"Einigkeit! Recht! Freiheit!" ist das Motto, unter dem in Köln kommendes Jahr auf dem Christopher Street Day (CSD) demonstriert werden soll (queer.de berichtete). Es sind die drei markanten Worte aus der deutschen Nationalhymne, der dritten Strophe des "Lied der Deutschen". Die richtigen Worte für den CSD. Denn der CSD sollte die Deutungshoheit über die Nationalhymne nicht den Rechtspopulisten überlassen. Diese Werte gehören nicht Pediga und der AfD, sie gehören allen.
Wer denkt, die Hymne sei ein Symbol der Nazis, ist geschichtsvergessen. Hoffmann von Fallersleben dichtete "Einigkeit und Recht und Freiheit" im Jahr 1841. Sein "Lied der Deutschen" war ein Symbol der deutschen Nationalbewegung. Und die kämpfte gegen die Monarchie, für Parlamentarismus und Demokratie. Werte, die für LGBTI auch heute noch unverzichtbar sind. Ohne diese Nation hätten wir heute keine Ehe für alle, kein Recht auf Adoption in Regenbogenfamilien und keine Staatsanwaltschaften, die transphobe Beleidigungen strafrechtlich verfolgen.
Queere Menschen brauchen den demokratischen Staat, weil nur dieser Staat ihre Rechte schützen kann. Wenn zwei Frauen aufs Standesamt gehen, dürfen sie heiraten, auch wenn es dem Standesbeamten nicht passt. Einfach weil das Gesetz sie vor Willkür schützt. Diesen Schutz, den sogenannten Rechtsstaat, haben die Nazis 1933 als erstes abgeschafft. Gerade weil der Rechtsstaat Minderheiten schützt, brauchen ihn LGBTI so dringend.
Aussöhnung der Community mit dem Staat hat begonnen
Gewiss, der deutsche Staat hat LGBTI viel Unrecht getan. In der Bundesrepublik kamen schwule Männer unter Paragraf 175 in den Knast, blieben lesbische Frauen unsichtbar, wurden trans und intergeschlechtliche Menschen körperlich misshandelt. Und noch immer sind Letztere rechtlich nicht vollkommen gleichgestellt. Manches ist noch zu tun.
Doch die Versöhnung mit diesem Unrecht hat begonnen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat im vergangenen Jahr eine bewegende Rede gehalten, in der er die LGBTI-Community um Vergebung gebeten hat (queer.de berichtete). Für all die Verbrechen und Schändlichkeiten, die der Staat an LGBTI begangen hat, auch nach 1945.
Der CSD Köln 2020 wird unter dem Motto "Einigkeit! Recht! Freiheit!" stehen
Längst ist die queere Bewegung ein Teil der Identität der Bundesrepublik. Seit Jahren gehen jeden Sommer Millionen Menschen im ganzen Land auf die Straßen und demonstrieren unter der Flagge des Regenbogens auf dem Christopher Street Day. Darunter Menschen aller demokratischen Parteien, aller Religionen, aller sexuellen und geschlechtlichen Identitäten.
Ladet den Bundespräsidenten zum CSD ein
Im kommenden Jahr jährt sich die Wiedervereinigung Deutschlands zum dreißigsten Mal. Ein guter Zeitpunkt für die Community, sich endlich die Symbole der Bundesrepublik anzueignen. Denn LGBTI sind genauso Bürger dieses Landes wie Heteros und Cis-Personen. Es ist ein Land für alle Menschen, die hier leben.
"Einigkeit! Recht! Freiheit" sollte nicht nur Schlachtruf der deutschen Nationalbewegung sein, sondern auch der queeren Bewegung. "Einigkeit im Kampf gegen Diskriminierung, Ausgrenzung und Respektlosigkeit!", "Recht auf Würde, Gleichheit und Gewaltfreiheit!" und "Freiheit von Angst, Verrohung der Gesellschaft und für Meinungsfreiheit!" So begründen die Veranstalter das Motto für den ColognePride (PDF).
Das kommende Jahr ist ein guter Zeitpunkt, mit der Aneignung "Einigkeit, Recht und Freiheit" zu beginnen. Wieso auf dem nächsten CSD nicht die Nationalhymne singen? Nicht allein, als Queers unter sich, sondern gemeinsam mit allen Verbündeten. Mit den Heteros, den Cis-Personen, dem Bundespräsidenten.
Ein Staat, wo wir bereits im Gleichheitsartikel des Grundgesetzes explizit nicht genannt werden und somit als einzige Bevölkerungsgruppe schon per Grundgesetz Menschen 2. Klasse sind.
Ein Staat, der zwar die Ehe geöffnet hat, diese aber nach wie vor nicht der heterosexuellen Ehe voll gleichgesetellt hat (Stichtwort Abstammungsrecht - Diskriminierung lesbische Familien).
Ein Staat, wo Trans- und Intersexuellen nach wie vor ihre Freiheit genommen wird und sie bevormundet werden.
Ein Staat, der trotz eindeutiger wissenschaftlicher Belege immer noch keine sog. Konversions-"Therapien" verbieten will und wenn überhaupt, dann nur für manche Opfergruppen, womit es für andere Opfergruppen explizit erlaubt würde.
Ein Staat, der in einem angeblichen Anti-Diskriminierungsgesetz Religionen und anderen "Tendenzbetrieben" explizit die Diskriminierung von LGBTI erlaubt.
Etc. etc. etc.
Ich finde das Motto des CSD Köln zwar gut, um daran zu erinnern, dass diese Werte auch für uns gelten sollten. Aber halt als Forderung. Als Teil der National-Hymne sind die Worte "Einigkeit, Recht, Freiheit" für LGBTI ein wahrer Hohn, weil sie für uns nicht gelten.