So froh wir sind, in diesem Rechtsstaat zu leben, der im Umgang mit homosexuellen Menschen so viel dazugelernt hat, so sehr können wir doch manchmal an ihm verzweifeln. Oder zumindest an einzelnen Richtern, die noch immer doppelte Standards definieren, sich selbst widersprechen und das nicht einmal zu merken scheinen.
Am Montag wurde uns der jüngste Beschluss in dem mittlerweile seit drei Jahren währenden Rechtsstreit zugestellt, den Jens Riewa gegen uns angestrengt hat. Das Hanseatische Oberlandesgericht gab dem "Tagesschau"-Sprecher im Berufungsverfahren erneut recht und untersagte uns weiterhin eine kritische Berichterstattung.
Jan Böhmermann ist an allem Schuld
Seit 2017 haben uns damit mehrere Gerichtsinstanzen verboten, einige Sätze und Fremdzitate im Kontext eines Artikels vom 20. Mai 2017 über die Satiresendung "Neo Magazin Royale" zu verbreiten. In einem Quiz der ZDF-Show musste Moderator Jan Böhmermann erraten, dass er Jens Riewa ist. Viel mehr über diese komische Szene dürfen wir aufgrund der Urteile nicht mehr schreiben – oder müssen befürchten, es aufgrund hanseatischer Rechtsauslegung nicht mehr zu dürfen.
Wir, die alten Bewegungsschwestern, nahmen sie damals zum Anlass einer queeren Geschichtsstunde und erinnerten an fragwürdige Klagen Riewas gegen ein schwules Magazin und einen schwulen Buchverlag aus dem Jahr 1998. Auch zitierten wir frühere Bewertungen des Verhaltens des "Tagesschau"-Sprechers in der "taz" und durch den Bundesverband Lesbischer und Schwuler JournalistInnen (BLSJ) – beides wurde uns untersagt (siehe auch: "Jan Böhmermann darf über Jens Riewa scherzen – doch queer.de darüber nicht berichten").
Es geht um Homophobie, nicht um Riewas sexuelle Orientierung
Um eines klarzustellen: Wir selbst haben nie behauptet, dass Riewa eine bestimmte sexuelle Orientierung habe, sondern wir haben allein seinen fragwürdigen Umgang mit den Behauptungen Dritter thematisiert. Auch das Hanseatische Oberlandesgericht stellt in seinem Urteil fest, dass die von uns veröffentlichten Tatsachen "als solche zutreffend sind". Dennoch finden die Richter, dass diese zutreffenden Tatsachen im "Kontext der inkriminierten Berichterstattung" nicht veröffentlicht werden dürfen, obwohl sie bereits öffentlich sind. Sämtliche Quellen – bis auf eine, die Riewa ebenfalls verbieten ließ – finden sich nach wie vor im Netz. Wobei der "Tagesschau"-Sprecher natürlich nicht gegen das "Neo Magazin Royale" vorgegangen ist, sondern neben queer.de nur gegen den kleinen BLSJ.
Die Begründung der Richter, die uns ein beabsichtigtes Outing unterstellen, ist abenteuerlich: Bereits durch die Zitate hätten wir "daneben bzw. parallel sehr wohl (mindestens) das Gerücht bzw. die Spekulation verbreitet, der Antragsteller sei homosexuell". Doch wie anders sollen wir uns als Journalisten mit der Homophobie eines Prominenten auseinandersetzen, wenn wir auf die Quellenlage nicht zurückgreifen dürfen? Obendrein wirft uns das Hanseatische Oberlandesgericht allen Ernstes vor, dass wir uns von den Spekulationen nicht distanziert hätten. Ausgerechnet von einem queeren Medium zu verlangen, zu schreiben, es nicht gut zu finden, dass möglicherweise jemand homosexuell sein könnte, ist schon eine ziemliche Unverfrorenheit!
Doppelstandards bei der "Privatsphäre"
Und da kommen wir zum Hauptpunkt des Rechtsstreits: Die "sexuelle Ausrichtung einer jeden Person" betreffe den "Kernbereich ihrer Privatsphäre", befand das Oberlandesgericht – und machte sich damit völlig überkommene Moralvorstellungen von Homosexualität zu eigen. Bei denen etwas Unanständiges und Minderwertiges mitschwingt. Etwas Ehrverletzendes, das nicht in die Öffentlichkeit gehört und deshalb versteckt werden muss.
