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Nach Ministerpräsidentenwahl in Thüringen
"Was für ein schreckliches Signal für ganz Deutschland!"
Durch die Community gehen weiter Schockwellen, nachdem ein FDP-Politiker mit Hilfe der Thüringer AfD von Rechtsextremist Björn Höcke zum Landeschef gekürt wurde.

Ulle Schauws, die grüne Sprecherin für Queerpolitik, beklagt die Auswirkungen des AfD/CDU/FDP-Coups
6. Februar 2020, 11:19h 4 Min. Von
Gegen die Wahl von FDP-Fraktionschef Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten von Thüringen gibt es weiterhin Proteste. Der 54-Jährige war am Mittwochnachmittag mit den Stimmen von AfD, CDU und FDP zum Landeschef gewählt worden und nahm die Wahl ohne Zögern an. Als Reaktion auf die Zusammenarbeit zwischen Christdemokraten und Freien Demokraten mit der rechtsradikalen Thüringer AfD forderte die Arbeitsgemeinschaft Die Linke.queer, Union und FDP von CSDs auszuschließen (queer.de berichtete). Der Hauptstadt-CSD in Berlin kündigte bereits als erster Veranstalter an, "gegebenenfalls bestehende Kooperationen mit FDP und CDU zu beenden".
Twitter / CSD_Berlin#Nichtmituns
CSD Berlin (@CSD_Berlin) February 5, 2020
Gemeinsame Stellungnahme von Berliner CSD e.V., BiBerlin e.V. und Liebe wen du willst e.V. sowie Enough is Enough und QueersceneBerlin pic.twitter.com/KcVjBicheo
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Auch die deutsche Dachorganisation der CSD-Veranstalter zeigte sich entsetzt über die Achse Schwarz-Gelb-Braun: "Gerade noch wurde dem 75. Jahrestag der Befreiung des NS-Todeslagers Auschwitz-Birkenau gedacht und heute wurde mit Hilfe der AfD in Erfurt ein FDP-Kandidat zum Ministerpräsidenten gewählt", erklärte der CSD Deutschland e.V. in einer Pressemitteilung. Es sei dramatisch, dass dies ausgerechnet in Thüringen passiere: "Hier wollte die AfD schon wissen, wie viele Homosexuelle dort leben." Außerdem sei "der Faschist Björn Höcke" Landesvorsitzender. Höcke hatte offen angekündigt, Homosexuelle nicht akzeptieren zu wollen (queer.de berichtete). "Was für ein schreckliches Signal für ganz Deutschland!", so die Veranstalter.
In sozialen Netzwerken empören sich Politiker aller demokratischen Parteien über die Ministerpräsidentenwahl. Der schwule CDU-Bundestagsabgeordnete Stefan Kaufmann erklärte etwa auf Twitter, dass die Wahl von Kemmerich "ein Fehler" gewesen sei. "Es darf keine gemeinsame Sache mit der AfD geben – auch nicht bei einer Wahl oder Abwahl eines Ministerpräsidenten", so der Stuttgarter Politiker.
Twitter / StefanKaufmannDie Wahl von #Kemmerich mit den Stimmen der @cdu_thueringen war ein Fehler. Es darf keine gemeinsame Sache mit der #AfD geben – auch nicht bei einer Wahl oder Abwahl eines Ministerpräsidenten. @fdpbt @fdp
Stefan Kaufmann (@StefanKaufmann) February 5, 2020
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Kahrs bezichtigt FDP der Lüge
Der Ton wird merklich aggressiver: Der schwule Hamburger SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs bezichtigt einen FDP-Kollegen etwa offen der Lüge, weil dieser behauptet hatte, die Liberalen würden nicht mit der AfD verhandeln oder kooperieren. Kahrs war von 2008 bis 2019 Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion für die Belange von Lesben und Schwulen (queer.de berichtete).
Twitter / kahrstja. eine glatte lüge. https://t.co/7OnTMDzWbq
Johannes Kahrs (@kahrs) February 5, 2020
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Auch Unmut in Teilen der FDP
In der FDP hält sich die Freude über den ersten liberalen Ministerpräsidenten seit rund sieben Jahrzehnten in Grenzen: Jens Brandenburg, der Sprecher für die Rechte von queeren Menschen in der FDP-Bundestagsfraktion, konnte das Werk seiner Thüringer Parteifreunde am Donnerstagmorgen noch immer nicht fassen: "Kaum geschlafen, der Albtraum hat kein Ende", schrieb er auf Twitter. Der 33-Jährige forderte Kemmerich zum Rücktritt auf. "Die Annahme der Nazi-Stimmen widerspricht allem, was uns Freien Demokraten heilig ist. Da hilft kein Schönreden. Das war ein schwerer Fehler, bereitet ihm jetzt schnell ein Ende", so der Politiker aus Baden-Württemberg.
