
https://queer.de/?35853
Corona-Krise
Warum Anthony Fauci ein Segen für LGBTI ist
Das prominenteste Mitglied von Präsident Trumps "Corona Task Force" ist der derzeit meistgeliebte und meistgehasste Wissenschaftler der USA. Und für schwule HIV-Aktivisten ein guter, alter Bekannter, mit dem sie viel verbindet.

The White House / flickr) Anthony Fauci (Mitte) während einer Pressekonferenz des Weißen Hauses (Bild:
- Von Paul Schulz
6. April 2020, 15:17h 5 Min.
Anthony Fauci wurde am 24. Dezember 1940 in New York als Sohn eines italienischen Einwanderers und Apothekers geboren. Er ist Katholik, seit 35 Jahren verheiratet und hat drei Töchter. Fauci ist in den letzten Wochen als Mitglied von Präsident Trumps "Corona Task Force" derjenige, der dem Präsidenten dann und wann öffentlich widerspricht, wenn Trump gar zu großen Unsinn redet. Seit letzter Woche wird Fauci, nach Morddrohungen aus dem rechtsextremen Lager gegen ihn, von Bodyguards begleitet. Der 79-Jährige ist der derzeit meistgeliebte und meistgehasste Wissenschaftler der USA. Aber er hat, so sagt er selbst, "keine Angst".
HIV-Aktivist*innen weltweit wird das nicht wundern. Die kennen Fauci seit fast 40 Jahren. Und wissen, dass er derzeit der genau richtige Mann an der richtigen Stelle ist. Denn Fauci hat seit 36 Jahren den gleichen Job: Er ist Leiter des National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID) und hat in dieser Funktion die US-Politik bei jeder Epidemie der letzten vier Jahrzehnten mitbestimmt – von Aids über Sars bis Ebola.
Und das kam so: 1981 war Fauci Leiter des Forschungslabors von NIAID und las weitgehend unbeachtete Forschungsberichte über eine Reihe von Todesfällen unter schwulen Männern in New York und San Francisco, deren Immunsystem komplett zusammengebrochen war. Niemand wusste warum. Im Gegensatz zu vielen anderen Kolleg*innen erkannte Fauci, was er da las, und erkannte auch, wozu es führen konnte. In nur wenigen Monaten widmete Fauci sein gesamtes Labor der Forschung an der neuen Epidemie und wurde so zu einem der noch heute führenden Experten in der HIV-Forschung. Er hatte, im Gegensatz zu Ronald Reagan – dem zweiten von sechs Präsidenten, unter denen er arbeitete – einen immensen Vorteil bei der Zusammenarbeit mit den Infizierten: Er war nie homophob.
Der Wissenschaftler rettete Hunderttausenden das Leben
HIV-Aktivist und ACT UP-Mitbegründer Peter Staley (bekannt aus der Dokumentation "AIDS – Kampf ums Leben" bzw. "How to Survive a Plague") erinnert sich in einem Interview: "Er hatte einfach keine Angst vor uns. Wir waren laut, fordernd und sicher auch ein wenig nervig. Aber Fauci lud uns alle paar Monate zu ausufernden Abendessen ein, bei denen wir die Lage besprachen und gemeinsam Pläne schmiedeten. Da fuhren wir immer zu dritt oder viert hin. Was nötig war, weil man in Einzelgesprächen sehr schnell seinem Charme erlegen wäre."
Dieser Charme, und seine Fähigkeit, komplexe wissenschaftliche Zusammenhänge so darzustellen, dass sie die US-Öffentlichkeit versteht, macht ihn nun zum Gesicht von Covid-19 in den USA. Er ist längst sowas wie ein Volksheld: Ein Bäcker hat in einer Woche 50.000 Cupcakes verkauft, auf denen er Faucis Gesicht in Buttercreme verewigt hatte. Was daran liegt, dass Fauci nicht nur reden, sondern vor allem zuhören kann und sich auf keine politische Seite schlägt. Er bleibt einfach bei dem, was er weiß, oder was man ihm gut begründet. Er arbeitet gründlich, andere würden sagen langsam.
