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Video-on-Demand
Die Angst vor dem eigenen Mister Hyde in sich
Niemand weiß, dass Markus pädosexuell ist: Savas Ceviz' Debütfilm "Kopfplatzen" mit Max Riemelt in der Hauptrolle ist eine beklemmende Studie über jemanden, der seine Unschuld verloren hat, ohne – bislang – schuldig geworden zu sein.

salzgeber.de gezeigt (Bild: Salzgeber) Körper von kleinen Jungen erregen ihn: Max Riemelt spielt in "Kopfplatzen" den pädosexuellen Markus, der auf den achtjährigen Nachbarsjungen Arthur aufpassen soll. Der Film wird exklusiv als Video-on-Demand im neuen "Salzgeber Club" auf
- Von Andreas Wilink
4. April 2020, 09:11h 3 Min.
Markus fühlt sich zu kleinen Jungen hingezogen, findet sie erotisch, attraktiv, erregend. Als er nach langem Zögern seinem Hausarzt das Bekenntnis macht, setzt der ihn vor die Tür. Lässt ihn allein mit einem Begehren, dem er nicht nachgeben will, für das er sich schämt, das er bekämpft, aber das stärker ist als sein Wille. Stärker auch als sein Selbstekel und seine Scham. Die Momente, wenn Markus vor Bildern von Kindern im Internet oder selbst geschossenen Fotos, für deren Entwicklung er sich eigens ein Labor eingerichtet hat, masturbiert, haben mehr von Verzweiflung, als von Lusterzeugung.
Die Lust, der Ekel und die Angst
Der Psychotherapeut sagt ihm, dass er für seine Neigung nicht, wohl aber für seine Handlungen verantwortlich sei und es Heilung nicht gebe. Nur Ausweichen und Vermeiden dem mit Haut und Haar Verfallen-Sein. Wie es aushalten, wenn dies die Perspektive für ein ganzes Leben ist? Hat diese 'Passion' nicht etwas von mythischer Pein – Tantalus-Qualen und Sisyphos-Anstrengung?
Markus steht am Fenster und sieht Kindern beim Spielen zu, folgt ihnen aus dem Bus heraus, beobachtet sie beim Duschen, fotografiert sie im Schwimmbad, zögert den Moment heraus, bevor er den Blick abwenden muss, damit es nicht auffällt, bricht den Kontakt zu Chatrooms ab, deren Anzüglichkeiten und Vulgarität ihn abstößt. Und immer die Angst, erwischt zu werden, und als allergrößte: die Angst vor dem eigenen Mister Hyde in sich.
Als die allein erziehende Jessica mit ihrem Sohn Arthur in dem Haus einzieht, in dem auch Markus wohnt, entwickelt sich zwischen den Dreien Freundschaft und Vertrauen und zwischen Markus und Arthurs Mutter eine Affäre. Eine der abgründigsten Szenen ist, wenn Markus, während er mit Jessica schläft, eine Fotografie von Arthur fixiert. Doch sein Geheimnis bleibt nicht unentdeckt. Er fällt aus allen Bindungen. Er macht Ordnung – äußerlich. Löscht alles aus, was ihn erinnern und stimulieren könnte. Aber damit verbrennt er sein Leben.

Gefährliche Freundschaft: Jessica, Arthur und Markus (Bild: Salzgeber)
Der "Dialog" mit dem Wolf
Das Debüt von Savas Ceviz ist eine stille, beklemmende Studie über jemanden, der seine Unschuld verloren hat, ohne – bislang – schuldig geworden zu sein. Immer wieder besucht Markus im Zoo einen Wolf hinter Gittern, tritt mit dem Tier in Augenkontakt, sucht den Blick und hält ihm stand. Einmal fletscht der Wolf die Zähne und knurrt ihn an. Einmal heult er – es klingt wie ein Notruf. Markus erhofft sich einen "Dialog" auf Augenhöhe. Aber wo beim Wolf – aus guten Gründen – Instinkt regiert, steht Markus vor seinem Gewissen. Vor diesem Tribunal ist er Richter und Staatsanwalt in einer Person, nicht Anwalt in eigener Sache. Wie auch!
Max Riemelt, Idealbild des grundsympathischen jungen Mannes, das er schon in Cate Shortlands "Berlin Syndrom" als Andi rigoros brach, meistert großartig diese Rolle – und einen verzweifelten Monolog, der nicht weniger erschütternd ist als der von Peter Lorre in "M". Aber anders als bei Fritz Lang hat hier die Kriminalpolizei keinen Auftritt. Markus bleibt allein mit sich und mit einer Handvoll Tabletten.
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Kopfplatzen. Drama. Deutschland 2019. Regie: Savaş Ceviz. Darsteller: Max Riemelt, Oskar Netzel, Isabell Gerschke, Luise Heyer. Laufzeit: 99 Minuten. Sprache: deutsche Originalfassung. Verleih: Salzgeber. Exklusiver VoD-Start am 2. April 2020 auf salzgeber.de

Links zum Thema:
» "Kopfplatzen" als VoD auf salzgeber.de
Mehr zum Thema:
» Interview: Warum Max Riemelt einen Pädosexuellen spielt (02.04.2020)
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14:15h, arte:
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