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Regensburg
Schwuler Asylsuchender soll abgeschoben werden
Das Regensburger Verwaltungsgericht entschied im August letzten Jahres, dass der aus Russland geflohene Andrei P. seine sexuelle Orientierung nicht glaubhaft dargelegt habe. Andrei trat daraufhin in einen Hungerstreik. Nun soll er abgeschoben werden.

Andrei P. im August vor dem Verwaltungsgericht in Regensburg (Bild: Quarteera)
- Von Paul Schulz
25. April 2020, 19:50h 5 Min.
Man sollte meinen, dass Bayern, das am schlimmsten von Corona betroffene deutsche Bundesland, derzeit andere Sorgen hat, als homophobe Urteile gegen Asylbewerber zu vollstrecken. Aber dem ist nicht so: Andrei P., ein russischer Asylbewerber, der seit fünf Jahren in Deutschland lebt, gut deutsch spricht, eine Ausbildung zum Krankenpfleger und einen festen Job hat, ist verzweifelt und wütend.
"Mir wurde jetzt mitgeteilt, dass ich abgeschoben werde", so P. zu queer.de. "Ich habe nur 20 Tage Zeit, während die Grenzen geschlossen sind und sich die Welt unter den Auswirkungen der Corona-Virus-Pandemie verändert. Mein Partner und ich appellieren an die gesamte zivilisierte Weltgemeinschaft. Wir bitten Sie um Schutz und ihre Unterstützung."
P. war 2015 zusammen mit seinem Partner aus Russland geflohen. Zunächst in Twer und später in St. Petersburg sei das Paar immer wieder diskriminiert und gedemütigt, später von Sicherheitsbeamten mehrfach festgenommen und erpresst worden. P. sei wegen seiner Homosexualität unter anderem aus seiner Wohnung geworfen und vom Arbeitgeber gekündigt worden. Vor allem in den Jahren nach Verabschiedung des Gesetzes gegen "Homo-Propaganda" und aufgrund zunehmender Repression, Gewalt und Ausgrenzung waren viele homo- und transsexuelle Russinnen und Russen in jener Zeit aus dem Land geflüchtet.
Richterin nicht überzeugt von Homosexualität

Andrei mit Partner im Jahr 1999. Sie sind, nach einer kurzen Trennung, inzwischen wieder zusammen. (Bild: Privat / Quarteera)
Dass es überhaupt zu einem Abschiebungsbescheid gegen den Russen kommen konnte, ist auf die Entscheidung einer Richterin am Regensburger Verwaltungsgericht aus dem August 2019 zurückzuführen (queer.de berichtete). Sie hatte Zweifel, ob Andrei wirklich schwul sei. "Der Kläger [kann] seine Homosexualität nicht zur Überzeugung des Gerichtes darlegen", so das damalige Urteil. Er sei bei einigen Fragen zunächst ausgewichen und es sei "nicht nachvollziehbar, weshalb der Kläger ohne Weiteres nach dem ersten sexuellen Kontakt mit einem Mann sofort die Erkenntnis gehabt haben mag, homosexuell zu sein." Die Richterin beklagt im Urteil außerdem, "Schilderungen über die Gedanken für die Entscheidungsfindung oder einen inneren Konflikt zu seiner Homosexualität" seien ausgeblieben.
Zeugenaussagen des Ehemanns von P. seien zwar "glaubwürdig" gewesen, heißt es weiter in dem Urteil. Das belege aber die Homosexualität von P. ebenso wenig wie die gleichgeschlechtliche Ehe als solche. Vorgelegte Bilder des Paares aus über zehn Jahren Beziehung ließen sich auch anders interpretieren, so die Einzelrichterin – die auch von P. vorgelegte Bilder aus seiner "Zeit als Travestiekünstler" nicht als "überzeugenden Rückschluss" auf seine Homosexualität bewertete.
Im vorab ergangenen Asyl-Ablehnungsbescheid hatte das Bundesamt für Asyl zu P. festgehalten, dass unter anderem Beleidigungen, Beschimpfungen und eine Kündigung aufgrund seiner Homosexualität nicht "die erforderliche Schwere" für eine Feststellung als Flüchtling oder Asylberechtigter erreichten. In Russland drohe ihm keine Verletzung seiner Menschenrechte oder Grundfreiheiten.
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Andrei soll Deutschland bis 10. Mai verlassen
Eine Berufung gegen das Urteil ließ das Gericht nicht zu, weswegen Andrei jetzt abgeschoben werden soll, "obwohl er bereits seit Jahren in Deutschland lebt und integriert ist", so Quarteera, der Verein russischsprachiger LGBT in Deutschland. Andrei berichtet: "Ich arbeite seit drei Jahren und versuche soweit wie möglich über die Runden zu kommen, ohne die Unterstützung von Organisationen in Anspruch zu nehmen".
Quarteera kritisierte in einer Pressemitteilung im August die "Entscheidung des Verwaltungsgerichts, das Urteil auf den Nachweis der sexuellen Orientierung zu stützen" – diese lasse sich in einem gerichtlichen Verfahren weder sicher belegen noch widerlegen. Zweifel müssten zugunsten des Antragstellers gewertet werden. "Solche Nachweise von Flüchtlingen zu verlangen, stellt einen unangemessenen Eingriff in die Privatsphäre dar", so Quarteera. "Stattdessen sollte das Gericht das individuelle Verfolgungsrisiko für Antragsteller in Russland erforschen."

