
https://queer.de/?35753
Polen
Städtepartnerschaften nutzen, nicht beenden!
Die "LGBT-freien Zonen" in Polen sind ohne Frage menschenverachtend. Doch gerade jetzt geht es darum, die Menschen in den betroffenen Städten und Gemeinden zu unterstützen, die sich gegen Homophobie stellen.

Das Magazin "Gazeta Polska" verbreitete im letzten Sommer Aufkleber mit durchgestrichenen Regenbogen und dem Aufruck "LGBT-freie Zone"
- Von Thomas W. Schmitt
22. März 2020, 07:13h 3 Min.
International wächst der Protest gegen die von der rechtskonservativen Wochenzeitung "Gazeta Polska" und mit Unterstützung durch die PiS-Regierung initiierte Kampagne, bei der sich polnische Gebietskörperschaften durch Beschlüsse in kommunalen Räten entweder "zum Schutz der Rechte von Familien" oder gegen die Verbreitung der sogenannten LGBT-Ideologie zu "LGBT-freien Zonen" erklären (queer.de berichtete).
Dass Menschen in einem EU-Mitgliedsstaat mit Unterstützung der Regierungspartei unterdrückt und diskriminiert werden, ist aus meiner Sicht unsäglich. Diese Kampagne ist höchst diskriminierend und menschenverachtend, ganz zu schweigen von den individuellen Folgen für das alltägliche Leben lesbischer, schwuler, bi-, trans- oder intersexueller Menschen vor Ort.
Jüngst regt sich jedoch gerade von deutscher Seite in Bezug auf bestehende Städte- und Regionalpartnerschaften Widerstand gegen diese Art von Beschlüssen und die Haltung vieler polnischen Partner. Zu den humanitären Werten, die wir in der Europäischen Union teilen, stehen diese Anti-LGBT-Beschlüsse in deutlichem Widerspruch. Humanitäre Werte und der Wille zum Schutz der persönlichen Entfaltung sollten jedoch nichts Trennendes, sondern etwas sein, was europäische Partner zusammenschweißt.
Städtepartnerschaften als eine Art "Stresstest"

Unser Gastkommentator Thomas W. Schmitt ist Landesvorsitzender der LSU Saar
Und so stellt sich natürlich unmittelbar die Frage nach dem richtigen Umgang in der Partnerschaft, wenn ein Partner sich von den eigenen Werten entfernt. Soll die Partnerschaft eine Zeit lang ruhen, sozusagen "auf Eis gelegt" oder gar beendet werden, wie es manche LGBTI-Aktivisten fordern? Oder kann dies eher eine Prüfung sein, wie belastbar solche Partnerschaften sein können, quasi eine Art "Stresstest", wenn es um grundlegende Werte wie Würde, Freiheit oder Gleichbehandlung geht?
Ich bin der Meinung, eine bestehende Beziehung sollte in mehrfacher Hinsicht genutzt werden: um Druck auszuüben, für Verständnis zu werben und über den konstruktiven Streit miteinander möglicherweise den Weg zur Einsicht oder zur Umkehr zu bewirken. Es geht dabei auch darum, den Bevölkerungsteil in den polnischen Städten und Gemeinden zu unterstützen, der sich gegen Homophobie stellt. Denn die gefassten Ratsbeschlüsse repräsentieren nicht zwangsläufig die Meinung der gesamten Bevölkerung vor Ort.
"Wandel durch Annäherung" ist der überlegenere Weg
Das hat zum Beispiel die Partnerstadt Tuchów der saarländischen Gemeinde Illingen gezeigt. Der Bürgermeister der Gemeinde Illingen hatte kürzlich zum Ausdruck gebracht, dass es seiner Gemeinde ganz wichtig sei, dass die Bürgermeisterin Magdalena Marszałek klar gesagt hat, dass sie diese Zonen ablehnt. Denn auch wenn der Stadtrat in Tuchów diesen Beschluss gefasst hat, so distanziert Magdalena Marszałek sich von dieser Entscheidung. Nach eigener Auskunft war sie nicht die Initiatorin der Resolution und hat eine andere Meinung als der Stadtrat in Tuchów.
Und so gibt es neben der Bürgermeisterin sicher auch viele Mitbürgerinnen und Mitbürger in Tuchow, die dieselbe Meinung teilen und sich klar gegen Homophobie aussprechen. Mit einem Abbruch der Partnerschaft würde man nicht nur die oppositionellen Kräfte, sondern auch betroffene LGBTI in der Stadt alleine zurücklassen. Hart und konfrontativ lassen sich Differenzen selten auflösen.
Ein Vorgehen, das sich an der bekannten Formel "Wandel durch Annäherung" orientiert, ist hier der überlegenere Weg. So kann gerade auf der lokalen Ebene über die Vielzahl partnerschaftlicher Beziehungen etwas in Bewegung gebracht werden, wo sich die Ebene der große Politik als zu starr und unbeweglich erweist. Das sollten wir nutzen, um schrittweise und im Kontakt mit den Verantwortlichen und oppositionellen Kräften in den einzelnen Kommunen den Status quo zu verändern.

Mit Abwertung und Selbstgerechtigkeit kommt man nicht weiter