Trotz Corona verbreitete eine ultrakatholische Organisation Hetze auf Warschaus Straßen. Dann schritten mehrere Autofahrer ein, stellten sich dem Lautsprecherwagen in den Weg und riefen die Polizei.
Mehrere Autofahrer blockierten in Warschau einen Lautsprecherwagen, der LGBTI-feindliche Parolen verbreitete
Von Norbert Blech 26. April 2020, 05:42h, 12 Kommentare
Straßenkampf in Corona-Zeiten: Mehrere Autofahrer haben am Samstagmittag in Warschau für einige Stunden die Weiterfahrt eines Kampagnen-Lastwagens mit homofeindlichen Motiven verhindert. Medienberichten zufolge fuhr der Hassbus bereits seit einigen Tagen durch das Stadtviertel Ursynów.
Über Lautsprecher verbreitete der Fahrer demnach Botschaften wie die, dass "die LGBT-Lobby kleinen Kindern Masturbation beibringen" wolle oder dass "Schwule Kinder vergewaltigen" würden – bis einem jungen Mann der Kragen platzte. Er fuhr den Berichten und einem Facebook-Video zufolge mit seinem weißen BMW an den Lautsprecherwagen heran, stieg aus, stellte sich vor ihn und blockierte so den Weg, begann eine Diskussion mit dem Fahrer, rief die Polizei und sprach von einer Festnahme nach Jedermannsrecht. Als der Bus ausweichen wollte, beteiligten sich weitere Autofahrer an der ungewöhnlichen Blockade-Aktion, die zwischenzeitlich zu einem Rückstau auf der KEN-Avenue führte.
Den Berichten zufolge traf 20 Minuten später die Polizei ein – und bat nach einer Feststellung des Sachverhalts zunächst die Blockierer, weiterzufahren, und ließ dann auch den Hass-Bus passieren. Straftaten seien zunächst von keiner Seite festgestellt worden, so ein Polizeisprecher gegenüber einer Lokalzeitung. Gegen Botschaften des Busses müssten Bürger per Privatklage vorgehen, wenn sie sich angegriffen fühlten.
Die Lokalzeitung berichtete, der Hassbus habe kurz danach wieder mit Durchsagen per Lautsprecher begonnen. In den letzten Tagen habe man mehrere Beschwerden über den Bus erhalten, darunter von vielen Eltern, die sich über die hasserfüllte Beschallung und Bebilderung empörten. In einem weiteren Online-Portal schrieb ein Redakteur, der Bus sei landesweit berüchtigt. "Doch während der Epidemie wird es noch schlimmer: Wenn jeder gezwungen ist, zuhause zu bleiben, fahren die durch die Straßen mit ihrem Lautsprecher, mit einer widerlichen Botschaft, die in einer Art kommuniziert wird, die bewusst täuschend an Durchsagen der Polizei erinnert." Die Szene zeige, dass sich nicht nur er, sondern viele davon gestört fühlten. In lokalen Online-Foren werden die Bus-Blockierer überwiegend gefeiert.
Zatrzymanie obywatelskie! Dwa samochody zablokowa?y samochód z obrzydliwymi homofobicznymi has?ami.
"Die Polizei schikaniert uns", beschwerte sich hingegen Bus-Organisator Mariusz Dzierżawski. "Ich habe den Eindruck, dass wir dafür schikaniert werden, die Wahrheit zu sagen." Aus der Ecke von Abtreibungsbefürwortern oder "der LGBT-Lobby" gebe es häufig Strafanzeigen. Heutzutage werde "die Wahrheit als Hass-Sprache" aufgefasst. "Aber wir verbreiten keinen Hass, sondern Informationen."
Regierung hört auf die Hasser
Der Bus im Rahmen einer irreführend "Stop Pedofilii" genannten Kampagne gehört wie ähnlich krass-plakative Aktionen gegen Abtreibung zur Organisation "Fundacja Pro", unter Mitwirkung des ultrakatholischen Instituts "Ordo Iuris" ist man mit europäischen Homo-Hassern wie der "Demo für alle" in Deutschland vernetzt (die auch auf einen Hassbus setzte). Im letzten Jahr tauchten anti-queere LKW in vielen Städten auf, wenn dort der CSD stattfand. Auch in Bialystok, als es zu schweren Ausschreitungen gegen den ersten Pride kam (queer.de berichtete), war ein Hass-Bus präsent.