Twitter / GWBLibrary | Anthony Fauci und George W. BushIn 2008, President Bush awarded Presidential Medal of Freedom, our highest civilian honor, to Dr. Anthony Fauci, "for his determined and aggressive efforts to help others live longer and healthier lives." Before HIV had a name, "it had a fierce opponent in Dr. #Fauci." @NIH pic.twitter.com/KRxQGpIvzm
GeorgeWBush Library (@GWBLibrary) March 30, 2020
|
Nachdem Fauci 1985 den bis heute meistzitierten wissenschaftlichen Artikel über die Funktionsweise von HIV veröffentlicht und damit die Grundlage für die ersten Medikamente gelegt hatte, ging das vielen Aktivist*innen nicht mehr schnell genug. Zehntausende starben binnen Monaten und in Faucis Labor brauchten Tests an neuen Wirkstoffen Jahre. Also versammelten sich 1990 Tausende vor dem Hauptquartier von NIAID und demonstrierten mit Sprechchören, Särgen und erkrankten Freunden gegen Fauci. Der zuhörte. Binnen weniger Monate beschleunigte er die Freigaben für lebensrettende Medikamente, auch wenn diese schwere Nebenwirkungen hatten. Ein immenser Kraftakt – die US-Bürokratie ist nicht weniger kompliziert als die deutsche und die Zulassungsbestimmungen für Medikamente zu ändern, ist nichts, was man einfach mal so macht. Aber Fauci bekam es hin. Er rettete so Hunderttausenden das Leben.
Er macht weiter, bis es einen Impfstoff gibt
Selbst unter jemandem wie George W. Bush, der den Wissenschaftler mit der höchsten zivilen Auszeichnung der USA, der Presidential Medal of Freedom, auszeichnete, war Fauci mit verantwortlich dafür, die Mittel, die die USA im Kampf gegen HIV aufwendete, rund um den Globus zu verteilen und den Kampf gegen Aids zu einer internationalen Anstrengung zu machen. Sein emotionaler Ansatz im Kampf gegen Epidemien war dabei vielleicht am ehesten mit dem von Rita Süssmuth zu vergleichen: "Wir bekämpfen die Krankheit, nicht die Erkrankten."
In der Ebola-Epidemie vor wenigen Jahren umarmte Fauci öffentlichkeitswirksam eine Krankenschwester, die sich bei einem Patienten angesteckt hatte, aber geheilt worden war, um zu zeigen: Panik ist unberechtigt. Diesen Ansatz fährt Fauci nun auch bei COVID 19. Seine Äußerungen vor der Presse sind von Aufrichtigkeit geprägt, und wenn er von "möglicherweise 200.000 Toten in den USA" in Zusammenhang mit der neuen Epidemie spricht, hören nicht nur anderen Wissenschaftler, sondern auch der Präsident und die US-Öffentlichkeit zu.
Warum der 79-Jährige seit Januar jeden Tag 19 Stunden gegen COVID 19 arbeitet und den Kampf nie aufgeben wird, erklärt sich Peter Staley, der inzwischen mit Fauci befreundet ist, so: "Sie dürfen nicht vergessen, dass Anthony genauso viele Menschen an HIV hat sterben sehen wie ich. Er ist Wissenschaftler, aber auch Arzt, und leitet auch ein Forschungskrankenhaus. Auf dem Höhepunkt der AIDS-Krise waren 90 Prozent der NIAID-Betten mit sterbenden schwulen Männern belegt. Viele von denen hat Anthony in den Tod begleitet. Natürlich haben er und ich da auch mal zusammen geweint. Und diese Narben bleiben einfach. Ich sehe sie an mir, und weiß, dass er sie auch hat. Dass er noch nicht im Ruhestand ist, und deswegen jetzt auch gegen COVID 19 kämpft, hat damit zu tun, dass Anthony dabei sein möchte, wenn wir einen Impfstoff gegen HIV haben, oder ein Medikament gegen AIDS gefunden haben. Vorher hört er nicht freiwillig auf."
