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Rheinland-Pfalz

"Die Zeit ist reif für Wiedergutmachung"

Am Holocaust-Gedenktag ist die Verfolgung Homosexueller erstmals Thema der Plenarsitzung des Mainzer Landtags. Nun müsse ein Landesfonds für alle LGBTI-Opfer der Verfolgung folgen, fordert das QueerNet-RLP.


Gedenkveranstaltung am Mahnmal "Totgeschlagen – totgeschwiegen, den schwulen und lesbischen Opfern des Nationalsozialismus" in Köln
  • Von Ira Schaible, dpa
    26. Januar 2020, 16:24h 12 4 Min.

Buchhändler Emil H. aus einer Winzerfamilie in Neustadt/Weinstraße wurde 1938 zwei Jahre in Untersuchungshaft genommen. Ein Verstoß gegen den unter den Nazis verschärften "Schwulen-Paragrafen" 175 konnte dem Mann aber nicht nachgewiesen werden. Wenige Tage nach seiner Entlassung wurde er auf Befehl der Geheimen Staatspolizei erneut festgenommen und in ein KZ gebracht. Es folgte eine Verurteilung ohne Beweise oder ein Geständnis. "Emil H. starb vermutlich Anfang 1945 im Konzentrationslager." So wird sein Schicksal in dem Forschungsbericht "Verfolgung und Diskriminierung von Homosexualität in Rheinland-Pfalz (1946-1975)" beschrieben.

"Die Schwulenverfolgung kommt nach dem Röhm-Putsch in Gang", sagt Burkhard Jellonnek, der seine Doktorarbeit über die Homosexuellenverfolgung in der NS-Zeit geschrieben hat. "Bis dahin gibt es das nicht. Der Einfluss von Ernst Röhm, dem schwulen SA-Führer, ist so weitreichend gewesen, dass er auf Hitler den entsprechenden Einfluss hatte", sagt Jellonnek. Dies habe sich mit Heinrich Himmler als Polizeiführer völlig verändert. Viele kamen in Zuchthäuser, Konzentrationslager, wurden entmannt oder nahmen sich das Leben. Schwule hätten auch in Rheinland-Pfalz keine Unterstützung aus der Bevölkerung gehabt und seien sogar Opfer homosexuelle Hatzen geworden, sagt Jellonnek. "Es zeigt sich, dass Leute auf der Straße verfolgt worden sind, wenn auch nur der Verdacht aufkam, dass jemand schwul sein könnte."

Die Verfolgung geht nach 1945 weiter

Mit der Befreiung Deutschlands von der NS-Diktatur endete ihre Verfolgung aber nicht. "Es gibt sonst keine Opfergruppe, die diese Kontinuität mit demselben Gesetz und denselben Richtern erlebt hat", sagt der Sprecher von QueerNet Rheinland-Pfalz, Joachim Schulte. Die Gefängnisse seien im Sommer 1945 für viele Schwule auf- und Herbst des selben Jahres wieder zu gegangen. Das Leben mit Erpressung und Suizid sei auch später weiter gegangen. Bekannt zu werden, habe für viele Schwule lange den sozialen Tod bedeutet. Bereits in der Lagerhierarchie der Nazis hätten Homosexuelle ganz unten rangiert und sich daher oft als politisch Gefangene ausgegeben.

Der rheinland-pfälzische Landtag hat sich 2012 für die Verfolgung Homosexueller nach 1945 entschuldigt und den Forschungsbericht unterstützt. "Das erste Projekt seiner Art, das dieser dunklen Geschichte für ein deutsches Flächenland nachgeht", wie der Direktor des Instituts für Zeitgeschichte, Andreas Wirsching, im Vorwort schreibt.

Schwule als Gefahr für das Sittengesetz

Die Wissenschaftlerin Kirsten Plötz spricht in dem Bericht von einer "erheblichen Diskriminierung und Verfolgung männlicher Homosexualität im jungen Rheinland-Pfalz". Schwule hätten als Gefahr für das sogenannte Sittengesetz gegolten, das wiederum die moralische Grundlage des Bundeslandes bilden sollte. Zwischen 1948 und 1969 seien 2880 Männer und Jugendliche nach dem Homosexuellen-Paragrafen 175 verurteilt worden. Gegen 5939 Tatverdächtige habe die Polizei von 1953 bis 1968 wegen solcher Delikte ermittelt. "Zusätzlich zur Strafe trafen die Betroffenen Demütigungen und moralische Abwertungen, belegt sind auch schwere berufliche Nachteile."

