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Interview
Kevin Kühnert, muss die SPD mehr Queerness wagen?
Juso-Chef und SPD-Vize Kevin Kühnert über sein Coming-out vor zwei Jahren, sozialdemokratische Queerpolitik, sein Verhältnis zu Jens Spahn und das Ausgehen in der Berliner Szene.

Kevin Kühnert ist seit November 2017 Bundesvorsitzender der Jusos und seit Dezember 2019 stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD (Bild: Nadine Stegemann)
8. März 2020, 03:45h 8 Min. Von
Kevin Kühnert wurde am 1. Juli 1989 in West-Berlin geboren. 2005 trat er in die SPD ein und war von 2012 bis 2015 Landesvorsitzender der Jusos Berlin. Seit 2017 ist Kühnert Bundesvorsitzender der Jusos, im Dezember 2019 wurde er mit 70,4 Prozent der Delegiertenstimmen zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden der SPD gewählt. Im März 2018 äußerte sich der Fußball-Fan erstmals öffentlich zu seiner Homosexualität (queer.de berichtete). Vom "Time"-Magazin wurde Kühnert vor zwei Jahren als "Next Generation Leader" gekürt.
Herr Kühnert, frei nach Willy Brandts "Mehr Demokratie wagen" gilt für Sie heute "Mehr Queerness wagen"? Ist die SPD die bessere Partei für schwul-lesbische Belange?
Ich bin ja froh, wenn es mehrere Parteien gibt, die sich für queere Belange einsetzen. Schwule und Lesben sind schließlich keine homogene Interessengruppe, die nur deshalb in eine Partei eintreten, weil sie schwul oder lesbisch sind. Die haben auch Vorstellungen von Wirtschaft, Daseinsvorsorge, Umweltpolitik. Im Feld der Gleichstellungspolitik haben wir nicht ohne Grund viel Liberalisierung unter Rot-Grün in Deutschland durchgesetzt – wie etwa das Lebenspartnerschaftsgesetz. Die SPD setzt sich seit Jahrzehnten gezielt für queere Menschen ein. Auch für diejenigen, die uns nicht wählen.
Welchen Stellenwert hat Queerpolitik im sozialdemokratischen Themenkatalog von Klimawandel, Wohnungsnot, Bildung, sozialer Gerechtigkeit?
Die sozialdemokratische Erzählung beginnt bei der Teilhabe durch Arbeit, bei der Verteilung von Wohlstand – was ja durchaus etwas mit queeren Themen zu tun hat. Schwulen und Lesben ist der Zugang zu vielen Führungspositionen immer noch verwehrt, und queere Menschen erleben leider auch einen Paygap auf dem Arbeitsmarkt. Was wir in der feministischen Bewegung seit über 100 Jahren versuchen zu erstreiten, das gilt hier in ähnlicher Weise. Das Schöne an Werten wie Gleichheit und Solidarität ist ja, dass sie universell für alle gelten. Ich bin beispielsweise super froh, dass wir auch trans Personen in der SPD haben, die aus eigener Erfahrung wissen, warum sie mit uns gegen das aktuelle Transsexuellengesetz kämpfen, weil sie nicht pathologisiert werden wollen.
Jenes "Und das ist gut so"-Coming-out des damaligen Berliner Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit verschaffte ihm hohe Sympathiewerte, die seine schwache politische Bilanz überstrahlte. Hatten Sie ähnliche Strategiepläne, als Sie Ihre sexuelle Orientierung publik machten?
Schwulsein als Sympathiewerbung zu sehen, würde unsere Gesellschaft überschätzen (lacht). Guido Westerwelle und der FDP hat das seinerzeit auch nicht aus der Patsche geholfen. Ganz im Gegenteil. Was Wowereit damals gemacht hat, war schlicht und ergreifend mutig. Erstens war die Welt vor 20 Jahren eine andere als heute. Zweitens ist er einer Zwangsouting-Kampagne der Boulevardmedien zuvorgekommen. Wowereits Bekenntnis zum Schwulsein ebnete Berlin den Weg heraus aus dem Dasein als spießige deutsche Hauptstadt, hin zu einer liberalen, kosmopolitischen Metropole.
Was war Ihre Motivation fürs Coming-out via Interview? Strategie oder spontane Eingebung?
