Hauptmenü Accesskey 1 Hauptinhalt 2 Footer 3 Suche 4 Impressum 8 Kontakt 9 Startseite 0
Neu Presse TV-Tipps Termine
© Queer Communications GmbH
https://queer.de/?35546
präsentiert von

30 Jahre (L)SVD

"Grundlage aller politischen Erfolge ist Teilhabe"

Im Interview spricht LSVD-Urgestein Günter Dworek über die Errungenschaften des Verbands, Austritte nach der Ehe für alle, offene Baustellen, ignorante Politiker und Angriffe gegen "alte weiße cis-Männer" wie ihn.


Günter Dworek ist Mitglied des LSVD-Bundesvorstands

Wir leben heute in einer Zeit, in der der Paragraf 175 StGB endlich weg und die Ehe für alle endlich da ist. Im Rahmen einer erfolgreichen Emanzipationspolitik kann man sich die Frage stellen, ob es eigentlich zur Aufgabe des LSVD gehört, sich selber überflüssig zu machen.

Einer der prägenden Menschen im LSVD ist Günter Dworek. Seit 1990 ist er Mitglied des Verbandes, bestimmt seit Jahrzehnten die inhaltliche und strategische Ausrichtung des LSVD mit und ist einer der Sprecher des Verbandes. Im Interview hat er mir Fragen nach der Vergangenheit und der Zukunft des Vereins beantwortet.


Eduard Stapel (1990). Das Poster im Hintergrund ist von den Grünen. Volker Beck ist derjenige, der sich aus dem Zug lehnt

Bis 1990 warst du im Bundesverband Homosexualität (BVH). Was hat dir dort nicht mehr gefallen?

Volker Beck, Manfred Bruns und ich waren in unterschiedlichen Funktionen im BVH tätig. Wir waren jedoch unzufrieden über die Ausrichtung des BVH und dessen Unfähigkeit, zu einer gemeinsamen Haltung in zentralen politischen Forderungen zu kommen. Damit war der Verband politisch praktisch ohne Einfluss. Dann lernten wir Aktivisten der DDR-Schwulenbewegung kennen, allen voran Eddi Stapel, der dort eine staatskritische unabhängige schwule Bürgerrechtsbewegung – damals noch unter dem Dach der evangelischen Kirche – mit aufgebaut hatte.

Im Frühjahr 1990 waren Volker Beck und ich zu Besuch in Leipzig, und bei einer Diskussionsveranstaltung in der evangelischen Studentengemeinde vor 60 bis 70 Personen hat uns Eddi ein wenig überrumpelt und gesagt: Wenn euch unsere Forderungen gefallen, dann tretet doch dem SVD einfach bei. Und er hat uns öffentlich vor all den Leuten ein Aufnahmeformular in die Hand gedrückt. Was sollten wir anderes machen? Wir haben unterschrieben. Das hat mein weiteres Leben erheblich geprägt, denn ich bin immer noch dabei im LSVD-Bundesvorstand. Anscheinend bin ich eine recht treue Seele.

Wie hat der BVH auf euren Weggang reagiert?

Es gab Menschen, die darüber traurig waren, und andere, die uns gerne losgeworden sind, um sich mit unseren bürgerrechtlichen Forderungen nicht mehr auseinandersetzen zu müssen.

Die SVD-Politik hat sich aber nicht gegen den BVH gerichtet. Wir haben ihn, offen gestanden, nach 1990 wenig beachtet, uns da bewusst in keinen Clinch begeben, sondern voll darauf konzentriert, in der Mehrheitsgesellschaft unsere Forderungen bekannt zu machen, Überzeugungsarbeit zu leisten, konkrete Lösungsvorschläge an die Politik zu richten und dort Mehrheiten zu gewinnen für die Ziele des SVD. Neben Volker Beck, Manfred Bruns und mir haben auch eine Reihe weiterer Aktivisten den BVH verlassen, die im SVD eine neue schwulenpolitische Heimat gefunden haben.


