
https://queer.de/?35621
Corrective Rape
Fragwürdiger Film: Schwules Glück durch Vergewaltigung?
Heute vor 40 Jahren – am 28. Februar 1980 – feierte Paul Verhoevens Film "Spetters" Premiere. Einem Mann wird bei seinem homosexuellen Coming-out "geholfen" – indem er vergewaltigt wird.

Szene aus "Spetters" (1980): Eef wird von vier Männern vergewaltigt
28. Februar 2020, 05:42h 14 Min. Von
In einigen Monaten wird voraussichtlich das von der Bundesregierung geplante Verbot von Konversionstherapien bei Minderjährigen in Kraft treten. Mittlerweile hat sich die Meinung durchgesetzt, dass die sexuelle Orientierung kein Lichtschalter ist, den man einfach mal umlegen kann.
Zeitgleich wird heute ein Film 40 Jahre alt, der zeigt, wie ein Mann von einem anderen Mann vergewaltigt wird und wie sich dies förderlich auf sein Coming-out auswirkt. Sowohl das Verbot von Konversionstherapien als auch dieser Film sind gute Anlässe, um sich über die angeblich mögliche Korrektur der sexuellen Orientierung Gedanken zu machen. Kann es legitim sein, Minderjährige zu "heilen"? Sollte es weiterhin legal bleiben, Erwachsene zu "heilen"? Darf man in einem Spielfilm alles zeigen, und darf man dabei jede Position vertreten?
Der Film "Spetters"

DVD-Cover von "Spetters" mit Jugendschutzhinweis
Der niederländische Filmregisseur Paul Verhoeven (*1938) provoziert gerne. Weil für sein Drehbuch "Spetters. Knallhart und romantisch" (NL, 1980) einige Männer, ihre Mädels und Moto-Cross-Träume für eine Spielfilmhandlung offenbar nicht reichten, ergänzte er einen Handlungsstrang: Einer der jungen Männer des Films ist Eef, der Schwule ausraubt. Er wirkt jedoch auch verklemmt schwul, weil er heimlich und mit einem gewissen Interesse Schwule beim Oralverkehr beobachtet.
Von einer schwulen Clique wird er später in einem leeren U-Bahn-Tunnel vergewaltigt – allerdings nicht als Strafe für sein Schwulenklatschen, sondern nur wegen des Kicks. Jaap, der Haupttäter und Anführer dieser Clique, sucht nach der Vergewaltigung ein Gespräch mit Eef über seine Homosexualität, was auf den Zuschauer wohl empathisch wirken soll. Die Vergewaltigung hat auf Eef eine erkennbar "therapeutische Wirkung", er lernt seine Homosexualität zu akzeptieren und fängt mit einem der Täter eine Liebesbeziehung an.
Die Website "aznude" – die sehr viele Nackt- und Sexszenen aus Spiel- und Pornofilmen bietet (und die wir deshalb nicht verlinken dürfen) – macht es auf einfache Weise möglich, sich einzelne Filmszenen anzuschauen. Aus "Spetters" sind sechs Szenen einzeln abrufbar, unter anderem Eef, der Schwulen beim Oralverkehr zusieht (37 Sek.), Freunde, die gemeinsam onanieren und ihre Penisgrößen vergleichen (54 Sek.), und Eefs Vergewaltigung (2:03 Min.). Wer sich auch für die sonstige Handlung interessiert, findet den Film in voller Länge auf Youtube. Die Freigaben schwanken – nicht überraschend – zwischen 12 Jahren (NL) und 18 Jahren (USA). Überraschend ist allerdings, dass auch bei den Kauf-DVDs und auf Youtube die Hardcore-Szenen unzensiert blieben.

Penisvergleich zwischen drei Freunden
Die Bewertung von "Spetters"
Die Spielfilmhandlung entspricht auch in den Szenen, die Schwule und Homosexualität zeigen, keiner üblichen Dramaturgie. Einerseits zeigt der Film in positiver Form sich liebende Schwule, andererseits auch legitim erscheinendes Schwulenklatschen. Die Motivation der Vergewaltiger bleibt zunächst unklar. Weil Eef vorher Schwule erpresste, liegt eine "Strafvergewaltigung" nahe. Sie wäre zumindest dramaturgisch nachvollziehbar (wenn auch möglicherweise ethisch fragwürdig).