Das Coming-out war kein strategisches Kalkül. Eigentlich war es nicht mal ein Coming-out, denn das liegt bei mir schon 15 Jahre zurück. Ich hatte jedenfalls eine Interviewanfrage des Berliner Szenemagazins "Siegessäule". Damit war klar, dass dieses Thema am Rande eine Rolle spielen könnte. Ich hätte das nicht von mir aus thematisiert, aber ich verheimliche auch nichts oder verleugne Teile meiner Persönlichkeit. Ich habe auf die gestellte Frage wahrheitsgemäß geantwortet, ohne mir dabei tiefer etwas gedacht zu haben. Mein vielleicht naiver Wunsch ist, irgendwann an jenen Punkt zu kommen, an dem man eine sexuelle Orientierung einfach erwähnen kann, ohne dass sofort eine Meldung daraus wird. Offensichtlich sind wir noch nicht so weit.
Wie fielen die Reaktionen auf Ihr Coming-out aus?
Es waren gar nicht die unmittelbar negativen Reaktionen, aber in dem Moment, in dem man als Politiker auch als Homosexueller wahrgenommen wird, mischt sich in viele politische Angriffe eine homophobe Komponente. Die Leute greifen nach einem Talkshow-Auftritt nicht mehr mich in meiner politischen Position an, sondern wählen den Umweg über die Homosexualität, um zu sagen: "Was nimmt die Schwuchtel sich eigentlich heraus? Der soll froh sein, dass nicht die Zeiten von vor 80 Jahren sind. Da hätte man ganz andere Sachen mit ihm gemacht."
Unter Politikerinnen gibt es eine Frauen-Solidarität über Parteigrenzen hinweg. Wie ist Ihr Verhältnis zum offen schwulen CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn. Oder dem Berliner US-Botschafter Richard Grenell?
Ich habe Jens Spahn persönlich noch nie getroffen, von daher hat sich das noch nicht ergeben. Ich würde aber auch sagen, von allen aufgrund der sexuellen Identität angefeindeten Gruppen, sind schwule Männer diejenigen, die sich am ehesten hintenanstellen können, wenn es um Diskriminierungserfahrungen geht. Natürlich werden auch wir angefeindet. Aber bei lesbischen Frauen kommt eine doppelte Diskriminierung hinzu. Bei trans Menschen gibt es die völlige Exotisierung. Schwule sind im Vergleich die gesellschaftlich anerkannteste Minderheit. Ganz viele wollen unbedingt irgendwelche schwulen beste Freunde haben; die Sichtbarkeit schwuler Männer ist höher als die anderer queerer Menschen.
Etliche Politiker verheimlichen Ihre sexuelle Orientierung. Das war in den Achtzigerjahren bei vielen ein offenes Geheimnis, über das mediales Stillschweigen galt. Wie finden Sie anno 2020 einen Satz des deutschen Wirtschaftsministers Peter Altmaier, der sagte: "Der liebe Gott hat es gefügt, dass ich allein durchs Leben gehe"?
Ich habe zum lieben Gott kein sonderlich enges Verhältnis und kann daher nicht beurteilen, ob er anderen ein guter Berater ist. Ob alleinstehend, in einer oder mehrerer Beziehungen oder verheiratet sollte eigentlich keine Rolle spielen. Mir ist wichtig, ein gesellschaftliches Klima zu haben, in dem niemand solch einen Satz sagen muss, wenn er nicht genau so gemeint ist. Aber ich bin nicht naiv, ich weiß, dass es auch im Jahr 2020 solche Geschichten zuhauf gibt. Und zwar nicht nur bei Prominenten, sondern vor allem auch in den Reihen dahinter.
Kann es Nachteile geben für Politiker, sich zur sexuellen Identität zu bekennen?
Natürlich kann es Nachteile haben. Ob die sexuelle Identität ein Karrierehindernis sein kann, hat sicherlich auch etwas mit der Partei und ihren Werten zu tun. Das Mindset einer Partei kann man nicht beschließen oder über das Grundgesetz ändern. Das sind innere Aushandlungsprozesse, die eine Partei durchnehmen muss.
"Lieber ein kalter Krieger als ein warmer Bruder" schwadronierte einst CSU-Chef Franz Josef Strauß. Mittlerweile hat Angela Merkel die Ehe für alle mit ermöglicht – wie sehen Sie die Wandlung der Konservativen?
Angela Merkel die Legalisierung der Homoehe zuzuschreiben, ist dann doch etwas weit hergeholt. Gerade das Abstimmungsverhalten von Merkel in dieser Frage hat mich völlig ratlos zurückgelassen. Mit ihrer beiläufigen Bemerkung während eines Talks mit der Zeitschrift "Brigitte" gab sie der SPD die Möglichkeit, die Entscheidung im Bundestag herbeizuführen. Gleichzeitig hat sie als Abgeordnete dann mit Nein gestimmt. Ich habe das so interpretiert, dass sie nach Abschaffung der Wehrpflicht, dem Einstieg in den Atomausstieg und anderen konservativen Zumutungen einmal zeigen wollte: "Naja, es gibt noch Sachen, da stimme auch ich konservativ ab". Ich kann mir kaum vorstellen – zumal die Begründung so lustlos vorgetragen war -, dass das ernsthaft ihre Position ist. Ich finde es dann aber enttäuschend, weil ich eigentlich von politischen Führungskräften erwarte, in solchen Haltungsfragen nicht taktisch zu agieren, sondern aus einer Überzeugung heraus.