SVD-Pressemitteilung von Günter Dworek vom 18.09.1992 zu antischwuler Gewalt

Warum hat sich der BVH später aufgelöst? Lag es daran, dass der BVH nach der Abschaffung des Paragrafen 175 eine gewisse Perspektivlosigkeit spürte? Was machte der SVD besser?

Ich nehme an, es lag daran, dass es im BVH nie einen programmatisch-strategischen Konsens gab, welche Ziele man sich gemeinsam setzt und wie man diese auch verwirklicht. Der SVD und heutige LSVD ist dagegen von Anfang an ein Programmverband gewesen. Wir haben einen Grundkonsens und ein sehr konkretes Programm, das wir alle paar Jahre aktualisieren, wobei wir Erreichtes abhaken und auf neue Herausforderungen und Themen Antworten suchen. Für mich ist dabei immer wichtig, ob man damit die Lebenswelten von Menschen, die man vertreten will, auch wirklich gut begreift.

Wie stellte sich der Ost-West-Konflikt innerhalb des Vereins dar?

Zwischen Ost und West gab es unterschiedliche Erfahrungen in der Bewegung. Die Freiräume im Osten musste man sich unter den Bedingungen einer Diktatur ganz anders erkämpfen. Dazu kamen die gewaltigen Umstellungen des gesamten gesellschaftlichen Lebens, der Arbeitswelt und der politischen Verhältnisse nach 1989. Diese massiven Veränderungen, die man sich als Westdeutscher kaum vorstellen kann, forderten auch ihren Tribut. Bei vielen ostdeutschen Aktivisten fehlte da manchmal schlicht die Zeit für Engagement. Heute sind die Unterschiede und auch die Herausforderungen zwischen Ost und West anderer Natur. Die rechtsextremistische Bedrohung gibt es in ganz Deutschland. Aber es sind doch unterschiedliche gesellschaftliche Klimata und Arbeitsbedingungen, ob in ein Landesparlament acht oder 25 Prozent Abgeordnete gewählt werden, die uns wieder entrechten wollen. Ich bewundere daher, mit welchem Mut und welchem Durchhaltevermögen sich unsere Landesvorstände engagieren.


Poster zur "Aktion Standesamt" (1992)

War die "Aktion Standesamt" 1992 die bisher erfolgreichste Aktion?

Es war zumindest die Aktion, die die Rechtlosigkeit von schwulen und lesbischen Paaren – auch viele Lesben hatten sich engagiert – zum ersten Mal mit großer Wucht auf die Tagesordnung der Politik und der Öffentlichkeit gesetzt hat. Seitdem konnte das Thema niemand mehr wegboxen. Die Aktion hat eine Grundlage dafür gelegt, dass 2017 die Ehe für alle geöffnet wurde. Wir haben über ein Vierteljahrhundert das Thema am Kochen gehalten. Die Forderung nach Öffnung der Ehe war nicht auf dem Reißbrett entstanden, sondern Ausdruck konkreter Probleme: binationale Paare, denen das Ausländerrecht verboten hat, hier zusammenzuleben, ältere Paare, die sich Sorgen machten, was beim Tod des einen mit dem Partner passiert, um nur zwei Beispiele zu nennen. Das Lebenspartnerschaftsgesetz von 2001 konnte einen Teil dieser Probleme rechtlich lösen, hat aber keine wirkliche Gleichberechtigung gebracht. Es war für uns immer nur eine Etappe. An der Idee der "Ehe für alle" haben wir festgehalten und dabei mal mehr und mal weniger Rückenwind gehabt, aber letztendlich genügend, dass es zum Erfolg führte.

1999 kamen Lesben hinzu, und ihr habt euch in LSVD umbenannt. War das nicht reichlich spät?