Zunächst wird ausdrücklich betont, dass es den Schwulen nur um den "Kick" geht, dann kommt eine weitere, noch fragwürdigere Motivation hinzu, nämlich die, dem Opfer bei seinem Coming-out helfen zu wollen. Mit dem geglückten Coming-out wird seine Vergewaltigung nicht nur erklärt, sondern legitimiert. Der Film hat damit ein Happy-end – allerdings ein sehr fragwürdiges.

Eine kurze Unterredung von Eef mit seinem verständnisvollen Vergewaltiger Jaap
Durch die zum Ausdruck gebrachte Motivation lässt sich diese Vergewaltigung als "Corrective Rape" bezeichnen. Damit bezeichnet man die Vergewaltigung Homosexueller mit der Absicht, ihre sexuelle Orientierung zu verändern. Üblicherweise sollen die Opfer damit zur Heterosexualität "bekehrt" werden. Dass die Vergewaltigung in "Spetters" eingesetzt wird, um einem Schwulen zu seinem Coming-out zu verhelfen, variiert das Thema, ist jedoch um keinen Deut besser und auch nicht anders zu bewerten als die "Heilung" von Schwulen und Lesben.
Die Rezeption von "Spetters"
Die Vergewaltigungsszene (bzw. ihre Einbettung) wurde meistens kritisiert. So bezeichnete die US-Buchhandelsseite "Barnes & Noble" diese Nebenhandlung als den einzigen wirklichen Fehler des Films und als einen hässlichen Makel ("ugly blemish"), der einen üblen Geschmack im Mund hinterlasse ("leaves a nasty taste in one's mouth"). Eine anale Vergewaltigung in einem Nicht-Pornofilm zu sehen, würden einige Zuschauer möglicherweise beunruhigend ("unsettling") finden.
Der Filmkritiker Vincent Canby schreibt in "The New York Times" (8. Februar 1981, S. 53), man möge sich gar nicht vorstellen, wie die Reaktion auf diesen Film gewesen wäre, wenn es eine Frau gewesen wäre und nicht ein Mann, der die "therapeutischen" Wirkungen einer Vergewaltigung zu spüren bekommen hätte ("One hates to think what the reaction to this film would have been if it had been a woman, rather than a man, who must thus testify to the therapeutic effects of rape"). Dieser Meinung widerspricht Adam Nayman in seinem Buch "It Doesn't Suck: Showgirls" (2014, o. S.) und findet, diese Szene sei vorsätzlich fehlinterpretiert worden ("willful misreading"), denn der Film zeige doch in erster Linie eine Motorrad-Clique und eben nicht die "therapeutische Wirkung" einer Vergewaltigung. Die Vergewaltigungsszene sei zwar präsent, aber der Film deshalb noch lange kein Sex-and-Crime-Film.
Auf der Internet-Seite "Movie Reviews" wird der Film – einschließlich der schwulen Szenen – sogar gelobt. Eefs Gespräch nach seiner Vergewaltigung mit einem der Vergewaltiger über seine schwulen Gefühle bezeichnet der Rezensent als einen "unpolitisch korrekten Moment" ("un-politically correct moment"). Für ihn ist der Film ehrlich und direkt. Verhoevens Filme seien zwar eher ausbeuterisch als nachdenklich ("exploitative than thoughtful"), aber in der Zeit, in der er Filme drehte, sei er eine der fortschrittlichsten Stimmen und furchtlosesten Filmemacher gewesen. Und das liebe er an ihm, so der Rezensent.
Kritik musste der Film auch deshalb einstecken, weil bei der Vergewaltigung kurz die Erektion eines der Vergewaltiger zu sehen ist, weshalb man dem Regisseur Pornografie vorwarf. In diesem Punkt verteidige ich Verhoeven ausdrücklich und finde seine Antwort (hier zitiert nach "Movie Infos") sehr einleuchtend: "Auf vielen Filmplakaten sieht man einen Mann mit einer Waffe in der Hand. Die Leute mögen es, Waffen zu zeigen. Und in 'Spetters' ist der Penis die Waffe. Mit seinem Penis attackiert der Vergewaltiger sein Opfer. Also sollte man ihn auch zeigen."
