Björn Höcke am Samstag in Erfurt. Umfrage zufolge könnte seine Partei in Thüringen 20 bis 24 Prozent holen, nach 10,6 Prozent 2014 (Bild: Youtube-Screenshot)
Bei seinem letzten Auftritt vor der Landtagswahl in Thüringen an diesem Sonntag hat der rechtsextreme AfD-Politiker Björn Höcke am Samstag in Erfurt auch erneut Stimmung gegen eine LGBTI einbeziehende Schulaufklärung gemacht. "Wir beenden sofort die Früh- und Hypersexualisierung unserer Kinder. Wir sagen: Hände weg von den Seelen unserer Kinder", behauptete der Fraktionsvorsitzende unter Jubel der Menge zu praktisch erfundenen Vorwürfen und Hassbegriffen aus rechter und christlich-fundamentalistischer Ecke.
"Wir machen unsere Thüringer Schulen wieder zu Orten der Bildung", so Höcke weiter. "Die Ideologisierung der Thüringer Schulen wird sofort beendet werden – und den als beknackt zu bezeichnenden Gender-Gaga-Ansatz, liebe Freunde, den entsorgen wir auf dem Müllhaufen der Ideologie-Geschichte." Gegen Ende der Rede betonte er als einen seiner versprochenen "Kernpunkte": "Familie als Keimzelle des Staates – nicht verhandelbar."
Erst vor wenigen Wochen hatte die AfD einen Schaufenster-Antrag in den Landtag eingebracht, Sexualerziehung solle sich "an der Kernfamilie" – in der Begründung definiert als "Gemeinschaft von Vater, Mutter und ihren Kindern" – "als Leitbild des privaten Zusammenlebens" orientieren (queer.de berichtete). Wie in anderen Bundesländern hatte die AfD in Thüringen in den letzten Jahren die Aufnahme von Aufklärung über LGBTI im Bildungsplan und einen verabschiedeten Aktionsplan gegen Homo- und Transphobie mit einer Menge Fehlinformationen und Hetze bekämpft.
Von "Relativierung der natürlichen Vereinigung von Mann und Frau" und "ideologischen Experimenten an unseren Kindern" hatte Höcke etwa 2016 gesprochen (queer.de berichtete). Im letzten Jahr beklagte er, in Schulen werde "Homosexualität nicht nur als etwas Tolerierbares oder Notwendiges vermittelt", sondern "sogar als exklusiv, als erstrebenswert suggeriert" (queer.de berichtete). Dabei sei Homosexualität zu tolerieren, aber "auf der Grundlage unserer Rechtsnorm nicht zu akzeptieren". In seinen Wahlprüfsteinen zur Landtagswahl hatte der LSVD vor einem "Rollback" durch die Partei gewarnt.
Bundestag: AfD spielt LGBTI gegen Polizisten und Familien aus
Die homo- und transfeindliche Hetze ist in der AfD aber nicht nur Höcke vorbehalten, sondern scheint in letzter Zeit gezielt in allen Ecken der Partei zuzunehmen. In dieser Woche nutzte die AfD im Bundestag etwa eine Debatte zu einem völlig anderen Thema, um LGBTI-Rechte anzugreifen und dies zur Stimmungmache in sozialen Netzwerken zu nutzen. Zu einem Gesetzentwurf zur Modernisierung des Besoldungsrechts betonte die Abgeordnete und homo- und transfeindliche Aktivistin Beatrix von Storch: "Für andere ist natürlich Geld da. Zwischen 2007 und heute 600 Millionen Euro für Gender-Gaga, für 'Gender-Forschung', für LSBTTIQ-Projekte und diesen ganzen Nonsens. Gender-Gaga ist der Regierung 600 Millionen wert, aber die Bundespolizei nicht."
Die absurde Hetze hat dabei System: Die "Initiative Familienschutz" des Ehepares von Storch sammelt in diesen Wochen in einer Petition Unterschriften an Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD), Steuergelder für "überflüssige und schädliche Gender-Programme" zu streichen. "Ich habe kein Verständnis dafür, dass mein Steuergeld für diese weltfremde Gender-Ideologie ausgegeben wird. An anderer Stelle fehlt das Geld für Familien", heißt es darin. "Sparen Sie das Geld bei den Gender-Programmen ein und geben Sie es an die Familien zurück."