Ja, ich fand und finde es auch spät, aber es fehlte vorher einfach der zündende Funke. Es macht überhaupt keinen Sinn, wenn eine Männerorganisation nur sagt, dass Frauen willkommen sind. So was geht schief. Es ist wichtig, dass Frauen das gemeinsam einfordern, damit von Anfang an klar ist, dass auf Augenhöhe gesprochen wird.

Zum Glück kamen 1998 gleich mehrere und gut organisierte Frauen auf den SVD zu und haben gesagt: "Wir haben gemeinsame Ziele. Wir würden gerne unsere Ziele gemeinsam mit eurem Verband verwirklichen." Wir fanden das klasse, und dann ist alles sehr schnell gegangen. Es hat nur drei oder vier Monate gebraucht, bis wir gemeinsam ein geschlechter­gerechtes Programm erarbeitet hatten und die Satzung entsprechend angepasst haben. Auf dem Verbandstag im Januar 1999 haben wir die Erweiterung mit großer Mehrheit verabschiedet, und die ersten drei Frauen wurden in den Bundesvorstand gewählt. Halina Bendkowski und Ida Schillen waren zentral für die politische Mobilisierung in dieser Zeit, Dorothee Markert hat wesentlich das Programm des LSVD miterarbeitet.

Eine immer stärkere Rolle in der Verbandsarbeit nimmt in den letzten Jahren auch der Einsatz für die Rechte von trans- und inter­geschlechtlichen Menschen ein. Das neue LSVD-Programm von 2018 versucht, alle seine Politikfelder trans*- und inter*-inklusiv zu formulieren. Wir behalten aus Traditionsgründen den Namen "Lesben- und Schwulenverband" bei, verstehen uns aber als offene Plattform für alle, denen die Freiheit unterschiedlicher sexueller Orientierungen und geschlechtlicher Identitäten ein Anliegen ist.

Was passiert eigentlich, wenn du eine vom LSVD abweichende Meinung hast?

Dann werde ich halt mal überstimmt – im Bundesvorstand oder auf einem Verbandstag. Das kommt vor. Es wäre auch schlimm, wenn wir im Verband alle immer die gleiche Meinung hätten. Ohne Diskussion gibt es keine Weiterentwicklung. Ein Beispiel ist die Positionsbestimmung in der Familienpolitik. Dazu hat der LSVD vor drei Jahren ein umfangreiches Papier beschlossen. An einer Forderung, beim Thema Leih­mutter­schaft, war und bin ich zurückhaltender als die Mehrheit, konnte aber den Verbandstag nicht überzeugen, obwohl ich alle meine rhetorischen Register gezogen habe. Aber es war eine wirklich tiefe und faire Diskussion, deshalb kann ich das gut annehmen. Wichtig ist, dass wir einen guten Grundkonsens und gemeinsame Grundwerte haben: gleiche Rechte, Vielfalt und Respekt – und Respekt nicht nur als Forderung gegen andere, sondern auch als Leitbild für den Umgang untereinander. Da Menschen am Werk sind, klappt das natürlich auch im LSVD nie hundertprozentig, aber doch so kontinuierlich gut, wie ich das in keinem anderen politischen Zusammenhang je erlebt habe. Wenn Grundkonsens und Respekt stimmen, dann lässt sich in Einzelfragen oder über Strategie und Taktik auch mal heftig streiten, ohne dass es Verletzungen gibt. Deshalb macht mir LSVD-Arbeit auch nach 30 Jahren noch viel Freude.

Eine Kontroverse gab es doch auch bei der Papst-Aktion 2011?

