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Interview
"Viele schwule Missbrauchsopfer haben sich umgebracht"
Regisseur François Ozon über seinen Film "Gelobt sei Gott", der jetzt auf DVD und Blu-ray erhältlich ist, und wie es zu dieser scharfen künstlerischen Abrechnung mit der katholischen Kirche kam.

Szene aus "Gelobt sei Gott": François Ozon hat für seinen fiktionalen Film die realen Ereignisse um den Missbrauchsskandal in Lyon verarbeitet (Bild: Pandora Film)
27. März 2020, 05:39h 4 Min. Von
François Ozon gehört nicht nur zu den fleißigsten und erfolgreichsten Regisseuren Frankreichs, er ist auch einer der vielseitigsten. "Gelobt sei Gott", sein 18. Spielfilm seit 1998, ist ein sehr ernstes, aufwühlendes, aber fast sprödes Drama über Missbrauch in der katholischen Kirche – und könnte damit nicht weiter entfernt sein von den beiden Vorgängern, dem schwarzweißen Liebesdrama "Frantz" und dem Erotikthriller "Der andere Liebhaber".
Anlässlich des Films, der 2019 auf der Berlinale den Großen Preis der Jury gewann und nun auf DVD und Blu-ray erscheint, trafen wir den schwulen Filmemacher, dessen Werk auch so unterschiedliche Filme wie die Fassbinder-Adaption "Tropfen auf heiße Steine", "8 Frauen", "Swimming Pool", das HIV-Drama "Die Zeit, die bleibt" und die Crossdressing-Geschichte "Eine neue Freundin" umfasst, zum Interview.
Ozons nächster Film "Eté 1984" ist übrigens längst im Kasten und wird noch in diesem Jahr Premiere feiern.
Monsieur Ozon, ursprünglich wollten Sie eine Dokumentation über das Thema drehen. Warum wurde es am doch ein Spielfilm?
Zum ersten Mal in meinen Leben habe ich für einen Film investigative Recherchen unternommen wie sie sonst Journalisten machen. Auf der Webseite der Opfer habe ich ihre Aussagen gelesen und alle Presseberichte durchforstet, später habe ich mich mit den Männern selbst getroffen, aber auch mit ihren Familien und Anwält*innen gesprochen. Aber ich merkte schließlich, dass die meisten von ihnen nach jahrelangen Interviews und Fernsehreportagen eigentlich gerne wieder in der Anonymität verschwinden wollten. Der Gedanke, dass jemand einen Spielfilm über ihre Geschichte dreht und damit womöglich noch einmal eine ganz andere Reichweite erreicht, schien ihnen dagegen gut zu gefallen.
"Gelobt sei Gott" ist hochaktuell, erst im vergangenen Juli wurde der Kardinal, um den es im Film geht, seines Amtes enthoben. Wollten Sie sich aktiv einmischen in den Fall und ein Statement setzen?
Wie in allen meinen Filmen ging es mir zuvorderst darum, eine intime, persönliche Geschichte zu erzählen. Warum schweigen Opfer manchmal 30 Jahre lang? Welchen Mut braucht es, sich dann doch über einen Missbrauch zu äußern? Und welche Auswirkungen hat ein solcher Schritt nicht nur auf das Opfer, sondern auch auf sein Umfeld? Diese Fragen beschäftigten mich mehr als etwa die Hierarchien auf der Täterseite. Trotzdem war es mir wichtig, in ihrem Fall die echten Namen zu verwenden und auch juristischen Ärger dafür in Kauf zu nehmen. Von daher ging es mir natürlich schon auch um die unmittelbare Relevanz dieses Falles.
Warum ist eigentlich keiner der Männer, von denen Sie im Film erzählen, schwul?
Ich habe tatsächlich gezielt recherchiert, um Missbrauchsopfer zu finden, die sich später als schwul geoutet haben. Aber viele der Betroffenen, mit denen ich gesprochen habe, berichteten mir, dass das nicht selten die Männer waren, die sich irgendwann umgebracht haben. Weil es ihnen nach den Erfahrungen in ihrer Kindheit so schwerfiel, ihre eigene Sexualität zu akzeptieren.

Die deutsche Synchronfassung von "Gelobt sei Gott" ist jetzt auf DVD und Blu-ray erhältlich
Welche Erfahrungen haben Sie selbst eigentlich mit der katholischen Kirche?
Die Erstkommunion habe ich noch hinter mich gebracht, doch danach war meine katholische Laufbahn auch recht schnell beendet. Mit Glauben konnte ich einfach nie sonderlich viel anfangen.
Aber Sie haben keine negativen Erfahrungen gemacht?
Nein, aber während der Arbeit an dem Film erinnerte ich mich plötzlich an eine Situation aus meiner Kindheit, an einen Priester, der mit uns Verstecken spielte. Dieser Mann hat damals nichts mit mir gemacht, aber er hätte es problemlos tun können. Mit einem Mal spürte ich fast körperlich diese Schutzlosigkeit, der Kinder in solchen Verhältnissen ausgesetzt, immer noch und überall auf der Welt.
Ihre Filme sind immer wieder höchst unterschiedlich, man erkennt nicht unbedingt einen roten Faden oder eine Handschrift, die sie miteinander verbindet…
Alle meine Filme sind für mich sehr persönlich, denn ich bringe in jeden meine eigene Sichtweise ein. Manchmal aktiver, manchmal eher als Zuhörer, wie jetzt im Fall von "Gelobt sei Gott". Ich bin nur eben kein Regisseur, für die jeder Film zum Egotrip wird, weil sich alles nur um sie dreht. Sondern eher vom Schlag der Kollegen der Vierziger und Fünfziger, die von Komödien über Musicals und Western bis hin zu Dramen alles auf dem Kasten hatten.
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Gelobt sei Gott. Drama. Frankreich 2018. Regie: François Ozon. Darsteller: Melvil Poupaud, Denis Ménochet, Swann Arlaud. Laufzeit: 137 Minuten. Sprache: deutsche Synchronfassung, französische Originalfassung. Untertitel: Deutsch (optional). FSK 6. Pandora Film

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Leistet die Kunst das nicht, wird Sex in unseren Köpfen zur Pest. Wer den Sex nicht ehrt, ist die Liebe nicht wert.