3 Kommentare
- 17.03.2020, 19:02h
- Selbsthass ist absolut unkomisch und gar nicht lustig.
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- 17.03.2020, 20:46h
- Der Film war auch nicht als Schenkelklopfer gedacht.
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Heute vor 50 Jahren – am 17. März 1970 – feierte der Film "The Boys in the Band" seine Premiere. Nun gibt es ein Update: ein neues Theaterstück und einen neuen Film.
Mit dem Film "The Boys in the Band" (1970) – in Deutschland auch bekannt als "Die Harten und die Zarten" – schuf der Regisseur William Friedkin einen Schlüsselfilm des Queer Cinema. Für die Gay Community ist er heute ein historischer Meilenstein, weil er der erste Hollywood-Mainstream-Film war, der sich ausschließlich mit Homosexualität beschäftigte.
50 Jahre nach dem Theaterstück (1968) und dem nicht weniger erfolgreichen Film gibt es nun ein neues Theaterstück (2018) und einen neuen Film (2020). Dieser Erfolg war zunächst nicht absehbar – denn wegen seiner provokanten Form wurde der Film von Schwulen nicht nur geliebt, sondern auch gehasst.
Der Film: "The Boys in the Band" (1970)
Der Film handelt von einer Geburtstagsfeier von insgesamt acht schwulen Freunden mittleren Alters. Die Feier wird von Michael und seinem Geliebten Donald vorbereitet. Nach und nach kommen die Gäste: der feminine Emory, der afroamerikanische Buchhändler Bernard, der maskuline und konservativ wirkende Hank und der Modefotograf Larry.
Die Zusammensetzung der Gruppe scheint bekannten Typisierungen zu folgen: Unter den Schwulen gibt es ein Pärchen, einen Verlassenen, einen trockenen Alkoholiker und Männer, die monogam bzw. in einer offenen Beziehung leben möchten. Mitten in den Vorbereitungen erhält Michael einen Anruf von Alan McCarthy, seinem ehemaligen (heterosexuellen) Collegefreund, der ihn um ein Treffen bittet. Trotz der Party lädt er Alan zu sich in die Wohnung ein. Dieses Auftauchen von Alan verändert die ausgelassene Atmosphäre, weil Michael seine Freunde darum bittet, nicht so auffällig schwul zu wirken.
Zuletzt erscheinen Cowboy-Tex – ein hübscher, aber einfältiger Prostituierter in Cowboy-Outfit, den Emory als "Geschenk" für das Geburtstagskind Harold besorgt hat – und am Ende Harold selbst. Zunächst kommt es zu einem freundschaftlichen Austausch über Beziehungen und Affären, zwischen Harold und Michael jedoch auch zu verletzenden Wortgefechten. Als ein Gewitter beginnt, zieht sich die Gruppe von der Terrasse in Michaels Wohnzimmer zurück. Die Konflikte werden noch durch den Alkohol aufgeheizt. So wechselt im Laufe des Abends die Stimmung von lockerem Smalltalk über die Probleme schwulen Lebens bis hin zu einem Spiel, bei dem jeder seine große Liebe anrufen soll, um ihr seine Gefühle zu gestehen.
Die Bewertung des Films
Der Film wurde nicht nur von Konservativen, sondern auch von Schwulen kritisiert, die die Figuren als selbsthassend und unsympathisch wahrnahmen. Als Mart Crowley, der Autor der Theatervorlage und des Filmdrehbuchs, von Schwulenaktivisten gefragt wurde, warum er keine positiven Erlebnisse homosexueller Männer beschrieben habe, verwies er darauf, dass viele Schwule in den Sechzigerjahren durch die Diskriminierung selbsthassend gewesen seien und er die Situation nicht habe romantisieren wollen.
Von den vielen Rezensionen und Analysen, die zu diesem Film erschienen sind, möchte ich die von Vito Russo fokussieren, der in seinem Standardwerk "Die schwule Traumfabrik. Homosexualität im Film" (1990, insb. S. 140-143) – unter dem Originaltitel "The Celluloid Closet" zuerst 1981 erschienen – stets kluge und kritische Worte über Homosexualität in Filmen findet.