Da musste ich jetzt kurz nachdenken, was du meinst. Es gab eine Streitfrage nicht im LSVD, sondern in einem breiten Protest-Bündnis von queeren und nicht-queeren Organisationen anlässlich der Rede von Papst Benedikt XVI. im Bundestag. Wie so oft war das Motto umstritten. Schließlich drohte ein Motto-Vorschlag zu gewinnen, der da hieß: "Glaubst du noch oder denkst du schon?" Da habe ich bei einem Bündnis-Treffen ziemlich heftig dagegengehalten, denn Konsens war eigentlich, auch kritische Katholiken ansprechen und für die geplante Demo gewinnen zu wollen. Ich finde es keine kluge Strategie, Menschen, die man überzeugen und gewinnen will, erst mal das Denken abzusprechen und sie praktisch als Idioten zu beschimpfen. Zum Schluss einigten wir uns auf den guten Slogan "Keine Macht den Dogmen". Hinter diesem Motto konnten sich viele Tausend Menschen versammeln und es ist eine prachtvolle Demo gegen den Papst-Besuch geworden, gegen die restriktive Sexualmoral, die Homophobie und die Frauenverachtung, die der Vatikan weltweit schürt.

Würdest du den LSVD als eine bürgerliche Bewegung bezeichnen?

Der Begriff "bürgerlich" ist ein Etikett, mit dem ich wenig anfangen kann. Für mich ist der LSVD ein Bürgerrechtsverband. Wir wollen erreichen, dass LSBTI ihr Leben frei und selbstbestimmt führen können – ohne Bedrohung, ohne Anpassungsdruck und ohne rechtliche Restriktionen. Wir haben uns immer für das Recht auf Ehe eingesetzt, aber wir haben nie dazu aufgefordert: "Jetzt heiratet doch mal endlich." Das ist eine Entscheidung, die jeder/jede für sich treffen soll. Es liegt uns im LSVD völlig fern, Lesben oder Schwulen vorzugeben, wie sie ihre Identitäten definieren oder ihr Leben gestalten. Wir setzen keine normativen Vorstellungen, wie ein gutes schwules oder lesbisches Leben auszusehen hat. Darin unterscheiden wir uns deutlich von früheren Formen der Emanzipationspolitik. Ich halte gar nichts davon, wenn wir uns wechselseitig als zu spießig oder zu schrill verunglimpfen.

Kann man als Verband frei und unabhängig sein, wenn man öffentlich gefördert wird?

Der LSVD-Bundesverband finanziert sich über Mitgliedsbeiträge und Spenden. Öffentliche Fördergelder beantragen wir nicht für die Verbandsarbeit, sondern zweckgebunden für bestimmte Projekte, zum Beispiel für Familienberatung oder für Unterstützung, Beratung und Empowerment für Geflüchtete. Es gibt keine institutionelle öffentliche Förderung für den LSVD-Bundesverband. Für die Kernarbeit des LSVD, für unsere politische Arbeit und für unsere Verbandsstruktur soll das auch so bleiben. Ich möchte nie in die Situation kommen, überlegen zu müssen, ob man Kritik zurückhält und nett zu einer bestimmten Regierung ist, weil man seine Struktur nicht gefährden will. Anders ausgedrückt: In unseren Positionen und Forderungen sind wir tatsächlich völlig frei und unabhängig.

Treten heutzutage Mitglieder aus dem LSVD aus, weil ja schon fast alles erreicht wurde?

Ja, es gibt solche Fälle, und es ist schade. Denn es ist nie alles erreicht. Die "Ehe für alle" war ein strategischer Kernpunkt, und wir haben diesen politischen Erfolg entsprechend gefeiert. Aber wir haben daneben auch vieles andere durchgesetzt: Anti­diskriminierungs­gesetzgebung, das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homo­sexuellen, die fortschreitende Anerkennung von Regenbogen­familien in Recht und Gesellschaft. Und wir stellen uns jetzt strategisch neu auf, intensivieren die Arbeit gegen das diskriminierende Trans­sexuellengesetz oder auch den Kampf gegen Homophobie. Das Abstammungsrecht ist drängendes Thema für lesbische Familien.