Die Richter behaupten zwar, dass ihre Aussage für alle sexuellen Orientierungen gelte, doch das scheint uns entweder vorgeschoben, weil sie nicht offen diskriminieren wollen, oder zumindest sehr unüberlegt in ihrer bestenfalls oberflächlichen Auseinandersetzung mit dem Thema. Denn welcher Politiker oder Schlagersänger ist denn in Deutschland bislang vor Gericht gezogen, weil man ihn der gesellschaftlich akzeptierten Heterosexualität "verdächtigt" hat? Und welcher Richter hätte die "Ankläger" in einem solchen Fall tatsächlich verurteilt?
Zur "Privatsphäre" wird von zumeist heterosexuellen Männern, die ganz selbstverständlich von ihrer Ehefrau und ihren Kindern erzählen, immer nur die Nicht-Heterosexualität erklärt, um ihr sowohl Sichtbarkeit als auch Anerkennung als gleichwertige sexuelle Orientierung zu verweigern. In einer Demokratie, die Minderheitenrechte schützt, gehört zum "Kernbereich der Privatsphäre" aber gerade das Recht eines jeden Individuums, seine sexuelle Orientierung frei, ohne Diskriminierung und ohne Doppelstandards leben zu können.
Vor diesem Hintergrund ist höchst interessant, dass die verschiedenen Gerichte in diesem langen Verfahren selbst immer wieder fleißig Aussagen und Spekulationen über die angebliche Privatsphäre getroffen haben. Es sei Riewa unbenommen, "sich gegen entsprechende Berichterstattungen zur Wehr zu setzen, die ihn als homosexuell darstellen, zumal er dies unstreitig nicht ist", urteilte etwa das Landgericht Hamburg am 17. Mai 2019. Und der Senat des Hanseatischen Oberlandesgericht räumte in seinem jüngsten Beschluss ein, "dass er die Ansicht des Landgerichts teilt, dass in erster Instanz unstreitig war, dass der Antragsteller nicht homosexuell ist". Werden uns nun auch diese Zitate verboten?
Jens Riewa gegen queer.de: Was bisher geschah
20.05.2017 Auf queer.de berichten wir wahrheitsgemäß über die ZDF-Satiresendung "Neo Magazin Royale" von Jan Böhmermann, in der es u.a. um Jens Riewa und die Einschätzung seiner sexuellen Orientierung durch die Öffentlichkeit ging. Wir nehmen dies zum Anlass, an Riewas frühere Klagen gegen schwule Medien zu erinnern.
23.05.2017 Über die Berliner Rechtsanwaltskanzlei Schertz Bergmann geht Riewa gegen unsere Berichterstattung vor und fordert die Abgabe einer Unterlassungserklärung – dies lehnen wir ab.
20.06.2017 Auf Antrag Riewas verbietet uns das Landgericht Hamburg per einstweiliger Verfügung die Überschrift des Artikels, den Teaser sowie mehrere Zitate, u.a. aus der "taz" und aus einem Dossier des Bundesverbands Lesbischer und Schwuler JournalistInnen (BLSJ). Diese dürfen wir seitdem nicht mehr verbreiten – bei Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000 Euro oder sechs Monaten Haft für Geschäftsführer Micha Schulze. Wir beantragen daraufhin die Aufhebung der Einstweiligen Verfügung.
04.09.2017 Das Landgericht Hamburg bestätigt nach einer mündlichen Verhandlung die Einstweilige Verfügung. Wir legen Berufung ein.
26.04.2018 Das Hanseatische Oberlandesgericht kündigt ohne mündliche Verhandlung an, die Berufung zurückweisen zu wollen. Wir stellen einen Befangenheitsantrag gegen die Richter, weil sie in ihrer Begründung u.a. unseren Vorwurf der Homophobie gegen Riewa als irrational und gefühlsgesteuert dargestellt haben.
19.06.2018 Das Hanseatische Oberlandesgericht weist den Befangenheitsantrag zurück. Wir erheben Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs.
23.08.2018 Das Hanseatische Oberlandesgericht weist unsere Anhörungsrüge zurück.
27.08.2018 Das Hanseatische Oberlandesgericht weist schließlich auch unsere Berufung zurück. Eine mündliche Verhandlung sei nicht geboten, zudem habe der Fall keine grundsätzliche Bedeutung.
20.11.2018 Das Bundesverfassungsgericht nimmt unsere Verfassungsbeschwerde gegen die drei Beschlüsse des Hanseatischen Oberlandesgerichts nicht zur Entscheidung an.
