Eine kanadische High School. Franky (Josh Wiggins), leicht abstehende Ohren, Grübchen, süßes Lächeln, und Ballas (Darren Mann), sportlicher, härtere Züge, sind beste Freunde. Sie trainieren im selben Schwimmteam, Ballas prahlt, wie oft er es letzte Nacht mit seiner Freundin Jess getrieben hat. Franky ist mit Priscilla zusammen, doch mehr als ein bisschen Knutschen ging bei den 16-Jährigen noch nicht.
Das soll sich an Frankys 17. Geburtstag ändern. Es wird gesoffen, geraucht, jemandem werden die Haare abrasiert – wie man Teenager-Partys aus Filmen eben kennt. Priscilla soll sich nach der riesigen Party wieder ins Haus schleichen, daraus wird aber nichts. Stattdessen verbringen Ballas und Franky die Afterparty miteinander. Und sie landen im Bett.
Was da genau passiert, sehen wir nicht. Aber irgendwas ist passiert, denn Ballas stürzt aus dem Zimmer, geht auf Abstand. Um sich selbst zu beweisen, dass er damit eigentlich gar nichts zu tun hatte, und superhetero ist, erzählt er seiner Freundin, Franky habe ihn verführt. Es dauert nicht lange, und die ganze Schule weiß es. Das Drama nimmt seinen Lauf, für alle Beteiligten.
Frankys Vater ist schwul – und wird zum aufrichtigen Gesprächspartner
Poster zum Film: "Giant Little One" läuft im November 2019 in der Queerfilmnacht
Was erst einmal klingt, wie der hundertste schwule Coming-of-Age-Film, in dem sich Freunde verlieben, aber zunächst dagegen wehren, entwickelt sich dann doch etwas anders. Ja, da sind die Klischees: Die lesbische (oder trans oder non-binary, so klar wird das nicht) Freundin von Franky, die ihm rät, einfach drauf zu scheißen. Sehr weiße, sehr hübsche Vorstadt-Mittelschichtsfamilien mit riesigen Häusern und Pools, bei denen es Wein zum Abendessen gibt. Eltern, die bemüht sind, Streit zu schlichten. Mitschüler, die im Klassenzimmer ihre Zunge von innen gegen die Wange drücken, damit es wie ein Blowjob aussieht, wenn sie Franky sehen, und, das darf auf keinen Fall fehlen, Schimpfwörter am Spind.
Aber, da ist im zweiten Langfilm des kanadischen Regisseurs und Drehbuchautoren Keith Behrman noch etwas mehr. Da sind Zwischentöne, der Film ist vielschichtiger als das. Ballas' jüngere Schwester Natasha etwa, mit der sich Franky erst gut versteht, und dann doch mit ihr rummacht, und die ihre ganze eigene, wenn auch nur angedeutete Geschichte hat – eine Figur, die auf Franky bezogen zeigt, dass es nicht nur schwarz und weiß gibt, und Grenzen fließen. Nichts ist so eindeutig, wie wir es uns manchmal wünschen. Oder Frankys liebevoll kümmernder Vater Ray (Kyle MacLachlan), der seine Mutter wegen eines Mannes verlassen hat, und mit dem Franky zunächst keinen Kontakt wollte, dann aber doch ein aufrichtiger, ermutigender Gesprächspartner ist.
Lösungen, die nicht von Dr. Sommer stammen
Und da ist die Filmmusik (Michael Brook), die treibende Kraft von "Giant Little Ones", sehr elektronisch, immer auf den Punkt und trotzdem angenehm unaufdringlich. Regisseur Keith Behrman spart nicht an Gewalt, ob in der Umkleidekabine oder vor dem Supermarkt. Wo toxische Männlichkeit auf unterdrückte Emotionen trifft, fliegen Fäuste. Sehr explizit, und für Frankys ein schließlich kathartischer Akt, gemeinsam mit – Klischee – dem Abrasieren seiner Haare.
"Giant Little Ones" ist sicher kein erzählerisches oder avantgardistisches Meisterwerk und könnte vor allem etwas Diversität gebrauchen. Aber dennoch verhandelt das Coming-of-Age-Drama sehr geschickt Themen um Freundschaft, Sexualität und sexuelle Orientierung – und bietet Lösungen an, die nicht aus der Dr.-Sommer-Kiste stammen. Ein Film, den viele vor 20 Jahren schon gebraucht hätten.
Infos zum Film
Giant Little Ones. Coming-of-Age-Film. Kanada 2018. Regie: Keith Behrman. Darsteller: Josh Wiggins, Darren Mann, Taylor Hickson, Maria Bello, Kyle MacLachlan. Laufzeit: 94 Minuten. Sprache: englische Originalfassung mit deutschen Untertiteln. Verleih: Edition Salzgeber. Im November 2019 in der Queerfilmacht
Was für ein schöner, kluger und wahrer Satz...
Dass sollten alle Eltern ihren Kindern sagen...