Zunächst bettet er "The Boys in the Band" in seine Zeit ein: Die Entstehung des Films fällt zusammen mit der Wiedergeburt der politisierten US-Schwulenbewegung und damit in eine Zeit, in der ein heterosexuelles Versteckspiel die Regel war. Eine schwule Filmrolle konnte eine Filmkarriere erschweren oder auch beenden. In diesem Fall verlor Robert La Tourneaux nach seiner Rolle als Prostituierter nach eigenen Angaben die Hauptrolle in dem Film "Love Story" (1970) an Ryan O'Neal.
Zum Film selbst hat Russo offenbar eine ambivalente Einstellung: Der Film sei wie ein "Evangelium aufgenommen" worden, obwohl er nur ein "oberflächliches Kompendium von mühelos annehmbaren Stereotypen" sei und aus Schwulenwitzen bestehe, "die sich als Philosophie ausgaben". Die "Figuren waren Verlierer […], aber sie pflasterten den Weg für Sieger". Insgesamt sei der Film zwar nicht positiv, aber doch fair. Der hier gezeigte Selbsthass sei das "beste und zwingendste Argument für die Schwulenbewegung, das jemals von einer populären Kunstform geboten wurde". Die Proteste der neu entstehenden Schwulenbewegung richteten sich nach Russos Meinung gar nicht gegen die Stereotype des Films, sondern nur gegen die als zu einseitig angesehene Sicht auf sie. Der Film sei zwar boykottiert worden, aber unter Berücksichtigung der Tatsache, dass er "aus der Subkultur selber kam".
Die Rolle Hollywoods sieht Russo kritisch. Hollywood hatte das Filmvorhaben zunächst nur mit spitzen Fingern angefasst und in ihm vor allem das "sehr liberale New Yorker Theaterprojekt" gesehen. Es war nicht absehbar, dass "The Boys in the Band" später der "berühmteste Hollywoodfilm" über Schwule werden würde. "Während der Siebzigerjahre gab Hollywood die Stereotypen des Crowley-Stückes nicht auf, sondern arbeitete stetig daran, sie zu festigen." Der Film sei später als "Höhepunkt des Engagements Hollywoods für […] Homosexualität betrachtet" worden – eine Meinung, die Russo erkennbar nicht teilt.
Rückblick: Das Theaterstück (1968)
Grundlage für den Film war das gleichnamige Theaterstück des offen schwul lebenden Mart Crowley (1935-2020). Crowley hatte Mitte der Fünfzigerjahre bei einer Reihe von Film- und Fernsehproduktionen Natalie Wood (Darstellerin in "Denn sie wissen nicht, was sie tun") kennengelernt, die mit Hollywoods Schwulenszene sympathisierte. Crowley wurde zu einem ihrer engsten Freunde, einige Zeit ihr persönlicher Assistent und finanziell von ihr unterstützt. In den Sechzigerjahren arbeitete Crowley erfolglos an einer Reihe von Drehbüchern. In "The Boys in the Band" ließ er zwar persönliche Erfahrungen einfließen, er verstand sich jedoch nie als Homosexuellenaktivist. Nach eigenen Angaben war er eher von dem Wunsch angetrieben, die Wahrheit zu schreiben, und enttäuscht, dass selbst so bekannte schwule Theaterautoren wie Tennessee Williams nie offen über homosexuelle Themen schrieben.
Der Filmtitel "The Boys in the Band" war übrigens ein Filmzitat aus "A Star is Born" (1954), das Crowley für sein Werk übernahm. In "A Star is Born" sagt Norman Main (D: James Mason) zu Esther (D: Judy Garland): "You're singing for yourself and the boys in the band." Auch im Kontext der Szene ist der Dialog von schwulen Bezügen sehr weit entfernt (s. dazu Susan Smith: "The Musical. Race, Gender and Performance", 2005, S. 93-94). Die Übernahme des Zitats wird jedoch etwas verständlicher, wenn man weiß, dass es sich bei "A Star is Born" um einen früheren schwulen Kultfilm handelt, was wohl mit der Schwulenikone Judy Garland und kleineren homoerotischen Anspielungen im Film zusammenhing (s. Filmszene 1:26:45-1:27:35). Gael Sweeney geht in seinem Aufsatz "'Someone at last': Judy Garland and 'A Star is Born'" näher auf das ein, was ihn als schwulen Kultfilm ausmacht, und verweist dabei auch auf diesen Satz (S. 5).