Die Anti-LSBTTIQ-Hetze von Storchs aus ihrer Bundestagsrede wurde allein bei Facebook tausendfach geteilt, etwa über 560 mal von der Seite der Bundestagsfraktion und 160 mal von der Seite der Politikerin
Das von der Initiative on- und offline verbreitete Faltblatt zu der Petition beklagt, Millionen würden "für ideologische Regenbogenprojekte mit sehr zweifelhaftem Sinn ausgeschüttet". "Mütter und Väter" zahlten "für Frühsexualisierung ihrer Kinder", "für Gender-Umerziehung an Schulen" oder "für Regenbogenpropaganda in ihrer Kommune". In einem Newsletter betonte Sven von Storch, man habe bereits 10.000 Flugblätter gegen "lebens- und familienfeindliche Ideologie" nachdrucken lassen, und forderte zur weiteren Verbreitung auf.
Aus dem Faltblatt der "Initiative Familienschutz"
Von Storchs Rede ist nicht die einzige homo- und transfeindliche in deutschen Parlamenten aus dieser Woche. So meinte im niedersächsischen Landtag der AfD-Abgeordnete Christopher Emden am Mittwoch in einer Debatte zu einem Antrag der FDP, das Merkmal "sexuelle Identität" in den Antidiskriminierungs-Schutz der Landesverfassung und des Grundgesetzes aufzunehmen, das könne dank der "Stilblüten im Bereich Gender" über die Stränge schlagen. Er erinnerte dabei an die 60 verschiedenen Geschlechter, mit denen man sich bei Facebook anmelden könne. Dabei schätzten sich vor Standesämtern "nur eine Handvoll" von Menschen als "divers" ein.
AfD stützt Homo-Hasser in Uganda und Polen
Am krassesten zeigte sich die homo- und transphobe Politik der AfD in dieser Woche allerdings im Europaparlament. So verweigerte die AfD am Donnerstag einer Resolution Unterstützung, mit der Pläne zur Einführung der Todesstrafe für Homosexuelle in Uganda verurteilt werden. Unter den vier Gegenstimmen war der deutsche AfD-Abgeordnete Maximiliam Krah, während sich die übrigen AfD-Abgeordneten, darunter der Parteivorsitzende Jörg Meuthen, enthielten und alle anderen anwesenden deutschen Abgeordneten für die Resolution stimmten (Quelle). Die Resolution wurde mit 521 Ja-Stimmen bei 110 Enthaltungen angenommen.
Bereits am Montag hatte das Parlament besorgt über Pläne in Polen diskutiert, Sexualaufklärung künftig de facto unter Strafe zu stellen. Die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) stützte in der letzten Woche in erster Lesung einen Gesetzentwurf, der von einer extrem homo- und transfeindlichen Initiative eingebracht wurde (queer.de berichtete). Diese betreibt auf ihrer Webseite kreuz.net-artige Hetze, begleitete die diesjährige polnische CSD-Saison (in der es mehrfach zu Ausschreitungen und Gewalt und gar verhinderten Anschlägen gegen LGBTI kam) mit einem Hass-Bus und Unterschriftentischen für den Gesetzentwurf, in dem vor Sexualerziehern gewarnt wird, "die Kinder sexuell erwecken und Homosexualität, Masturbation und andere sexuelle Aktivitäten fördern".
Die Initiative "Stop Pedofilii" mit einem Hassbus zur CSD-Saison. Geleitet von Mariusz Dzierzawski von der Anti-Abtreibungs-Organisation "Fundacja Pro" und unter Mitwirkung des ultrakatholischen Instituts "Ordo Iuris" ist das Projekt mit europäischen Homo-Hassern wie der "Demo für alle" in Deutschland vernetzt
Der Entwurf ist eine Art verschärftes Gesetz gegen Homo-"Propaganda", das auch Heterosexuelle betrifft und statt Bußgeldern wie in Russland Haftstrafen bis zu drei Jahren vorsieht. Bestraft würde die "Propagierung" von Geschlechtsverkehr von Unter-18-Jährigen, besonders in Massenmedien sowie durch Personen oder an Orten, die mit Jugendlichen zu tun haben. Teilweise wird bereits "Zustimmung" zum Geschlechtsverkehr bestraft. Das – vom Verfassungsgericht in einer Vorprüfung als ungesetzlich eingestufte – Gesetz könnte nicht nur Auswirkung auf Lehrer und Sexualpädagogen haben, sondern auch auf Ärzte, Berater, Aids-Aufklärer oder LGBTI-Aktivisten. Die meisten Redner der Debatte im EU-Parlament zeigten sich darüber besorgt – der Grünen-Abgeordnete Rasmus Andresen betonte etwa, die polnische Regierung schüre Angst und könne vor allem queeren Jugendlichen schaden. Es sei wichtig, Feministinnen und queeren Aktivistinnen und Aktivisten in Polen gegenüber Solidarität zu zeigen.