Vergleiche: Schwule werden "verführt" und "umgepolt"
"Spetters" ist nicht der erste und nicht der einzige Film, der eine "korrigierende" Einflussnahme auf eine homosexuelle Orientierung thematisiert. Es gibt unzählige Filme, in denen Schwule "verführt", "umgepolt" und "geheilt" werden. Aber bis zu welchem Punkt sind diese Szenen unterhaltsam bzw. spannend? Ab wann sind sie naiv bzw. homophob? In meinem Buch "Von Oswalt Kolle bis Schulmädchen-Report" (Amazon-Affiliate-Link ) (2019) über Schwule in den Sex-Komödien der Siebzigerjahre habe ich unterschiedliche Filme auch zu diesen Themen zusammengestellt.
Dass Frauen versuchen, Schwule zu "verführen", d.h. sie gewaltlos zu etwas zu bringen, was sie eigentlich nicht möchten, kommt recht häufig vor. Es ist der Kitzel der besonderen Herausforderung, wie zum Beispiel in "Atlantis" (1970). "Ich möchte wissen, ob der nicht doch zu überreden ist", sagt eine Frau in "Drei Bayern in Bangkok" (1976). "No man is a complete faggot", glaubt eine Frau in "Griechische Feigen" (1977).
Solche Szenen sind für mich unproblematisch, weil es nur darum geht, ob der Schwule vielleicht auch ein bisschen bisexuell ist. Es ist legitim, sich zu fragen, warum Menschen eigentlich welches und meistens nur ein Geschlecht begehren. Es kann sogar unterhaltsam sein, wenn ein Schwuler vor einer Frau oder ein Hetero vor einem Schwulen davonläuft.
Bei der Bewertung kommt es natürlich immer auf den Kontext an. Ein Bewertungsmaßstab kann z.B. sein, ob auch der umgekehrte Fall einmal vorkommt, also die positiv dargestellte Verführung eines heterosexuellen Mannes durch einen Schwulen.
Unter "Umpolen" wird verstanden, die sexuelle Orientierung eines Menschen nachhaltig verändern zu wollen. Wie in "Die Stewardessen" (1971) und "Muschimaus mag's grad heraus" (1973) legen es Frauen manchmal sehr energisch darauf an, einen Schwulen rumzukriegen. Die Szenen kommen ohne Gewalt aus, haben aber trotzdem einen unangenehmen Beigeschmack – getreu dem Motto: "Bei den Schwulen muss nur die Richtige kommen." Es ist eine etwas naive Vorstellung, die man kritisieren kann, aber meines Erachtens nicht muss. In "Liebesmarkt" (1973) wird übrigens das Thema umgedreht: Ein Schwuler baggert einen Hetero an und lässt sich auch durch dessen Heterosexualität nicht davon abbringen ("Man kann die Sache doch umkehren").
Vergleiche: Schwule werden "geheilt" und vergewaltigt
In "Liebesspiele junger Mädchen" (1972) hat der 16-jährige Kurt sein erstes sexuelles Erlebnis mit einer erwachsenen Frau und weiß nicht, dass es sich dabei um eine Prostituierte handelt, die von der Mutter engagiert wurde, um ihn so vor der "Verführung" durch seinen Klassenkameraden zu bewahren. Nach diesem heterosexuellen Erlebnis ist Kurt nicht mehr schwul, sondern "geheilt" und heterosexuell.
Es ist der gleiche Plot wie in dem Homosexuellenfilm "Anders als Du und Ich" (1957), wo eine Hausangestellte statt einer Prostituierten sexuell bereitwillig "hilft". Beide Filme transportieren die früher verbreitete "Verführungstheorie": Auch einzelne Erfahrungen können angeblich eine Person homo- bzw. heterosexuell "machen". In beiden Filmen bleibt für den Zuschauer die Liebe der jeweiligen Mutter im Fokus, die einen kleinen "Fehler" begeht, um den Sohn vor einem vermeintlich großen "Fehler" zu bewahren.
Die liebevollen Mütter lassen den Zuschauer fast vergessen, in welch schwulenfeindlicher Form Homosexualität abgewertet wird. In "Die schönen Wilden von Ibiza" (1980) arrangiert ein Vater für seinen scheinbar schwulen Sohn ein Sex-Date mit einer Frau. Zwischen den Filmen gibt es jedoch einen entscheidenden Unterschied: In "Liebesspiele junger Mädchen" und "Anders als Du und Ich" wird der "Heilungsversuch" der Eltern als richtig dargestellt, in "Die schönen Wilden von Ibiza" erkennbar kritisiert. Hier ist deutlich der Zeitgeist der unterschiedlichen Jahrzehnte erkennbar.