"Staat und Gesellschaft haben Schuld auf sich geladen", stellt der geschäftsführende Vorstand der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, Jörg Litwinschuh-Barthel, in dem Bericht fest.

Jetzt erforsche Plötz auch das Schicksal lesbischer Frauen in Rheinland-Pfalz, sagt die grüne Landtagsabgeordnete Pia Schellhammer. Noch 1981 seien lesbischen Frauen das Sorgerecht entzogen worden. "War bei Männern das Strafrecht zentral, so waren es bei den Frauen das Ehe- und Scheidungsrecht, das alternativlose Lebensziel der Ehe, die Lage auf dem Arbeitsmarkt und das Verschweigen ihrer Existenz", schreibt Plötz.

Ampel-Koalition und CDU für Forschungsprojekt

Die drei Ampelfraktionen und die oppositionelle CDU fordern in einem gemeinsamen Antrag zur Gedenkkultur von der Landesregierung, den mit dem Forschungsprojekt begonnen Aufarbeitungsprozess der strafrechtlichen Verfolgung, Diskriminierung und Rehabilitierung homosexueller Menschen fortzuführen – unter Berücksichtigung regionalgeschichtlicher Aspekte. Die Gedenkveranstaltung des Landtags an NS-Opfer am 27. Januar – dem Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau vor 75 Jahren – steht in diesem Jahr erstmals im Zeichen der verfolgten Homosexuellen (queer.de berichtete).

Diesem wichtigen Schritt, umrandet von Veranstaltungen im ganzen Bundesland, müsse eine "Wiedergutmachung für die schwulen, lesbischen, bisexuellen, trans*und inter*Opfer der Verfolgung in der Bundesrepublik Deutschland" folgen, fordert QueerNet-RLP. Das Land solle einen Fonds auflegen, mit dem die Regionalgeschichte der LGBTI-Verfolgung erforscht und eine Erinnerungskultur aufgebaut werden könne, so Vereinsvorstand Schulte. Es gehe darum, die Erinnerung wach zu halten und die Erfahrung, dass Verfolgung auch in einer Demokratie passieren könne.

In einer Erklärung (PDF) von Queernet-RLP heißt es: "75 Jahre nach dem Ende der NS-Diktatur, 50 Jahre nach einer ersten Abmilderung des § 175 im Jahr 1969 ist die Zeit reif für Wiedergutmachung dieses Unrechts."

#1 Tobi CologneAnonym
  • 26.01.2020, 16:30h
  • Und die Zeit ist auch reif, dass es endlich volle rechtliche Gleichstellung und ein Ende rechtlicher Diskriminierung gibt.

    Inkl. Art. 3 GG, AGG, Abstammungsrecht, rechtliche Situation Trans- und Intersexueller, Verbot sogenannter "Konversionstherapien" für ALLE Opfergruppen und nicht nur für manche, etc. etc. etc.

    Rechtliche Gleichstellung bringt nicht sofort und nicht automatisch gesellschaftliche Akzeptanz. Aber es ist die notwendige Voraussetzung dafür. Denn solange wir rechtlich noch Menschen 2. Klasse sind und der Staat uns nicht voll akzeptiert, können wir auch keine volle gesellschaftliche Akzeptanz erwarten.
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#2 stephan
  • 26.01.2020, 16:52h
  • Ja, die Zeit ist überreif, um mit exponierten Projekten und Initiativen das Schicksal homosexueller Menschen in der barbarischen NS-Zeit und ebenso nach 1945 weithin sichtbar zu machen. Der Bund und alle Länder müssen da umfassend aktiv werden! Und natürlich müssen alle rechtlichen Diskriminierungen von LGBTIs beseitigt und der Diskriminierungsschutz in Artikel 3.3 GG verankert werden!
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#3 AlexAnonym
  • 26.01.2020, 18:12h
  • Antwort auf #1 von Tobi Cologne
  • Ja, alles was nicht 100% Gleichstellung ohne Wenn und Aber ist, ist per definition Diskriminierung.

    An der vollen rechtlichen Gleichstellung wird sich jede Regierung messen lassen müssen. Denn ohne das laufen auch alle anderen Bemühungen ins Leere.

    Die aktuelle schwarz-rote Bundesregierung regiert jetzt seit über 6 Jahren. Wenn die das nicht hinbekommen oder nicht wollen, sollen sie ihre Stühle für andere frei machen.
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