Bus von "Stop Pedofilii" im letzten Sommer
Bei den Pride-Gegenprotesten sammelte die Organisation Unterschriften für eine selbst formulierte Gesetzesinitiative, die in der Praxis jegliche Sexualaufklärung an Schulen, in Medien oder durch Vertrauenspersonen unter Strafe stellen würde. Verkauft wird das als Gesetz gegen "Pädophilie", zugleich betont die Webseite der Organisation, Zweck sei "Schutz der Kinder gegen sexuelle Gewalt durch LGBT-Aktivisten und Verhinderung der sexuellen Promiskuität junger Menschen". Es sei schließlich ein "Mittel der LGBT-Lobby für politische Zwecke", Kinder per Sexualerziehung an Homosexualität zu "gewöhnen". Erst in der lezten Woche hatte das Parlament mit Regierungsmehrheit dafür gestimmt, den Entwurf für diese polnische Version eines "Homo-Propaganda"-Gesetzes nicht abzulehnen, sondern nach der ersten Lesung erneut in die Ausschüsse zu schicken (queer.de berichtete). In der Parlaments-Debatte hatte auch Hassbus-Organisator Dzierżawski Hetze und Unwahrheiten über LGBTI verbreitet.
?Dzisiaj na warszawskim Ursynowie dosz?o do "obywatelskiego zatrzymania" ci??arówki oblepionej homofobicznymi…
Der Bus und die Lautsprecher-Durchsagen seien "Hass-Sprache", "eine Verletzung der öffentlichen Ordnung" und schlicht "ein Skandal", betonte am Samstag erneut die polnische "Kampage gegen Homophobie". Es handle sich um Straftaten, gegen die jeder Bürger das Recht habe, vorzugehen. Auf ihrer Webseite bietet die Kampagne Musterbeschwerden zum Einreichen bei der Polizei – die Info-Seite wurde bereits im letzten Mai eingerichtet.
Ein Wort in eigener Sache
Hinter gutem Journalismus stecken viel Zeit und harte Arbeit – doch allein aus den Werbeeinnahmen lässt sich ein Onlineportal wie queer.de nicht finanzieren. Mit einer Spende, u.a. per Paypal oder Überweisung, kannst Du unsere wichtige Arbeit für die LGBTI-Community sichern und stärken. Abonnent*innen bieten wir ein werbefreies Angebot. Jetzt queer.de unterstützen!
Da die meisten hier Mitlesenden wahrscheinlich nicht verstehen, was auf dem Bus steht:
"Was möchte die LGBT-Lobby Kindern beibringen?
4-Jährige: Masturbation
6-Jährige: Einwilligung in sexuelle Handlungen
9-Jährige: Erste sexuelle Erfahrungen und Orgasmus"
Sind Masturbation und Einwilligung zu sexuellen Handlungen in der Betrachtung dieser Leute keine ersten sexuellen Erfahrungen? Dieser ganze Spuk ist ja auch in sich einfach nur gaga. Schauderhaft!
Ganz einfach...tausche "LQBT-Lobby" gegen poln. kath. Kirche aus...dann passt's. Der Verein hat bestimmt vor der Kampagne eine Umfrage bei den Priestern und Bischöfen durchgeführt. *Sarkasmus aus*
Es ist traurig, dass solche Hetzkampagnen nicht einmal von staatl. Seite verboten werden und das noch in einem EU-Mitgliedsland.
Aber wie man auch sehen kann, gibt es zum Glueck couragierte Bürger in diesem Land, die sich nicht scheuen diesen Hetzern, die Stirn zu bieten.
"Noch ist Polen nicht verloren..." hat meine Oma schon immer gesungen.
Es ist zu hoffen, dass diesem tollen Beispiel von Zivilcourage noch viele folgen mögen und die Polen merken, dass Hass und Hetze gegen LSBTIQ* (und natürlich überhaupt gegen Minderheiten) der verkehrte Weg ist.