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Home Entertainment
Queer in einer Welt am Abgrund
Die Serie "Years and Years" von "Queer as Folk"-Erfinder Russell T. Davies begleitet eine britische Familie bis ins Jahr 2034. Jetzt ist sie endlich auch in Deutschland zu sehen – das Timing könnte besser nicht sein.

"Years and Years" erzählt auch die Liebesgeschichte zwischen dem Wohnungsamt-Mitarbeiter Daniel und dem ukrainischen Flüchtling Viktor (Bild: BBC)
17. März 2020, 06:24h - 3 Min. Von
Eigentlich ist Deutschland mal wieder spät dran. Die Serie "Years and Years", die seit diesem Monat hierzulande auf der Streaming-Plattform StarzPlay (als App oder Channel Apple TV und Amazon Prime) zu sehen ist, erreicht uns mit fast einem Jahr Verspätung, schließlich wurde sie in Großbritannien und auch den USA bereits im vergangenen Frühjahr und Sommer gefeiert.
Doch wenn man so will könnte das Timing nun – erschreckenderweise – nicht besser sein. Nicht nur, weil in Zeiten von Corona alle (hoffentlich!) verstärkt zuhause bleiben und womöglich die Kapazitäten in Sachen Home Entertainment steigen. Sondern auch weil es in "Years and Years" zwar nicht um einen Virus, aber doch um allerlei Ausnahmezustände und eine Welt am vermeintlichen Abgrund geht.
Familiäre Alltagssorgen vor der politischen Weltkulisse
Die neue Serie von Russell T. Davies, der Ende der Neunzigerjahre mit "Queer as Folk" Fernsehgeschichte schrieb, setzt 2019 ein und springt dann im Verlauf von sechs Episoden durch die nahe Zukunft bis ins Jahr 2034. Im Mittelpunkt der Geschichte steht die Familie Lyons, bestehend aus vier erwachsenen Geschwistern in England: Familienvater und Finanzberater Stephen (Rory Kinnear), der schwule Wohnungsamt-Mitarbeiter Daniel (Russell Tovey), die politische Aktivistin Edith (Jessica Hynes), die rund um die Welt in Einsatz ist, sowie die im Rollstuhl sitzende allein erziehende Mutter Rosie (Ruth Madeley).
Dazu kommen ein paar Partner*innen und Kindern sowie Großmutter Muriel (Anne Reid). Familiäre Alltagssorgen spielen sich vor einer politischen Weltkulisse ab, in der Trump – für eine zweite Amtszeit wiedergewählt – Atomkonflikte mit China riskiert und im Post-Brexit-Großbritannien die populistische Unternehmerin Viv Rook (Emma Thompson) zu einer politischen Karriere ansetzt. Doch von Jahr zu Jahr dringen die Probleme der Welt tiefer in das Leben der Lyons' ein.
Von Ausgangssperren bis Fake News
Die Zukunft wie Davies sie zeichnet wird dominiert von den gleichen Themen, die schon unsere heutige Gegenwart beschäftigen. Flüchtlingskrisen und Ausgangssperren, Fake News und veganes Ersatzfleisch, Bankenkrisen und die fatalen Arbeitsbedingungen von Zustellern und Kurieren. Rosie entdeckt bei einem Lover einen Roboter, der längst nicht nur für den Haushalt zuständig ist, und ein pubertierender Lyons-Spross outet sich als trans. Allerdings nicht -gender, sondern -human: sie sehnt sich nach einem digitalen Leben ohne körperliche Beschränkungen.
Das alles ist sehr viel – und nicht unbedingt subtil. Davies zwängt so viele kleine und große gesellschaftliche Themen und Konflikte in seine Drehbücher, dass die wenigsten davon wirklich tiefgründig ausgelotet werden können. Dass er keine futuristischen Szenarien entwirft, die heute noch schwer vorstellbar sind, sondern ganz eng an allem klebt, was uns aktuell umtreibt, ist Stärke und Schwäche von "Years and Years" gleichzeitig. Vieles wirkt gerade deswegen unglaublich real und nah, anderes eher wie eine plakative Übertreibung als eine echte Vision.
Spannendes und absolut zeitgemäßes Fernsehen
Auch etliche Familienmitglieder hätten etwas mehr Tiefe und Konturen in der Figurenzeichnung verdient. Und doch: abschalten mag man keinesfalls, so effektiv und erschreckend, kurzweilig und zu Herzen gehend gelingt Davies die Mischung aus dem dystopischen Schrecken von "Black Mirror" und dem seifenopern-artigen Familiendrama à la "This Is Us". Nicht jedes Detail an "Years and Years" mag stimmig sein, aber spannendes und absolut zeitgemäßes Fernsehen ist die Serie allemal.
Und, das nur als kleines P.S., das Programm von StarzPlay ist auch sonst einen Blick wert. Schließlich sind hier auch Serien wie Gregg Arakis "Now Apocalypse", "Killing Eve" oder "Vida" zuhause, die nicht nur aus queerer Sicht lohnenswert sind.
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