Als "The Boys in the Band" aufgeführt werden sollte, war es schwierig, Schauspieler zu finden, die bereit waren, schwule Charaktere zu verkörpern. Als das Theaterstück am 14. April 1968 am New Yorker Theater "Theatre Four" uraufgeführt wurde, waren zunächst nur fünf Vorstellungen geplant. Es wurde jedoch schnell zu einem großen Erfolg und erst nach der 1001. Vorstellung am 6. September 1970 abgesetzt. Heute werden das Theaterstück und sein Ensemble auch als Beispiel dafür genommen, wie die Immunschwächekrankheit Aids schwules Leben und schwule Kultur zerstört hat, denn zwischen 1984 und 1993 starben der Regisseur Robert Moore, der Produzent Richard Barr und fünf der Schauspieler an den Folgen von Aids.
Unter dem Titel "The Men from the Boys" schuf Crowley 2002 eine Fortsetzung, die 2002 ihre Premiere erlebte, aber weniger erfolgreich war. Beide Teile zusammen wurden als "The Band plays" vermarktet. Letztendlich war Crowley aber nur mit einem Stück erfolgreich – was in der Musik als "one-hit wonder" bezeichnet wird.
Am 8. März 2020 starb Mart Crowley einige Tage nach einer Herzoperation im Alter von 84 Jahren. Auf der Website vom LGBTI-Magazin "Advocate" – dem ältesten LGBT-Magazin der USA – wurde er als bahnbrechender schwuler Dramatiker gewürdigt (8. März 2020).
Die Bewertung des Theaterstücks (1968)
Bei dem großen Erfolg des Theaterstücks darf nicht übersehen werden, dass es, genauso wie später der Film, massiv angefeindet wurde. Konservative lehnten die offene Darstellung von Homosexualität ab; viele Schwulenaktivisten lehnten wiederum die selbstkritischen und tragischen Untertöne des Stückes als Ausdruck schwulen Selbsthasses ab. Der britische "The Guardian" (31. Mai 2018) geht auf die massive Kritik der Schwulenaktivisten ein, die der Meinung waren, dass trinkende, unter Drogen stehende und rummeckernde ("bitching") schwule Männer der Bewegung ganz und gar nicht helfen würden. Nach anderen Quellen soll das Theaterstück mit zum Stonewall-Aufstand von 1969 beigetragen haben. Vielleicht ist dies nur Teil des Stonewall-Mythos – es ist aber angesichts des Bekanntheitsgrades und des Provokationspotenzials dieses Theaterstücks kein grundsätzlich abwegiger Gedanke.
Als das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" zur Reform des Paragrafen 175 StGB seine erste schwule Titelgeschichte veröffentlichte (Cover: "§ 175. Das Gesetz fällt – bleibt die Ächtung?", Heft 20, 1969, s. queer.de), wurden in dem Artikel auch zwei Fotos des Theaterstücks aus dem "Theatre Four" abgedruckt (S. 70-71, hier als PDF), ohne allerdings im laufenden Text näher darauf einzugehen. Wer sich speziell für die Theatervorlage von "The Boys in the Band" interessiert, sei nicht nur auf das lieferbare Textbuch, sondern auch auf das Buch "A Study Guide for Mart Crowley's 'The Boys in the Band'. Drama for Students" (2002) verwiesen, das eine gute Beschreibung des Theaterstücks und seiner Charaktere bietet.
Rückblick: Das Theaterstück in München (1970)
Das Theaterstück wurde von Kai Molvig und Walter Brandin ins Deutsche übersetzt und unter dem Titel "Die Gratulanten" zur Aufführung angeboten. (Bei dem aktuellen Rechteinhaber von "Die Gratulanten" – der Hartmann & Stauffacher GmbH in Köln – bedanke ich mich hiermit recht herzlich für die Zurverfügungstellung des Textbuches für diesen Artikel und für die Abdruckgenehmigung des Zitates für queer.de.) Das deutsche Textbuch ist eine recht genaue Übersetzung und ist daher bei den verwendeten Begriffen wie "amüsante Tunte" und "Arschficker" (S. 180) an einigen Stellen ähnlich derb wie das Original – allerdings wesentlich derber als der Film.