Festnahmen und Gewalt bei mehreren queeren Kundgebungen, zu weiteren Festnahmen und Verhören, zu einem Schussangriff auf einen Coming-out-Treff, zu Morden, zu von einem homofeindlichen Politiker begleiteten Razzien in Homo-Clubs, zu Bombendrohungen und weiteren Angriffen gegen ein queeres Filmfestival und zu Urteilen gegen queere Organisationen In den zwei Jahren vor der Flucht von P. kam es allein in St. Petersburg unter anderem zu
Kritik übte damals auch mehrere Medien und die SPDQueer Oberpfalz: Man sei enttäuscht, "dass die Richterin trotz zahlreich vorliegender Zeugenaussagen, Foto- und Videobeweise, keinen Nachweis seiner Homosexualität seitens Andreis als erbracht ansieht", so eine Pressemitteilung. Auch seien "Zweifel an einer direkten Gefährdungs- und Verfolgungslage von Homosexuellen in Russland" nicht nachvollziehbar, wenn nicht nur zahlreiche Presseberichte, sondern auch das Auswärtige Amt in seinen Reisewarnungen zu dem Land von Ausgrenzungen und Gewalt gegenüber LGBTI spreche.
P. war damals in einen mehrwöchigen Hungerstreik getreten und protestierte mit seinem Partner täglich vor dem Gerichtsgebäude gegen das Urteil. "Das ist nicht fair, dass wir gegen das System kämpfen, das von uns ständig die Gebühren fordert, diese unendlichen Anwaltsrechnungen. Wir hatten auf einen positiven Entscheid gehofft und dass sich unsere Lage etwas verbessert. Jetzt kommen wir uns vor wie in einem absurden Theater."
Widerspruch gegen Abschiebebescheid
Andrei will auf keinen Fall zurück nach Russland, er hat allen Grund Angst zu haben: "Wir bitten Sie, meinen Partner und mich nicht gegen unseren Willen zu spalten, wir haben niemanden außer einander. Es ist gefährlich, nach Russland zurückzukehren, insbesondere angesichts der Tatsache, dass wir ein sehr öffentliches Coming-out in Deutschland hatten und darüber auch berichtet wurde."
Unterstützt werden Andrei und sein Partner von Dirk Messberger, Mitglied des Nürnberger LGBTIQ-Vereins Fliederlich. Der erklärt die aktuelle Lage und die nächsten Schritte so: "Nachdem wir den 25-seitigen Abschiebebescheid der Ausländerbehörde in Nürnberg nun erhalten haben, laut dem Andrei bis zum 10. Mai Deutschland freiwillig verlassen kann, oder, tut er das nicht, abgeschoben wird, haben wir keine andere Möglichkeit als am Montag mit unserem Anwalt beim Verwaltungsgericht in Ansbach Widerspruch dagegen einzulegen und parallel eine sofortige einstweilige Verfügung gegen den Bescheid zu erwirken. Was uns hoffentlich gelingt. Denn nur der Widerspruch gegen den Bescheid hätte keinerlei aufschiebende Wirkung."
In den letzten Jahren wurde immer wieder queeren Geflüchteten Asyl in Deutschland verweigert und einige von ihnen wurden abgeschoben – manchmal mit dem rechtswidrigen Hinweis, sie könnten ihre Sexualität ja heimlich oder gar nicht ausleben. Andere LGBTI-Geflüchtete mit ähnlichen Lebensgeschichten wurden problemlos anerkannt, darunter auch Russen.

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Allgemein: Es ist schwer, wenn nicht sogar unmöglich für Richter oder BamF-Mitarbeiter, festzustellen, ob jemand homosexuell ist, vor allem, wenn einem eigene Vorurteile und Bilder, wie Homosexuelle "zu sein haben", im Wege stehen.
Speziell: Selbst Richter müssen wissen, wie Homosexualität in einigen Ländern verfolgt werden. Outet sich jemand in Saudi-Arabien oder auf Jamaika, in Kenia oder Nigeria in Russland oder Polen, ist einem soziale Ächtung gewiss. In den meisten Fällen auch Gefängnis und Mord (durch Staat oder/und Familie). Mir ist es lieber, jemand kommt nach Deutschland, der vielleicht nicht homosexuell ist, als das jemand in diese Länder zurückgeschickt wird, und man seinen Leichnam auf die Straße wirft.