Intersektionalität ist so ein Begriff, der spätestens seit Anfang des Jahrtausends auch im deutschsprachigen Raum herumgeistert. In Geisteswissenschaften, in sozialer Arbeit, Bildungs- oder Gleichstellungspolitik: Überall soll möglichst intersektional gearbeitet werden. Manchmal scheint es, als ob sich dabei um einen theoretischen Modebegriff handelt, mit dem man sich gerne schmückt, ohne das Konzept überhaupt zu durchdringen oder gar anzuwenden.
László Farkas, ungarischer Roma- und Queer-Aktivist, zeigt in seinem kurzen Dokumentarfilm "We, Queer Roma: Valencia", worum es geht: Um verschränkte, sich überlagernde Diskriminierung, um Machtverhältnisse, um Mehrheit, um Normen.
Von anderen Lesben bekommt sie Mitleid, weil sie Romni ist
"Ich habe mich unter denen, die anders sind, anders gefühlt", bringt es der aus Mexiko stammende queere Roma-Aktivist Demetrio Gómez auf den Punkt. Er, der mittlerweile in Spanien lebt, ist der Hauptprotagonist des Dokumentarfilms, er erzählt von seinem Leben als schwuler Rom. Diese Erfahrung des Andersseins gilt sowohl für die queere als auch für die Roma-Community.
Genau wie er hat auch Rosa María Quiroga Ramírez Klischees auf beiden Seiten erlebt. Andere Lesben würden sie häufig bemitleiden, wenn sie erzählt, dass sie Romni ist. Dabei ist sie stolz darauf, sagt sie. Zumindest heute – bis zu dieser Akzeptanz ihrer eigenen Identität war es ein langer Weg.
Ein Weg, über den es sicher noch mehr zu erzählen gibt, als es der etwa zehnminütige Film "We, Queer Roma: Valencia" könnte. In Spanien leben laut Heinrich-Böll-Stiftung etwa 700.000 Roma, knapp zwei Prozent der Bevölkerung. In Deutschland sind es gerade einmal zwischen 70.000 und 150.000. Die Herausforderungen ähneln sich jedoch: Sie erleben Beschäftigungs-, Bildungs- und Wohnungsprobleme.
Der Film schließt Wissenslücken
Der erzählerische Hintergrund von "We, Queer Roma: Valencia" ist der Valencia Critical Pride, eine Art Gegenveranstaltung zum offiziellen Pride. Nicht kommerziell, kapitalismuskritisch, antiklassistisch. Interessant ist die Perspektive, wenn Demetrio Gómez selbst zum Interviewer wird und Teilnehmer*innen nach ihren Meinungen und Erfahrungen mit Roma und deren Teilnahme am Critical Pride befragt. "Ich war sehr gespannt, weil ich keine Ahnung hatte. Sorry", sagt eine Person.
In Deutschland hat vor einigen Jahren die Geschichte von Gianni Jovanovic für Aufsehen gesorgt. Ein schwuler Rom, der mit 14 verheiratet wurde und seine Familie später verlassen hat. Eine Ausnahme in der Berichterstattung, geht es sonst doch vor allem um klischeehafte, unausgewogene Darstellungen von Armutsmigration oder Clankriminalität.
"We, Queer Roma: Valencia" schafft es in nur kurzer Zeit, einen Beitrag dazu zu leisten, dass sich das ändert. Dass wir uns mit den vielen Dimensionen des Lebens von Roma beschäftigen, und auch über die Geschichte reflektieren. Ein Dokumentarfilm mit Potenzial, insbesondere in einer womöglich erweiterten Version Wissenslücken zu füllen und Klischees zu überkommen.
"We, Queer Roma: Valencia" läuft im Rahmen des Roma-Filmfestivals "Ake Dikhea?" am Samstag, 7. Dezember um 18:30 Uhr im Berliner Kino Moviemento.
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Intersektionalität heißt auch und gerade, die doppelte Diskriminierung zu sehen. Gianni Jovanovic hat mehrfach öffentlich darauf hingewiesen, dass er gleichermaßen mit antiziganistischem Rassismus und mit Homophobie zu kämpfen hatte und hat. In eurem Interview von 2017, auf das ihr verlinkt, kommt das leider nicht so zum Ausdruck, aber zum Beispiel hier:
www.amnesty.de/2017/4/7/gianni-jovanovic-als-rom-bist-du-deu
tschland-heute-noch-aussenseiter
Vielleicht - aber darüber kann ich mangels genauerer Kenntnisse nur spekulieren - ist in Spanien die Größe und Vielfalt der Roma-Community eine andere, weil dort kein planmäßiger Völkermord an den Roma und Sinti verübt wurde wie in NS-Deutschland und den damals von Deutschland besetzten Ländern - ohne das üble Franco-Regime ansonsten verharmlosen zu wollen.