Manchmal wird körperliche Gewalt ausgeübt, um Schwule zu "heilen". In "Autostop – Lustreport" (1974) zwingen Männer ihren schwulen Arbeitskollegen mit Gewalt zum Geschlechtsverkehr mit einer Prostituierten und haben damit letztendlich sogar "Erfolg".

In "Autostop – Lustreport" (1974) wird ein Schwuler zum heterosexuellen Sex gezwungen
In "Maria – nur die Nacht war ihr Zeuge" (1980) wird der schwule Stavros mit massivem Druck dazu genötigt, eine Frau zu vergewaltigen, um ihm "das Schwulsein auszutreiben".
Vergleiche: Lesben werden vergewaltigt
Meistens versteht man unter "Corrective Rape" die Vergewaltigung von Lesben. Diese Form der Gewalt ist heute vor allem in Südafrika dokumentierbar, wo der Begriff "Corrective Rape" seinen Ursprung hat und wo in vielen Fällen Dorfgemeinschaften und Familienmitglieder ihr Einverständnis zu den Vergewaltigungen geben. Die Dokumentation "Corrective Rape" (USA, 2010, 16 Min. – hier online verfügbar) zeigt Interviews mit vergewaltigten Lesben in Südafrika. Anlass für den Film war die Vergewaltigung und Ermordung der lesbischen südafrikanischen LGBTI-Aktivistin Eudy Simelane (1977-2008). Auch das Filmprojekt "End Of The Rainbow" (USA, geplant 2013) sollte die Situation in Südafrika beleuchten. Weil die Doku 2013 über Crowdfunding finanziert werden sollte, stellte der Produzent Tom Bellos das Projekt in einem Video vor (hier online). Es konnte jedoch nicht realisiert werden, weil von den geschätzten Produktionskosten nur drei Prozent gespendet wurden.

"Satyavati" ist einer der wenigen Filme über "korrigierende" Vergewaltigungen von Lesben
Die indische Regisseurin Deepthi Tadanki zeigt in "Satyavati" (Indien, 2016) die "korrigierenden" Vergewaltigungen in Indien auf und weist im Interview mit "Washington Blade. America's LGBT News Source" (20.04.2016) darauf hin, dass sie sich bewusst für eine fiktive Spielfilmhandlung entschieden habe. Die doppelte Stigmatisierung von Homosexuellen und Vergewaltigungsopfern ist so groß, dass sie keine Opfer für ein Interview fand.
Ich habe keinen Film über "Corrective Rape" von Lesben gefunden, in dem die Vergewaltigung als richtig dargestellt wird – was einen großen Unterschied zu "Spetters" ausmacht. Durchaus vergleichbar scheinen mir jedoch viele deutsche Filme aus den Siebzigerjahren zu sein, in denen Frauen "Gefallen" daran finden, von Männern vergewaltigt zu werden. Es ist eine Einstellung, die zum heterosexuell-männlichen Zeitgeist der Siebzigerjahre zu gehören scheint und sich sogar beim reflektierten und um Seriosität bemühten Sexualaufklärer Oswalt Kolle beobachten lässt.
In "Oswalt Kolle: Das Wunder der Liebe II" (1968) wird eine Frau von ihrem Mann vergewaltigt und sagt anschließend zu ihm: "Du hast mich vergewaltigt. […] Es war schön. […] eben hast du mir gezeigt, dass du mich noch lieb hast." Ähnlich verstörende Szenen sind in vielen anderen Filmen dieser Zeit zu finden. In der Form, wie sie Vergewaltigungen zu legitimieren versuchen, sind sie sogar deutlicher als "Spetters". Die Vergewaltigung in "Spetters" – so eine Rezension im Filmpodcast "Deep Red Radio" (2014) – kehrt die "sonst gegenüber Frauen formulierte Formel der 'Vergewohltätigung' geschlechtsspezifisch um, was die Abneigung gegen dieses verlogene Klischee beim Publikum eher erhöhte". Es liegt tatsächlich nahe, dass Verhoeven mit der bewussten Umkehrung gängiger heteronormativer Muster provozieren wollte.
Vergleiche: Andere Protagonisten des Films
In diesem Beitrag für queer.de habe ich auf homosexuelle Nebenhandlung fokussiert. Vielleicht war das ein Fehler, denn zumindest von einer Autorin im Medienportal Düsseldorf werden die unterschiedlichen Themen des Films als zusammengehörend betrachtet, weil es letztendlich darum gehe, wie die Protagonisten mit Sexualität und Körpern umgehen.