17.05.2019 Vor dem Landgericht Hamburg geht das Ganze vor vorne los: Im nun begonnenen Hauptverfahren verbietet uns eine Pressekammer die zuvor bereits in der Einstweiligen Verfügung untersagten Sätze und Fremdzitate. Wir gehen in die Berufung.
30.04.2020 Das Hanseatische Oberlandesgericht weist unsere Berufung zurück und erklärt den Rechtsweg für ausgeschöpft. Wir beabsichtigen, eine Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof einzureichen.
Kein Informationsinteresse der Öffentlichkeit?
Doch siehe da: In einigen Fällen darf durchaus über die sexuelle Orientierung einer Person berichtet werden, befand selbst das Berufungsgericht. Nämlich dann, "wenn eine Abwägung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalls ergibt, dass das Informationsinteresse der Öffentlichkeit und die Pressefreiheit die persönlichkeitsrechtlichen Belange des Betroffenen überwiegen".
Warum dies für queer.de nicht gelten soll, bleibt das Geheimnis der Richter. Wir finden sehr wohl, dass zur Pressefreiheit und zum Informationsinteresse nicht nur der queeren Öffentlichkeit auch die Berichterstattung über den höchst fragwürdigen Umgang eines Prominenten mit Behauptungen zu seiner sexuellen Orientierung gehört.
Ein Riewa-Interview mit der Schlagzeile "Ich bin nicht schwul", Aussagen wie "die organisierte Schwulenbewegung" wolle ihn "als Spielball ihrer Machtkämpfe instrumentalisieren" oder die Nähe zum schwulen "Tagesschau"-Sprecher Werner Veigel sei ihm zum "Verhängnis" geworden, haben eine Homosexualität klar herabsetzende Wirkung. Es ist ein Unding, dass Hamburgs Pressekammern der Meinung sind, dass das online weiterhin verfügbare "Focus"-Interview keine für eine Berichterstattung vermeintlich nötige Öffnung der Privatsphäre darstelle. Man muss unseren Vorwurf der Homophobie – wie die Hamburger Gerichte – nicht unbedingt teilen. Er muss aber möglich sein.
Das Hanseatische Oberlandesgericht verweigert uns leider den Weg in die nächste Instanz. Der Fall habe "weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts", urteilten die Richter. Damit setzen sie Rechtsmaßstäbe, die unsere zukünftige Arbeit massiv beeinträchtigen können.
Homosexualität ist niemals ehrenrührig!
Unser Einsatz für LGBTI-Akzeptanz und Pressefreiheit ist uns zu wichtig, als dass wir nach drei Jahren Kampf nun einfach sang- und klanglos aufgeben. Als letzte Chance beabsichtigen wir eine Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Die letzte Instanz in allen Zivilverfahren entscheidet oft ganz anders als die bekanntlich nicht sehr medienfreundlichen Pressekammern in Hamburg.
In der Causa Riewa hat uns bislang dankenswerterweise der Berliner Rechtsanwalt Prof. Niko Härting auf dem Weg durch die Instanzen unterstützt. Für die Klage vor dem Bundesgerichtshof benötigen wir nun allerdings einen dort zugelassenen Anwalt. Parallel trudeln die Rechnungen der Gerichte und von Riewas Kanzlei bei uns ein. Um die aktuellen und künftigen Kostennoten bezahlen zu können, benötigen wir noch einmal rund 10.000 Euro.
Wir wollen höchstgerichtlich feststellen lassen, stellvertretend für alle Lesben und Schwulen in Deutschland, dass Homosexualität niemals ehrenrührig ist und es bei Homophobie von Prominenten sehr wohl ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit gibt. Bitte unterstützt uns dabei! In der aktuellen Coronakrise, die leider auch für uns deutlich weniger Werbeumsätze bedeutet, kriegen wir dies nur mit Spenden und neuen Abos gestemmt. Vielen Dank für eure Hilfe, die der gesamten Community zugutekommt!
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In einer Fernsehsendung findet irgendwas statt, wo eine Person des öffentlichen Lebens thematisiert wird. Und dann darf Presse nicht darüber berichten? Obwohl das Gericht auch noch feststellt, dass die berichteten Aussagen der Wahrheit entsprechen?
Das ist für mich als juristischer Laie nicht nachvollziehbar. Ist das kein Verstoß gegen eine freie Presse?
Wird das bis vor den obersten Gerichtshof gehen? Denn ist das nicht eine Frage von grundsätzlicher Tragweite, ob man über Dinge berichten darf, die stattgefunden haben (das ist Aufgabe der Medien)?