Die AfD-Abgeordnete Christine Anderson "beglückwunscht" in ihrer Rede hingegen die polnische Regierung, dass sie "den Schutz unserer Kinder ernst" nehme und sie vor einer "widerlichen linken, perversen Ideologie", einer "links-grünen Ekelideologie" schütze. Dazu verbreitete sie Horrormärchenlügen über Sexualkunde auch in Deutschland, mit der angeblich die natürliche Schamgrenze der Kinder vernichtet werden solle. "Dies aber öffnet den Pädophilen dieser Welt Tür und Tor." Es gehe nicht an, dass "man Kindern bereits im Grundschulalter jedwede Form von Geschlechtspraktiken von Analverkehr bis Oralverkehr beibringt und sie dazu ermuntert, es mit jedem zu treiben – egal wann, wie, wo und mit wem."

Unter der Überschrift "Polen kann auf Perversionen aus Brüssel verzichten" verbreitete die AfD einen Mitschnitt der Rede auch in sozialen Netzwerken. Die Politikerin aus Hessen betonte im Namen ihrer Fraktion "Identität und Demokratie", Abgeordnete sollten sich für die Debatte "schämen", die die polnische Regierung diskreditiere und in die Souveränität des Landes eingreife.
AfD rechnet Diskriminierung weg
Das Video von Andersons Rede verbreitete sich in sozialen Netzwerken ebenfalls hundertfach – genauso wie ein Redemitschnitt des AfD-Abgeordneten Nicolaus Fest, der die "Ehe für alle" einst als "Päderastie für alle" bezeichnet hatte (queer.de berichtete). Dieser meinte am Dienstag in einer Aussprache zur von Deutschland weiter blockierten Antidiskriminierungsrichtlinie, Homo- und Transsexuelle würden nicht mehr diskriminiert. Zur aktuellen Eurobarometer-Umfrage meinte er: "Zwei Prozent der Befragten fühlten sich wegen ihrer sexuellen Orientierung, ein Prozent wegen Transsexualität diskriminiert. Wissenschaftlich liegen Werte von ein bis zwei Prozent an der Grenze dessen, was man statistisch seriös feststellen kann. Entgegen allem Diskriminierungsgerede muss man daher feststellen: Sexuelle Diskriminierung war 2015 in Europa kein Thema mehr, und wer den Christopher Street Day oder die Love Parade je erlebt hat, wird dem zustimmen. Das ist eine großartige Entwicklung."
Fest bezieht sich in seiner Tunnel-Auswertung der ausführlichen Eurobarometer-Statistik freilich auf Prozentwerte bezüglich aller Befragten (rund 1.000 Menschen pro Land). Laut der Umfrage hatten sich nur zwei Prozent der Befragten überhaupt als Mitglied einer "sexuellen Minderheit" identifiziert. Die nach 2015 erneute Befragung zu LGBTI-Themen zeigte einige Fort-, aber auch Rückschritte (queer.de berichtete). Was Fest unter anderem verschweigt: EU-weit glauben noch 53 Prozent der Befragten, dass Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung weit verbreitet sei.
In Polen hatte die Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" in diesem Sommer ihren Kampf gegen LGBTI-Rechte und Schulaufklärung zu einem entscheidenden Wahlkampfthema gemacht und bei der Wahl sechs Prozent hinzugewonnen. Betrachtet man die Reden der letzten Tagen, scheint auch die AfD ihre Angriffe auf sexuelle Minderheiten zu verstärken.
Ein Wort in eigener Sache
Hinter gutem Journalismus stecken viel Zeit und harte Arbeit – doch allein aus den Werbeeinnahmen lässt sich ein Onlineportal wie queer.de nicht finanzieren. Mit einer Spende, u.a. per
Paypal oder Überweisung, kannst Du unsere wichtige Arbeit für die LGBTI-Community sichern und stärken.
Abonnent*innen bieten wir ein werbefreies Angebot.
Jetzt queer.de unterstützen!