Grundlage aller politischen Erfolge ist Teilhabe. Als der SVD 1993 im Bundestag zur Abschaffung des Paragrafen 175 StGB angehört wurde, war es das erste Mal im Parlament, dass eine Schwulenorganisation dort das Wort ergreifen konnte. Mit eigener Stimme in den demokratischen Institutionen zu sprechen und mit am Tisch zu sitzen, ist ein ganz wesentlicher Durchbruch. Vor 30 Jahren war es noch unvorstellbar, dass ein Verein wie der LSVD vom Bundes­verfassungs­gericht regelmäßig zu Stellungnahmen aufgefordert wird, dass der Bundespräsident uns im Schloss Bellevue empfängt und wir in Landesrundfunkräten und dem ZDF-Fernsehrat präsent sind. Das braucht es weiterhin. Auf gleichen Rechten kann man sich nicht ausruhen. Um unser Standing in der Gesellschaft muss täglich neu gerungen werden.


Eine Collage von LSVD-Aktivitäten der vorigen Jahre

Zu euren offenen Baustellen gehört ja immer noch Artikel 3 des Grundgesetzes?

Richtig. Die Erweiterung des Artikels 3 um das Merkmal der sexuellen Identität ist jetzt noch wichtiger geworden, weil rechtsextreme und völkische Ideologien an Lautstärke und Macht gewinnen. Das Bundes­verfassungs­gericht hat erfreulicherweise klargestellt, dass die sexuelle Identität ein Merkmal ist, das in seinen Rechtsfolgen und dem Diskriminierungsschutz den in Artikel 3 ausdrücklich genannten Personengruppen im Wesentlichen gleichkommt.

Gesellschaftspolitisch macht es aber einen großen Unterschied aus, ob man im Grundgesetz auch ausdrücklich genannt ist oder eben nicht. Dabei geht es um eine Sperrwirkung gegen einen Rollback ebenso wie um die Ausstrahlung in den Alltag hinein: Wenn in der Schule oder in Integrationskursen für Neubürger die Grundrechte besprochen werden, dann fallen wir regelmäßig runter, denn wir stehen ja nicht drin. Das muss sich ändern. Weil man für die Erweiterung des Grundgesetzes eine Zweidrittel­mehrheit in Bundestag und Bundesrat benötigt, muss man allerdings auch die CDU/CSU mit ins Boot holen. Darum bemüht sich der LSVD sehr intensiv. Auch mit der Bundeskanzlerin haben wir darüber gesprochen. Ich bin froh, dass das Thema im politischen Raum wieder angekommen ist, und wenn wir uns weiter hartnäckig anstrengen, bin ich ganz optimistisch, dass der Artikel 3 in den nächsten Jahren ergänzt wird.

Was sind die weiteren Zukunftspläne des LSVD?

Die Menschenrechtsarbeit wird weiter ausgebaut und an Bedeutung gewinnen. Es gibt viele Länder, wo die Situation von LSBTI einfach nur grausam ist, bis hin zur Todesstrafe. Es gibt die schlimme Repressionspolitik in Russland, die sich – angefeuert von religiösen Führern und autoritären Politikern – auch andere Staaten zum Vorbild nehmen. Hier müssen wir mehr Unterstützung aus Deutschland für die Menschenrechtsaktivist*­innen vor Ort mobilisieren.

In Deutschland ist die Bedrohung durch Hass­kriminalität bzw. der Kampf gegen Homophobie und Transfeindlichkeit eine massive Herausforderung – und die Bundes­regierung ist hier in ihrer Innenpolitik ein Totalausfall. Noch nie war homophobe oder transfeindliche Gewalt ein Thema auf der Innenministerkonferenz, noch nie hat ein Bundesinnenminister eine LSBTI-feindliche Gewalttat explizit öffentlich verurteilt. Ausgerechnet die Politiker, die immer reflexhaft täglich nach mehr Sicherheit rufen, ignorieren den Bereich der Homophobie und transfeindlichen Hass­kriminalität. Das ist ein permanenter Skandal und Ausdruck verweigerter Empathie. Hasstäter wollen uns aus dem öffentlichen Raum in die Unsichtbarkeit treiben. Wer über die LSBTI-feindlichen Ausprägungen von Hass­kriminalität konsequent schweigt, betreibt das gleiche Geschäft mit anderen Mitteln. Diese Ignoranz auf Bundesebene wollen wir aufknacken.