Twitter / JBrandenburgFDPKaum geschlafen, der Albtraum hat kein Ende. @KemmerichThL, tritt bitte sofort zurück. Die Annahme der Nazi-Stimmen widerspricht allem, was uns Freien Demokraten heilig ist. Da hilft kein Schönreden. Das war ein schwerer Fehler, bereitet ihm jetzt schnell ein Ende. #Thüringen
Jens Brandenburg (@JBrandenburgFDP) February 6, 2020
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Auch die Liberalen Schwulen und Lesben aus NRW zeigten ihre Ablehnung.
?Ich bin der Überzeugung, es kann keinen liberalen Ministerpräsidenten geben, der von der AfD ins Amt gewählt wurde?, so…
Gepostet von Liberale Schwule und Lesben Nordrhein-Westfalen am Mittwoch, 5. Februar 2020
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Grüner Staatsminister klagt über "Brechreiz"
Scharfe Kritik kam auch von Grünen und Linken. Der offen schwule hessische Staatsminister für Soziales und Integration Kai Klose (Grüne) erklärte auf Twitter, die Situation bereite ihm "Brechreiz". Der 46-Jährige forderte die Öffentlichkeit mit einem Konstantin-Wecker-Liedtext auf, "Nein" zu sagen.
Twitter / Kai_KloseEin #FDP-Mann lässt sich von Faschisten zum Ministerpräsidenten machen. Sagt dazu aktiv "Ja". Und @nicolabeerfdp hat die Chuzpe, in @hrinfo von der Verantwortung der anderen Parteien zu schwadronieren. Brechreiz. #Thüringen
Kai Klose (@Kai_Klose) February 6, 2020
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Twitter / Kai_KloseOb als Penner oder Sänger,
Kai Klose (@Kai_Klose) February 5, 2020
Banker oder Müßiggänger,
Ob als Priester oder Lehrer,
Hausfrau oder Straßenkehrer,
Ob du sechs bist oder hundert,
Sei nicht nur erschreckt, verwundert,
Tobe, zürne, misch dich ein
Sage nein! pic.twitter.com/l1T1E6LU8i
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Achim Kessler von der Bundetags-Linksfraktion veröffentlichte Bilder einer Demonstration in Frankfurt gegen den FDP-Ministerpräsidenten und erklärte: "Alle zusammen gegen den Faschismus! Ich bin froh, dass so viele junge Leute gegen die braune Pest auf die Straße gehen."
Twitter / AchimKesslerMdBAlle zusammen gegen den Faschismus!
Dr. Achim Kessler | MdB (@AchimKesslerMdB) February 5, 2020
Ich bin froh, dass so viele junge Leute gegen die braune Pest auf die Straße gehen.#frankfurt #dielinke #dielinkehessen #antifaschismus pic.twitter.com/HxhTkKFMcQ
Forderungen nach einem CSD-Ausschluss von Union und FDP wurden aber auch teilweise aus diesen Parteien mit Häme versehen. Der offen schwule Ex-Bundestagsabgeordnete Bernd Fabritius (CSU) setzte etwa als Reaktion auf den queer.de-Artikel vom Mittwoch die Linkspartei mit der AfD gleich: "Man sollte einen Bann für politische Extreme beim CSD überlegen, da fliegen dann sowohl AfD als auch die 'Marxistische Jugend' und andere SED-Nachfolger gerne raus", so Fabritius, der seit 2017 Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten ist.
LSVD-Vorstandsmitglied begrüßt Wahl Kemmerichs
In der LGBTI-Community gibt es trotz der AfD-Beteiligung auch Freude über die Wahl: Helmut Metzner, Bundesvorstandsmitglied des Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland und FDP-Mitglied, gratulierte etwa Kemmerich zu seiner Wahl und erklärte: "Die FDP setzt ihre Existenz aufs Spiel, um Thüringen nicht vom linken oder rechten Rand regieren zu lassen." Metzner war früher Büroleiter von Guido Westerwelle.
Am Donnerstagmorgen beklagte sich der LSVD-Aktivist in einem wirren Facebook-Eintrag über den "aktuell inflationären Gebrauch des Begriffs Faschismus" und beschuldigte indirekt Kritiker der Ministerpräsidentenwahl, mit ihren Worten die freie Marktwirtschaft anzugreifen.
Ministerpräsident Kemmerich ist sich unterdessen keiner Schuld bewusst und lehnt einen Rücktritt weiterhin ab. Im ARD-Morgenmagazin wies er seine Kritiker mit den Worten zurecht: "Viel Schlechtes wird gesagt. Das ist nicht gut für die Demokratie." Er wolle die Spaltung der Gesellschaft verhindern und mit allen "demokratischen Parteien" zusammenarbeiten, also nach liberaler Definition nicht mit AfD und Linkspartei. SPD und Grüne lehnen die Stützung einer Kemmerich-Minderheitsregierung jedoch bislang kategorisch ab.
Twitter / WDRaktuellWährend Parteikollegen wie @Lambsdorff von einem baldigen Rücktritt von #Kemmerich ausgehen, sagt der neue FDP-Ministerpräsident von #Thüringen: "Die Arbeit beginnt jetzt". #ThueringenWahl https://t.co/oNd7f8mHWw
WDR aktuell (@WDRaktuell) February 6, 2020
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