Gleichwohl steht das Ergebnis: Die Ehe ist geöffnet. Was nicht wenige auch mit der CDU verbinden, die heute hinter der Entscheidung steht.
Na gut, das ist bei vielen Dingen so. In Umfragen sagen 45 Prozent, Merkel hätte den Mindestlohn eingeführt. Das ist ja unser großes Leidwesen mit dieser Koalition. So wie der Mindestlohn von uns Sozialdemokrat*innen erkämpft wurde, so hat die CDU eben auch nicht die Öffnung der Homoehe durchgebracht. Nur ein Viertel ihrer Abgeordneten im Bundestag hat dafür gestimmt, der Rest war dagegen oder hat sich enthalten. Mit Stimmen der CDU kam die Homoehe also nicht zustande, sondern es war das einstimmige Votum von SPD, Grünen und Linken. Mit Unterstützung eines erfreulichen Haufens von Unions-Abgeordneten, die aber für die Mehrheit nicht relevant waren.
Eine Mehrheit in der Schweiz sprach sich bei der Volksabstimmung für ein Verbot der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung aus. Wie offensiv gehen Sie als Juso-Chef und SPD-Vize gegen Homophobie und Hate-Crimes vor?
Ich sehe das als gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Zum einen durch die Normalisierung der Normalität: Mit welchen Gesellschaftsbildern schicken wir junge Menschen ins Leben? Muss im Englisch-Buch immer eine Vater-Mutter-Kind-Familie abgebildet werden? Oder kann die nicht einmal anders aussehen? Zum anderen durch eine größere Sensibilisierung der Ermittlungsbehörden. Was passiert eigentlich, wenn eine erkennbare trans Person in der Polizeidienststelle einen Angriff anzeigen will? Wird das ernst genommen? Oder geht man in die Amtsstube nebenan und lacht sich erst mal tot darüber, wie die eigentlich aussieht? Das mag in ganz vielen Fällen nicht so sein, aber allein, dass viele Betroffene diesen Eindruck haben, ist ein Problem. Einstellungsuntersuchungen können uns helfen, solche Diskriminierungsmuster konkret zu bekämpfen.
Können Sie als Promi entspannt in der Szene unterwegs sein? Und neue Bekanntschaften machen?
Wenn ich bei mir zuhause in Szenenkneipen unterwegs bin, überrascht das dort nur wenige. Auch in einer Stadt wie Berlin ist die Zahl der Lokalitäten letztlich begrenzt. Die üblichen Verdächtigen trifft man also immer wieder an den verschiedenen Orten, sei es im SchwuZ, im Melitta Sundström oder im Hafen.
Der Bedarf für eine Tarnkappe besteht bei Ihnen nicht?
Nö. Ich bewege mich in der Berliner Szene seit mittlerweile gut 13 Jahren und kenne einfach viele Leute seit langer Zeit. Da gibt es fast nie die Reaktion: "Oh, das ist Kevin Kühnert, den ich gestern im Fernsehen gesehen habe!". Für die meisten bin ich einfach jemand, der mit ihnen da eben gemeinsam hineingewachsen ist.
Die Gefahr, sich als Promi-Beute für Groupies wiederzufinden, gab es nie?
Das nehme ich jetzt nicht so wahr, ehrlich gesagt.

Bestes Beispiel ist der aktuelle Gesetzentwurf zum längst überfälligen Verbot von "Homoheilung":
im ursprünglichen SPD-Entwurf sollte das generell verboten werden. Für alle Altersgruppen, weil ja auch die Schädlichkeit für alle Altersgruppen wissenschaftlich belegt ist und weil niemand das freiwillig macht, sondern das immer Ergebnis vorheriger Indoktrination und Einreden von Selbsthass ist.
Aber das wollte die Union nicht und prompt ist die SPD wieder mal vor der Union eingeknickt und stimmt zu, dass nur ein Teil der Opfer geschützt werden soll. Obwohl diese Scharlatanerie bei ALLEN Opfern schwerste psychische Schäden verursacht und bis zum Tod führen kann.
Hier geht es um Menschenleben!
Wo sonst will die SPD denn mal hart bleiben, wenn nicht bei Menschenleben?!