Ich widerspreche zwar der Annahme, dass alle Protagonisten eine "fragwürdige Einstellung zu ihrer Sexualität und ihren Körpern" verfolgen, sehe allerdings ebenfalls Parallelen zwischen der jungen Fientje, die ihre Reize nutzt, um finanziell weiterzukommen, dem querschnittsgelähmten Rien, der sich den Freitod wünscht, und dem latent homosexuellen Eef, der mit seiner sexuellen Orientierung kämpft.
Erinnert sei an dieser Stelle an den schwulen Autor Kurt Hiller, der in seiner strafrechtsphilosophischen Dissertation "Das Recht über sich selbst" (1908) Homosexualität, Freitod und Abtreibung als zusammenhängende Themen ansah, weil es (bis heute) umstritten ist, was wir mit unserem eigenen Körper machen dürfen.
Verhoevens "Der vierte Mann"
Um sich eine Vorstellung von Verhoevens Einstellung zur Homosexualität zu machen, lohnt sich ein Blick auf seinen Film "Der vierte Mann" (1983), der auf dem gleichnamigen Roman von Gerard Reve basiert. Im Film sieht der Schriftsteller Gerard Reve am Bahnhof einen ihn faszinierenden und attraktiven Mann. Gleichzeitig fühlt er sich – trotz seiner Homosexualität – von der mysteriösen Christine angezogen. Er bleibt bei ihr – allerdings vor allem, um mit dem Mann am Bahnhof wieder in Kontakt treten zu können.
Der Film lässt sich als okkulter bisexueller Erotik-Thriller mit christlicher Symbolik bezeichnen, in dem sich Traum und Wirklichkeit oft vermischen. Die Rolle von Christine Halsslag wurde von Renée Soutendijk verkörpert, die vorher in "Spetters" (1980) die Rolle der Fientje übernommen hatte. Gerard Reve wird von Jeroen Krabbé verkörpert, der neun Jahre später Jeroen Boman in "Der verlorene Soldat" (1992) spielte.

Bei einer Vorstellung von "Der vierte Mann" (1983) von links nach rechts: Schauspieler Jeroen Krabbé (auch bekannt aus "Der verlorene Soldat"), Regisseur Paul Verhoeven und die Schauspielerin Renée Soutendijk (auch bekannt aus "Spetters")
"Der vierte Mann" (1983) entwickelte sich in den USA zum erfolgreichsten niederländischen Film, der je gedreht wurde, und pushte so Verhoevens Ruhm in Hollywood. Diesen Film kann man vielleicht nicht jedem empfehlen, aber es gibt keine Szenen, die wie in "Spetters" grundsätzlich kritisiert werden können.
Verhoevens Karriere in Hollywood
Weil Verhoeven von der Kritik und der fehlenden Filmförderung in den Niederlanden enttäuscht war, zog er 1985 in die USA und legte dort mit Filmen wie "Robocop" (1987) und "Total Recall" (1990, mit Arnold Schwarzenegger) eine erstaunliche Filmkarriere hin. Sein Film "Basic Instinct" (1992, mit Michael Douglas und Sharon Stone) ähnelt seinem Film "Der vierte Mann", weil beide Erotik-Thriller mit bisexuellen Elementen sind, in denen sich jeweils ein Mann in eine mysteriöse Frau verliebt. Verhoeven hat "Basic Instinct" auch als amerikanische Neuinterpretation von "Der vierte Mann" bezeichnet.
Dass Verhoevens Karriere in den USA auch ganz anders hätte verlaufen können, kann man aufgrund einer Anekdote mutmaßen, die unter anderem in der Internet Movie Database nachzulesen ist: Zu Beginn der Achtzigerjahre war Steven Spielberg auf Verhoeven aufmerksam geworden und erwog sogar, ihn seinem Freund George Lucas als potenziellen Regisseur von "Die Rückkehr der Jedi-Ritter" (1983) – einem Teil der "Star Wars"-Saga – zu empfehlen. Spielberg soll jedoch seine Meinung geändert haben, nachdem er die sexuell expliziten Szenen aus "Spetters" (1980) gesehen habe. Auch die internationale Filmzeitschrift (bzw. Website) "Little White Lies. Truth & Movies" geht in einem Artikel vom 7. März 2017 auf diese "Star Wars"-Anekdote ein und zitiert Verhoeven: "Ich nehme an, er [Steven Spielberg] hatte Angst, dass die Jedi sofort anfangen würden, sich gegenseitig zu ficken."
