwochnachmittag mit 243 zu 150 Stimmen bei 13 Enthaltungen gegen eine Ablehnung der Gesetzesinitiative von "Stop Pedofilii" gestimmt. Damit landet der Entwurf in den Ausschüssen und kann in der neuen Legislaturperiode weiterbearbeitet werden.
Vor dem Parlamentssitz in Warschau und dutzenden weiteren Städten hatten tausende Menschen gegen das Gesetzesvorhaben demonstriert. Der Hashtag #EdukacjaSeksualna wurde zum Top-Thema bei Twitter in Polen.