Die einzigen bisher bekannten Aufführungen sind vom Münchner Theater in der Brienner Straße bekannt, wo am 29. September 1970 die Premiere stattfand. Über diese Inszenierung berichtete Dieter Specht im Homosexuellenmagazin "Him". Zunächst ging es dabei um eine Probe, wobei Specht sich von dem "sehr gut besetzten Ensemble" – u a. mit dem Bundesfilmpreisträger Bruno Dietrich (*1939) – beeindruckt zeigte. Die "reizvolle Schmollrolle" Harold war zu diesem Zeitpunkt noch nicht besetzt. Der Regisseur wird mit den Worten zitiert, dass sich "auch der 'normale' Zuschauer" mit dem Stück identifizieren könne. Kritisiert wurde der Theaterbau, der "nicht als ideal bezeichnet" werden könne. Einen Erfolg der Aufführung möchte Specht, "wär's schicklich, durchaus vorausunken". In diesem Fall wäre das Stück auch in Berlin, Hamburg und Düsseldorf gezeigt worden (Heft 10, 1970, S. 31-32).
Zwei Monate später wurde die eigentliche Premiere von Specht allerdings verrissen: Das Stück sei nur eine "flache Theateraufführung ohne erkennbare Intelligenz und wenigstens in Ansätzen wünschenswerte Präzision". Für Specht war es daher nur ein teurer Theaterabend mit "billigem Integrationsgeschwätz" (Heft 12, 1970, S. 12). Weitere Aufführungen in Deutschland sind nicht bekannt. Einer der Schauspieler war übrigens Ron William (*1943, ganz oben auf der Treppe) als Bernard. Später wurde er auch als Polizeichef in der Ralf-König-Verfilmung "Kondom des Grauens" (1996) bekannt.
Die Münchner Premiere des Theaterstücks wurde vermutlich bewusst zeitnah zur deutschen Premiere des Films am 30. Oktober 1970 angesetzt. In beiden genannten "Him"-Heften wird auch auf den Kinofilm eingegangen. Es bestand die Hoffnung, dass er auch von einer der beiden deutschen Fernsehanstalten gezeigt werden würde (Heft 10, 1970, S. 32).
Später kritisierte der Autor nicht nur den deutschen Verleihtitel "Die Harten und die Zarten", sondern äußerte sich auch skeptisch darüber, wie sich der Inhalt des Films über die "lieben alten Schwuchteln und müden Tunten" wohl noch auswirken werde. Die Verfilmung werde "einen großen Teil des Publikums schockieren. Ob sie aber gleichzeitig den Rahmen der Diskussion und die Bereitschaft zum Verständnis des Themas Homosexualität 'wesentlich erweitern' wird, wie der Verleih ebenfalls hellseherte, wage ich entschieden zu bezweifeln" (Heft 12, 1970, S. 13).
Vergleiche mit anderen Filmen
Man kann Parallelen zu dem Film "Die Katze auf dem heißen Blechdach" (1958) sehen, der ebenfalls auf einem Theaterstück (von Tennessee Williams) beruhte. Die kammerspielartige Inszenierung, das Zusammenkommen zu einer "Familienfeier" mit eskalierenden Konflikten und einem dazu passenden donnernden Gewitter. Weil Mart Crowley Tennessee Williams offen kritisierte, weil dieser Homosexualität fast nur als Subtext thematisierte, lässt sich "The Boys in the Band" auch als eine Art explizit schwules Gegenstück zu "Die Katze auf dem heißen Blechdach" verstehen.
Um den Film vor dem Hintergrund seiner Zeit und der gesellschaftlichen Situation besser zu verstehen, bieten sich mehrere Filme zum Vergleich an. Naheliegend ist ein Vergleich mit dem deutschen Film "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt" (1971), der kurz danach entstand und ebenfalls ausschließlich Homosexualität behandelt. Beide Filme haben ein hohes Maß an emanzipatorischem Potenzial, weil sie schwules Leben aus der Innensicht schildern und – auch mit Klischees und Typisierungen – bewusst überzeichnen und provozieren wollen. Beide leiteten den Beginn einer neuen Homosexuellenbewegung ein und wurden zu wegweisenden Schlüsselfilmen, die ein Schlaglicht auf die jeweilige Situation in den USA bzw. der Bundesrepublik Deutschland werfen.