Auch Flüchtlingspolitik ist weiter aktuell. Die Restriktionen der Asylgesetzgebung seit 2015 treffen besonders verletzliche Gruppen wie LSBTI doppelt hart. Immer wieder gibt es Asyl-Entscheidungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge und auch einzelner Verwaltungsgerichte, wo einem die Haare zu Berge stehen. Das wollen wir ändern.

Seit rund 40 Jahren bist du in der queeren Bewegung aktiv, und in einigen Monaten wirst du 60 Jahre alt. Wie lange willst du queere Politik noch mitgestalten? Wurdest du schon mal als "alter weißer cis-Mann" diskreditiert, der anderen Platz machen soll?

Nein, hat mir persönlich noch niemand gesagt. Aber ich lese gelegentlich Texte, wonach solche Forderungen pauschal erhoben werden. Das bedrückt mich ein wenig. Denn ich teile eigentlich sehr entschieden das Anliegen, das dahintersteht: Es ist für eine demokratische Öffentlichkeit eine wirkliche Schande, wie wenig Stimmen von Lesben, Trans* oder People of Colour wahrgenommen werden. Ich finde nur die Schlussfolgerung merkwürdig, dass Schwule deshalb die Klappe halten sollen. Es gibt doch kein von einer anonymen Macht statisch festgelegtes Aufmerksamkeitskontingent für LSBTI-Themen, in dem man binnenaggressiv um die Kuchenstücke kämpfen müsste. Wir sollten lieber gemeinsam dafür kämpfen, den gesellschaftlichen Radius für uns alle zu erweitern – für mehr Sichtbarkeit, Teilhabe und Respekt. Und mal persönlich gesagt: Ich habe schon als Jugendlicher dem gesellschaftlichen Druck widersprochen, mich dafür schämen zu sollen, ein schwuler Mann zu sein. Ich habe nicht vor, jetzt im Alter damit anzufangen.

Was anderes machen? Kann schon sein, dass ich irgendwann mal andere Schwerpunkte setze. Vielleicht mehr Klima retten, mehr Fantasy-Romane lesen oder mehr Zeit mit meinen Balkonpflanzen verbringen. Dass ich mich zu Lebzeiten ganz aus queeren Zusammenhängen oder dem LSVD verabschiede, kann ich mir aber nur schwer vorstellen. Ich muss freilich nicht ewig im Bundesvorstand sein. Das Staffelholz ist frei, wenn jemand zugreifen möchte.

#1 Homonklin_NZAnonym
  • 18.02.2020, 09:10h
  • ""Wir sollten lieber gemeinsam dafür kämpfen, den gesellschaftlichen Radius für uns alle zu erweitern für mehr Sichtbarkeit, Teilhabe und Respekt.""

    Bringt es eigentlich auf den Punkt. Ein Interview mit doch sympathischen Inhalten. Habe dieses Gekeife gegen bestimmte Hauttönungen und Auftrennung nach Geschlecht oder Altersklasse in so Vereinen nie verstanden, und denke, da geht es doch darum, allesamt an einem Strang zu ziehen, mit vereinter Kraft.

    Das Auseinandertreiben und Spalten versuchen soch genug andere, eher hoistil eingestellte Gruppen schon zur Genüge. Vielleicht ist die Kritik an "alten und weißen Cis-Männern" auch so ein Ding, das aus den US-Bereichen herüner schwappt, wobei dort eben eine lange und tragisch unvorteilhafte Geschichte dahinter steht, die ja schon in der US-Politik manifest ist. Also selten sind da 1st Nations-Leute wirklich vorn oder Leute aus dem oC-Bereich.
    Das braucht man auf D aber doch nicht ebenso übernehmen, bzw. bis in Vereine hinunter so etablieren.

