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Klassiker in zeitgemäßem Gewand

Die traurigste schwule Liebesgeschichte der Literatur

James Baldwins Roman "Giovannis Zimmer" ist ein nicht wegzudenkender Teil des queeren Literaturkanons. Jetzt ist eine sehr gelungene deutsche Neuübersetzung erschienen.


Der Roman mit dem Originaltitel "Giovanni's Room" inspirierte das "New York Times Style Magazine" im vergangenen Jahr zu einem beeindruckenden Fotoshooting (Bild: John Edmonds / New York Times)

Eigentlich ist es verwunderlich, wie aktuell ein knapp 65 Jahre alter Roman über zwei sich liebende Männer sein kann. Wir haben doch so viel erreicht, wird uns immer wieder in fast vorwurfsvollem, zumindest aber beschwichtigendem Ton gesagt. Ja, haben wir auch – und 1956 ist sicher nicht 2020, zum Glück.

Aber die Scham, die der US-Amerikaner David spürt, als er sich in der Pariser Halbwelt in den italienischen Barkeeper Giovanni verliebt, die gibt es immer noch. Die Angst vor der Liebe, die die Gesellschaft nicht akzeptiert. Der Versuch, sich gegen Gefühle zu wehren, der Zwang, einen akzeptierten Lebensstil zu führen. Alles noch da, hier wie andernorts, wenn auch nicht mehr ganz so verbreitet. Sonst hätten wir keine "Umpolungsversuche", keine Schein-Ehefrauen, keine vielfach höhere Suizidrate, und wir hätten einen geouteten Bundesliga-Spieler.

Auch die "amerikanische Unschuld" gilt nach wie vor


Die Neuübersetzung von "Giovannis Zimmer" ist am 21. Februar bei dtv erschienen

"Das Ende der Unschuld ist auch das Ende der Schuld", lässt James Baldwin David denken, aber da ist es schon zu spät. Da ist Giovanni bereits verurteilt, da wartet er in seiner Zelle auf die Guillotine. Dass es soweit kommt, wissen wir von Anfang an. Baldwin baut keinen unangemessenen Spannungsbogen ein, sondern wechselt die Erzählperspektive. Von der Gegenwart, in der David in Südfrankreich weilt und sich bald zurück auf den Weg nach Paris macht, in die Vergangenheit, in der all das passiert ist, was zum Mord und dessen Verurteilung geführt hat. All das, wofür David sich die Schuld gibt.

Doch es sind nicht nur die Angst und der gesellschaftliche Druck, die sich über die Jahrzehnte erstaunlich wenig verändert haben. Auch die American Innocence, die identitätsstiftende Unschuld, die Prüderie, die Abwesenheit von Sex und Exzess, ist bis heute erstaunlich wirkmächtig geblieben. Baldwin hatte diese kindliche Unschuld als einen der Pfeiler ausgemacht, auf dem "die wacklige Konstruktion des weißen US-amerikanischen Wertesystems aufbaut", schreibt die Hausautorin des Berliner Maxim-Gorki-Theaters Sasha Marianna Salzmann in ihrem wahnsinnig klugen, prägnanten und dichten Nachwort. Es ist ein Wertesystem, das keine Abweichungen erlaubt.

Die Angst, jemanden zu lieben


James Baldwin (1924-1987) (Bild: ullstein bild – Roger-Viollet / Jean-Pierre Couderc)

James Baldwin hat sich immer gewehrt, "Giovannis Zimmer" (Amazon-Affiliate-Link ) als Roman über Homosexualität zu bezeichnen. "Es ist das Vehikel, durch welches das Buch sich bewegt. Es handelt darüber, was passiert, wenn du Angst hast, jemanden zu lieben. Was viel interessanter als die Frage nach Homosexualität ist", sagte er in einem Interview. Und doch ist es natürlich die Beziehung zwischen David und Giovanni, welche vielfach den Kritikern zur Zeit der Erscheinung missfiel, und die es gleichzeitig zu einem festen Bestandteil des queeren Literaturkanons hat werden lassen.

Es ist ein großes Glück, dass der Verlag dtv die Werke Baldwins knapp über 30 Jahre nach dessen Tod wiederentdeckt hat und neu übersetzen ließ. Miriam Mandelkow verleiht "Giovannis Zimmer" eine zeitgemäße Eleganz, die Baldwins Sprache würdig ist. Der Roman bekam eine leichte Auffrischung, von der heutige, erstmalige Leser*­innen nur profitieren können. So geht die Geschichte von David und Giovanni auch heute noch unter die Haut. Eine, wenn nicht sogar die traurigste homo­sexuelle Liebesgeschichte, die die Literatur kennt.

Die Übersetzungen bieten die Chance, den bis heute insbesondere in den USA einflussreichen Autor auch hierzulande erneut zu würdigen und sich mit ihm und seinen Themen – Bürgerrechte, Rassismus, Sexualität, Identität – auseinanderzusetzen. Denn es sind auch und wieder die Themen unserer Zeit, und Baldwins Antworten sind nach wie vor gültig.

Infos zum Buch

James Baldwin: Giovannis Zimmer. Roman. Neu übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Miriam Mandelkow. Mit einem Nachwort von Sasha Marianna Salzmann. 208 Seiten. dtv Literatur. München 2020. Hardcover: 20 € (ISBN 978-3-423-28217-8). E-Book: 18,99 € (ISBN 978-3-423-43720-2)

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#1 FinnAnonym
#2 Taemin
#3 NuminexEhemaliges Profil
  • 21.02.2020, 12:00h
  • Sehr ergreifender Roman und ganz toll, dass Baldwin wieder aufgelegt wird. Glaube, dass ist das dritte oder vierte mittlerweile, dass sie neu übersetzen. Kann ich meine zerfledderte Asbachausgabe von GR endlich ersetzen. Nicht ganz so gut wie E.M. Forster oder Colm Toibin, aber defintiv über Edmund White für mich.
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