Ein Vergleich lässt sich auch zu "Cruising" (1980), einem Spielfilm über einen schwulen Serienmörder, ziehen. Beide Filme über Homosexualität stammen schließlich vom selben Regisseur William Friedkin. Beide provozierten, führten zu Boykott-Aufrufen und heftigen Kontroversen in der schwulen Szene wegen einer Darstellung, die als zu negativ empfunden wurde. Der große Unterschied besteht jedoch darin, dass "Cruising" keinerlei emanzipatorische Absicht erkennen lässt, sondern sich im Gegenteil nur für die "atmosphärische Ausbeutung" der Gay Community (Lexikon des internationalen Films) interessiert.
In seinem oben bereits zitierten Buch kommt Vito Russo auf andere Vergleiche: Sowohl "The Boys in the Band" (1970) als auch der Lesbenfilm "Killing of Sister George" (1968) schienen die homosexuelle "Erfahrung für das amerikanische Publikum zusammenzufassen und sogar zu prägen. Beide Filme gaben detaillierte, aber abweichende Erklärungen über die Natur des Versteckens ab, und beide wurden als endgültige Porträts des [homosexuellen] Lebens angesehen." Die Protagonistin George sei die Einzige "in dem Film ["Killing of Sister George"], die sich für die lesbische Liebe engagiert – und sie ist diejenige, für die es unmöglich ist, es zu verbergen (wie der tuntige Emory in 'The Boys in the Band')" (S. 136-138).
Einen zweiten Vergleich unternimmt Russo anhand des schon ein Jahr vorher erschienenen Films "The Gay Deceivers" (1969, dt.: "Ein Stall voll süßer Bubis"), der ebenfalls ausschließlich Homosexualität behandelte, mit Wörtern wie "fag" und "queer" provozierte und vorgab, ein "Stück schwulen Lebens" wiederzugeben. Zwei Heteros versuchen hier, dem Wehrdienst zu entgehen, indem sie sich als Homosexuelle ausgeben (S. 149-150). Hier werden ebenfalls Klischees aufgegriffen, wobei die Form der Inszenierung jedoch jede innere Sensibilität für Schwule vermissen lässt.
Sehr passend finde ich Russos Vergleich mit dem Film "Staircase" (1969, dt.: "Unter der Treppe"), in dem die prominenten Schauspieler Rex Harrison und Richard Burton ein schwules Paar und seine alltäglichen Sorgen verkörpern. Er ist – wie Russo treffend formuliert – eine Kreuzung aus "Wer hat Angst vor Virginia Woolf" und "The Boys in the Band" (S. 154-155). Dieses schwule Paar lebt wie eine Heteropaar, wobei jedoch – im Gegensatz zu "The Boys in the Band" – nichts auf eine schwule Szene oder eine eigene schwule Kultur verweist.
50 Jahre später: Das neue Theaterstück (2018)
Anlässlich des 50. Jahrestages kam das Theaterstück von 1968 noch einmal zur Aufführung und war im New Yorker "Booth Theatre" vom 30. April bis zum 11. August 2018 zu sehen. Alle Schauspieler dieser Theaterproduktion sind offen schwul, wie u.a. Jim Parsons, der als Sheldon Cooper aus der US-amerikanischen Sitcom "The Big Bang Theory" (2007-2019) und durch den schwulen Kinofilm "The Normal Heart" (2014) auch in Deutschland bekannt wurde. Auch diese Produktion war erfolgreich und wurde 2019 mit dem Tony Award für die beste Wiederbelebung eines Theaterstücks ausgezeichnet.
Zu Beginn der Besprechung im britischen "The Guardian" (31. Mai 2018) macht der Autor Alexis Soloski den Leser darauf aufmerksam, dass in diesem Theaterstück Wörter wie "faggot" bzw. "cocksucker" fallen und dass sich ein Schwuler selbst als eine "32-year-old, ugly, pockmarked Jew fairy" bezeichnet. Damit verweist er auf die politische Unkorrektheit als ein wesentliches Element des Stückes. Die "witzige Komödie über queeren Selbsthass" ("a witty comedy […] of queer self-loathing") wird von ihm aber vor allem gelobt. 50 Jahre nach der Erstaufführung sieht er zudem auch eine gute Möglichkeit, auf die Veränderungen der schwulen Szene einzugehen. So wäre ein Theaterstück, das wie dieses nur von offen schwulen Schauspielern bestritten wird, vor einigen Jahrzehnten noch unvorstellbar gewesen.