    Sich des Ziels anzunehmen, anstatt des TSG etwas zu schaffen, bei dem man von Menschlichkeit und würdigem Umgang sprechen kann, wird eine der größten Herausforderungen sein, mit welchen man die heutige Politik, aber auch die führenden Köpfe der Psychpathologisierungs-Garde konfrontieren muss. Man muss eine "Wissenschaft" in Frage stellen, die mit einem Maß an Menschen heran tritt, über deren geschlechtliche Verortung zu begutachten, welches sie an sich selbst nicht anzulegen gedenkt. Obwohl es auch möglich sein kann, sich in der Cis-Verortung zu irren, wird diese seltenst je bezweifelt, oder durch Gutachten zu bestätigen/ zu dementieren versucht.
    Wenigstens könnten Gutachter diese Begutachtungen durchführen, nachdem sie sich selbst erst einmal einer Begutachtung unterzogen haben - das ist nicht mal komisch gemeint, aber vielleicht muss man da erst die Zurechnungsfähigkeit begutachten. Ansonsten kann ja jeder ankommen und Behauptungen zu seiner Gutachterbefähigung und/oder geschlechtlichen Cis-Identität auffahren...

    Vielleicht lassen solche Ideen da auch mal den Groschen fallen, wer weiß, und es möge ein Umgang auf Augenhöhe irgendwann erstehen können, wenn man begriffen hat, dass Körper und Geist etwas mehr komplex sein kann, als Geschlecht und chromosomale Verhältnisse das einzufassen scheinen. Immerhin passen sich auch die meisten Wissenschaftler oder Philosophen selten ihrer durch den Grundorganismus vorgegebenen Einfachheit an, die es auch ausreichen lassen würde, am Feuer zu hocken, und Nasebohren zu praktizieren.

    Besonders wichtig finde ich auch diese Versperrung gegenüberf zukünftiger Rollback-Anstrengungen, die das GG wieder abzuhalftern trachten. Das wird für die Deutschen eine Herzenssache werden müssen.
    Mit dem ganzen Drall und Geschmeiß aus der braun gedünsteten Ecke mit bläulichem Anstrich präsentiert sich ein wenig geschutztes GG ansonsten einer tumb-stumpfen Schlammlawine, die in der Geschichte schon viele gute Ideen ertränkte.

    Über Teilhabe könnte man für D viel schreiben. Da kommen einem wieder die weniger gut gestellten Menschenwertklassen in den Kopf, als Kritik an die Politik der abgespeckten Grundrechte für Hilfsbedürftige.

    Bei einem Verein, der Interessen von LGBTIQ* vertritt, ist wohl eher die Teilhabe jeder Gruppe des Quilt gemeint, jedes Musters, sozusagen. Das Symbol des Quilt lässt jedem Muster seine Identität, und nimmt doch alle ebenwertig mit in sein farbenfrohes Netzwerk. So ähnlich könnte man Teilhabe in einem Verein sich vorstellen.
  • Antworten »  |  Direktlink »
#2 Religioten-WatchAnonym
  • 18.02.2020, 10:53h
  • >>>Schließlich drohte [sic!] ein Motto-Vorschlag zu gewinnen, der da hieß: "Glaubst du noch oder denkst du schon?" Da habe ich bei einem Bündnis-Treffen ziemlich heftig dagegengehalten, ...<<<

    Na da ist sie ja: Die ganze kleinstbürgerliche, sich anbiedernde Misere des LSVD in einem Halbsatz vom Urheber zusammengefasst!
  • Antworten »  |  Direktlink »
#3 LudgerAnonym