Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro hat die Kompetenz der Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit absurden Äußerungen infrage gestellt. Die WHO ermutige kleine Kinder zu Homosexualität und zur Masturbation, behauptete Bolsonaro am Donnerstag in einem Facebook-Post, der später entfernt wurde. "Dies ist die Weltgesundheitsorganisation, deren Empfehlungen zum Coronavirus ich aus Sicht einiger Leute folgen soll", schrieb Bolsonaro.
Ohne Belege für seine Behauptungen zu nennen, schrieb Bolsonaro, die WHO empfehle "Masturbation in früher Kindheit" sowie "gleichgeschlechtliche Beziehungen". Zudem rate die WHO Neun- bis Zwölfjährigen zu einer "ersten sexuellen Erfahrung".
Fake-News über BZgA-Konzept vermutlich Grundlage
Zuvor hatte Bolsonaros Berater Arthur Weintraub getwittert, dass es in Empfehlungen der WHO heiße, dass "Kinder zwischen null und vier Jahren über 'Masturbation', 'Befriedigung und Lust', 'das Berühren des eigenen Körpers' und 'die Gender-Ideologie' unterrichtet" werden sollten. "Ist das richtig?", fragte Weintraub rhetorisch.
Als Grundlage für die Behauptungen diente Weintraub und Bolsonaro offenbar das 2010 gemeinsam vom WHO-Regionalbüro für Europa und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) veröffentlichte Rahmenkonzept "Standards für die Sexualaufklärung in Europa", das Experten, politischen Entscheidungsträgern sowie Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen Empfehlungen für die Sexualaufklärung von Kindern und Jugendlichen gibt. In den Standards wird darauf hingewiesen, dass sexuelle Neugier auch bei Kindern normal ist. Empfehlungen für die von Weintraub und Bolsonaro beschriebenen Verhaltensweisen finden sich in dem Konzept jedoch nicht. In Deutschland wurde die Fake-News seit 2018 u.a. von der rechtsextremen Zeitung "Junge Freiheit", der "Demo für alle" und von AfD-Politiker*innen verbreitet.
Bolsonaro spielt Gefahr durch Coronavirus herunter
Bolsonaros Angriffe auf die WHO dürften im Zusammenhang mit seiner höchst umstrittenen Haltung zum Umgang mit der Coronavirus-Pandemie stehen. Brasiliens rechtsextremer Staatschef spielt nach wie vor die vom neuartigen Coronavirus ausgehenden Gefahren herunter und ist gegen Ausgangsbeschränkungen, wie sie von Gouverneuren brasilianischer Bundesstaaten verhängt wurden. Auch lehnt er die von der WHO empfohlenen Richtlinien zur sozialen Distanzierung ab.
Entgegen Bolsonaros Wunsch nach einem schnellstmöglichen Ende des wirtschaftlichen Stillstands verlängerte der Gouverneur des Bundesstaats Rio de Janeiro, Wilson Witzel, am Donnerstag die wegen der Pandemie geltenden Ausgangsbeschränkungen bis 11. Mai. Auch Schulen, Universitäten sowie Kulturzentren bleiben weiter geschlossen.
Brasilien ist das am schwersten von der Corona-Pandemie betroffene Land in Südamerika. Nach offiziellen Angaben starben bereits mehr als 5.000 Menschen an den Folgen einer Corona-Infektion, die Zahl der Infektionen liegt bei mehr als 70.000. Wegen mangelnder Testkapazitäten gehen Experten jedoch von einer hohen Dunkelziffer aus.
Einer der homophobsten Staatsführer der Welt
Die Wahl Jair Bolsonaros im Oktober 2018 hatte für Schockwellen in der brasilianischen LGBTI-Community gesorgt (queer.de berichtete). Der ehemalige Fallschirmjäger war 2017 von einem Gericht wegen Volksverhetzung verurteilt worden – Anlass war ein Interview aus dem Jahr 2011, in dem er unter anderem erklärt hatte, dass seine Kinder nie einen schwulen Sohn zur Welt bringen würden, weil sie eine "gute Erziehung" genossen hätten. In dem Interview fügte er hinzu, dass er einen schwulen Sohn nicht lieben könne: "Mir wäre lieber, er würde bei einem Unfall sterben."
Eine Grundsatzentscheidung des Obersten Gerichts im Juni 2019, dass Homo- und Transphobie ebenso zu bestrafen sei wie Rassismus, griff Bolsonaro als "komplettes Unrecht" an (queer.de berichtete). Kurz darauf ließ er die Förderung von Filmen mit queeren Inhalten verbieten, wurde jedoch von einem Gericht gestoppt (queer.de berichtete). Nach seinem Amtsantritt hatte er auch erklärt, dass Brasilien kein "Urlaubsparadies für Schwule" werden dürfe (queer.de berichtete). (cw/AFP)
Zudem "fördert" die WHO nur, dass homosexuelle Kinder nicht entrechtet und verfolgt werden, sondern ihnen dieselben Gesundheitsrechte zustehen, wie allen Bürgern.