Little Big erzielen mit witzigen und vermeintlich witzigen Songs und Videos riesige Erfolge in Russland
In sozialen Netzwerken steigt die Empörung über die russische Band Little Big, die ihr Land beim diesjährigen Eurovision Song Contest in Rotterdam vertreten soll. Vor wenigen Tagen machte das Portal xgay.ru auf ein Video aufmerksam, das die Band 2017 rund um ein Konzert im belgischen Brüssel veröffentlicht hatte.
Zu sehen sind Mitglieder der Band, darunter Sänger Ilya Prusikin, wie sie vorgeblich versehentlich in den Brüsseler CSD geraten und dabei von "Schwuchteln" reden, diverse Anspielungen auf Analverkehr machen oder eine "Parade für Vagina-Liebhaber" fordern. Entsprechende Ausschnitte des Tourvideos hat ein litauischer Blogger, der sich "schockiert" über Sprache und Haltung der Band zeigte, inzwischen mit englischen Untertiteln auf Youtube veröffentlicht.
Keine Verbündeten der Community
Das queere Nachrichtenportal Xgay.ru hatte vor wenigen Tagen auf das homo- und transfeindliche Video hingewiesen, weil das britische Portal Pink News zuvor das Musikvideo zum Eurovision-Beitrag der Band als angeblich queerfreundlich beschrieben hatte. So deutete es einen Tänzer in dem Video zu "Uno" als Parodie auf Tschetscheniens Machthaber und Schwulenverfolger Ramsan Kadyrow und behauptete, die Farbwahl in dem Video drücke "Solidarität mit Transpersonen" aus – die vorherrschenden Farben seien jene der Trans-Flagge.
Xgay.ru und viele russische LGBTI in sozialen Netzwerken hatten sich über diese "gewagte" bis "schwachsinnige" Interpretation des Videos belustigt und empört – zumal sie sich auf vielen weiteren queeren Nachrichtenseiten weltweit weiterverbreitete und die Band für ihre vermeintlich queerfreundliche Haltung in sozialen Netzwerken gefeiert wurde. Man sei traurig, dass "homophobe Bandmitglieder von einigen Mitgliedern unserer Community fälschlicherweise als Verbündete wahrgenommen werden", schreibt der Blogger Geizeris zur Motivation, die homophoben Videoausschnitte zu übersetzen. In der inzwischen eingesetzten Debatte zu dem Video verteidigten zugleich einige russische ESC-Fans die Band, die sich über alles und jeden lustig mache und in dem Video auch betone, nichts gegen Homosexuelle zu haben.
Qua vadis ESC?
Noch ist unklar, wie die Eurovision-Macher auf eine aufkommende Empörung über homofeindliche Aussagen eines ESC-Teilnehmers reagieren könnten. Bestimmt wurde er vom russischen Fernsehen kurz vor Ablauf der Einreichungsfrist des jeweiligen nationalen Beitrags bei der EBU.
Derzeit steht die für den Contest verantwortliche EBU-Referenzgruppe allerdings vor einer grundlegenderen Entscheidung. Bei einem Treffen am Dienstag beriet sie darüber, ob und wie der für Mitte Mai in Rotterdam geplante Contest angesichts der Corona-Krise überhaupt stattfinden kann. Fans hatten vor allem eine Verlegung um einen oder mehrere Monate oder eine Show ohne Publikum debattiert. Eine Bekanntgabe einer Entscheidung wurde für "in Kürze" versprochen – es gibt erste internationale Medienberichte, die EBU könnte stattdessen den Wettbewerb für dieses Jahr komplett absagen.
41 Länder sollten beim ESC in Rotterdam antreten, 26 von ihnen im Finale am 16. Mai. Für Irland sollte die lesbische Sängerin Lesley Roll auftreten, für die Gastgeber der schwule Sänger Jeangu Macrooy (queer.de berichtete). Der NDR hatte Ben Dolic mit "Violent Thing" ausgewählt. (nb)
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