Das neue Thema Aids wird im Theater eingefügt, auch wenn sich Aids – so der Autor – gerade von einer unheilbaren zu einer chronischen Krankheit entwickele. Es gibt einen Satz von Michael, der bei Soloski hängen geblieben ist (und den auch viele aus dem Film kennen): "Wenn wir nur lernen könnten, uns nicht so sehr zu hassen." Für Soloski ist heute aber nicht mehr der Selbsthass, sondern vor allem der Hass von anderen auf Schwule das Problem, wobei er ausdrücklich die derzeitige US-Regierung unter Trump mit einschließt. Dieser Hass auf Schwule sei – in Anlehnung an das Theaterstück – der wahre "party killer".
50 Jahre später: Der neue Film (2020)
Im April 2019 wurde angekündigt, dass "The Boys in the Band" neu verfilmt und 2020 bei dem Streaming-Dienst Netflix veröffentlicht wird. Für diese Verfilmung wurde die gesamte Besetzung der Theaterinszenierung von 2018 übernommen, so dass nun auch der Film ausschließlich mit offen schwulen Schauspielern – einschließlich Jim Parsons – besetzt sein wird. Einen genauen Termin für die Filmpremiere gibt es noch nicht. Abgesehen vom Filmplakat ist fast noch nichts über diesen Film bekannt; in der IMDB ist nur ein Interview mit Andrew Rannells and Tuc Watkins zu sehen, die das Stück für die Neuverfilmung adaptiert haben.
Was bleibt
"The Boys in the Band" (1970) ist ein spannendes Zeitdokument, bei dem schon die kammerspielartige Inszenierung des Films auf die Herkunft aus dem Theater verweist. Diese Inszenierung auf engem Raum trägt zu einem intensiveren Schauspiel bei.
Mit diesem Film wurde Crowley auch in Deutschland bekannt. "The Boys in the Band" ist mittlerweile auch auf DVD erhältlich. Queer.de hat 2013 und 2018 auf den Inhalt des Films und die entsprechenden DVD-Versionen aufmerksam gemacht. Auch die Hintergründe zu dem Film sind mittlerweile gut dokumentiert, zum Beispiel durch die vortreffliche Dokumentation "Gefangen in der Traumfabrik" (1995, hier 59:30-1:03:50), in der sich Crowley im Interview zu einzelnen Szenen des Films äußert. Auch das "Making off" von "The Boys in the Band" mit dem Titel "Making the Boys" (2011, 90 Min., hier als Auszug bei Youtube in 24:48 Min.) und der "Theater Talk: Stonewall Special: Looking Back at 'The Boys in the Band'" (2013) mit Mart Crowley können empfohlen werden.
Nach einem halben Jahrhundert hat der Film nichts von seinem Charme verloren. Andere Filme wie "The Gay Deceivers" (1969) sind für Heteros gemacht, strotzen nur so von Klischees und wurden produziert, damit sich Heteros über Schwule lustig machen. "The Boys in the Band" (1970) ist dagegen für Schwule gemacht und spielt auf geschickte Weise mit Klischees. Diesem Film gelingt die schwierige Gratwanderung, ein Unterhaltungsfilm zu sein, Probleme anzusprechen und sich gleichermaßen eine innere Sensibilität für schwule Lebenswelten bewahrt zu haben.
Heute hat der Film zu Recht einen Kultstatus, unabhängig davon, welche Rolle das Theaterstück und der Film zu den Zeiten von Stonewall innehatten. Auf "The Boys in the Band" (2020) bin ich sehr gespannt!
Links zum Thema:
» "The Boys in the Band" (1970) auf DVD und Blu-Ray
Mehr queere Kultur:
» auf sissymag.de
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Als Mart Crowley, der Autor der Theatervorlage und des Filmdrehbuchs, von Schwulenaktivisten gefragt wurde, warum er keine positiven Erlebnisse homosexueller Männer beschrieben habe
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Ganz einfach deshalb, weil es in den 1960ern (zumindest bis 1968 und auch dann erst sehr langsam) nicht viele positive Erlebnisse für schwule Männer gab.