Was bleibt
Die in der Einleitung gestellten Fragen kann ich so beantworten: Konversionstherapien für Minderjährige zu verbieten ist ein wichtiger und überfälliger Schritt. Aber trotz dieses Verbots sollen erwachsene Homosexuelle weiterhin das Recht haben, sich "heilen" zu lassen und zu versuchen, ein heterosexuelles Leben zu führen. Jeder Erwachsene hat das Recht auf Selbstbestimmung und ein unglückliches Leben.
Die Frage, ob man in einem Film alles zeigen und jede Position vertreten darf, möchte ich mit einem "grundsätzlich ja" beantworten. Die Frage der Legitimität kann jeder für sich beantworten. Bei der Frage der Legalität gibt es Gesetze, die z B. bei rassistischer oder antisemitischer Hetze eine Grenze definieren. Man sollte Regisseuren aber nicht das Recht absprechen, mit ihren Filmen zu provozieren und dabei eine persönliche Meinung zu haben, die sich nicht mit dem Mainstream deckt.
Wäre "Spetters" noch deutlicher und brutaler ausgefallen, hätte es mit FSK 18 und einer Indizierung Möglichkeiten gegeben, Jugendliche vor diesem Film zu schützen. Diese Grenze hat der Film meines Erachtens aber nicht überschritten.
Ich halte "Spetters" für falsch, wie ich auch viele andere Filme für falsch halte. Dazu gehört "Die Vergewaltigung des Richard Beck" (1985), wo der Polizist Richard Beck – der keine Empathie für vergewaltigte Frauen hat – von einem Mann vergewaltigt wird und sich aufgrund der "therapeutischen Wirkung" zu einem Frauenversteher entwickelt. Ich vermute und hoffe, dass auch Frauen auf solche Filme gut verzichten können.
Wie bei vielen anderen Filmen bleibt es ärgerlich, wenn Regisseure mit Provokation und umstrittenen Positionen eine Aufmerksamkeit bekommen, die sie mit vernunftorientierten Positionen nicht erreicht hätten.
Provokationen und Lügen lassen sich leider schnell umdeuten – zu Authentizität, Ehrlichkeit und einem "Das wird man doch wohl noch sagen dürfen". Wer einen anstößigen Film macht, wird als glaubwürdiger Kämpfer gegen das Establishment wahrgenommen. Ähnliche Mechanismen kennt man aus der Politik von Donald Trump.
Wie man mit Provokationen auch kluge Filme machen kann, zeigt der spanische Regisseur Pedro Almodóvar: In "Sprich mit ihr" (2002) missbraucht der sympathische Krankenpfleger Benigno eine Koma-Patientin, und in "La mala educación – Schlechte Erziehung" (2004) scheint es in Ordnung zu sein, dass die trans Person Zahara mit einem Schlafenden Sex hat. Die fehlende Einvernehmlichkeit sexueller Handlungen kennt viele Geschichten, die man unterschiedlich erzählen kann.
Die Meinung, dass eine Vergewaltigung die sexuelle Orientierung ändern könne, ist nicht nur falsch und ziemlich naiv, sondern kann grundsätzlich auch gefährlich sein. Man würde "Spetters" jedoch überschätzen, wenn man ihn für kraftvoll genug halten würde, das Denken über "korrigierende" Vergewaltigungen zu verändern. Die sexuelle Orientierung ist kein Lichtschalter.

Links zum Thema:
» "Spetters" auf DVD bei amazon.de
Mehr queere Kultur:
» auf sissymag.de
Informationen zu Amazon-Affiliate-Links:
Dieser Artikel enthält Links zu amazon. Mit diesen sogenannten Affiliate-Links kannst du queer.de unterstützen: Kommt über einen Klick auf den Link ein Einkauf zustande, erhalten wir eine Provision. Der Kaufpreis erhöht sich dadurch nicht.
05:35h, Puls 4:
Auf Streife
Folge 1057: Erniedrigt, weil schwul
Serie, D 2018- mehr TV-Tipps »
Ähm, gehts eigtl noch, lieber Verfasser? Seit wann ist eine Vergewaltigung nur möglichweise fragwürdig? Und seit wann spielt es eine Rolle, aus welchen Motiven vergewaltigt wird, als ob es "gute" oder "schlechte" Vergewaltigungen gäbe???