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Heimkino
Warum wir über Missbrauch reden müssen!
Wir sprachen mit Regisseur Florian Forsch über seinen Film "Bester Mann", der vom Missbrauch eines schüchternden Jugendlichen durch einen älteren Mann erzählt. Jetzt im Salzgeber Club als Video on Demand!

Beklemmendes Psychodrama über Manipulation und Missbrauch: Teenager Kevin (Adrian Grünewald, li.) gerät in Florian Forschs Debütfilm "Bester Mann" in die Fänge des angeblichen Talentscouts Bennie, gespielt von Frederik Schmid (Bild: Edition Salzgeber)
10. Mai 2020, 13:52h 6 Min. Von
Nach seiner Ausbildung als Fotograf und dem Studium der Visuellen Kommunikation an der Academie Beeldende Kunsten in Maastricht absolvierte Florian Forsch ein Volontariat bei Rosa von Praunheim in Berlin. Es folgte ein Regiestudium an der Kunsthochschule für Medien in Köln, wo Forsch mit "Bester Mann" seinen Abschlussfilm inszenierte. Für die ebenso verstörende wie alltägliche Geschichte über den Missbrauch eines Jugendlichen durch einen älteren Mann wurde Regisseur Florian Forsch 2018 mit dem Max Ophüls Preis (Bester mittellanger Film) ausgezeichnet und für den Österreichischen Filmpreis nominiert.
Zum VoD-Start von "Bester Mann" im Salzgeber Club sprach unser Autor Dieter Oßwald mit dem jungen Regisseur.

Manfred Werner / wikipedia) Regisseur Florian Forsch. "Bester Mann" ist sein Abschlussfilm an der Kunsthochschule für Medien in Köln (Bild:
Herr Forsch, Sie waren Volontär bei Rosa von Praunheim. Was lässt sich vom queeren Kultfilmer lernen?
Besonders beeindruckend bei Rosa finde ich, dass er nicht von außen auf die Protagonisten schaut, sondern aus dem Milieu heraus erzählt. Das passiert immer auf Augenhöhe und mit viel Verständnis. Dieses Praunheim-Prinzip spielt auch in meiner Arbeit eine große Rolle.
Wie sind Sie auf das Thema von "Bester Mann" gekommen?
Ursprünglich wollte ich einen Film darüber machen, wie Jugendliche für die rechtsextreme Szene geködert werden. Während der Recherche bin ich auf einen Fall gestoßen, bei dem ein Anführer der Szene Jugendliche an Freier verkauft hat, um damit die Szene finanziell zu unterstützen. Daraufhin habe ich mich mit den Strategien beschäftigt, die diese Täter anwenden, und kam so schließlich zu dem fiktiven Fall, den der Film erzählt. Den Tätern spielt es in die Karten, dass es sich um ein Tabu handelt. Um dieser Art von Verbrechen wirkungsvoll entgegen zu treten, braucht es Prävention und einen anderen gesellschaftlichen Umgang damit. Einfach nur härtere Strafen zu fordern, ist zu kurz gegriffen.
Missbrauch von Jugendlichen ist ein heikles Thema. Wie heikel ist eine filmische Umsetzung?
Natürlich war uns klar, dass wir eine Thematik behandeln, über die eigentlich kein Mensch gerne reden oder nachdenken will. Bei einem Abschlussfilm lässt sich das allerdings durchaus machen, schließlich gibt es da keinen Blick auf die Quote. Ohnehin müsste die Frage lauten: Wie heikel ist es, dieses Thema nicht zu behandeln? In unserer liberalen Gesellschaft können wir das machen, in anderen Ländern wäre das viel schwieriger.
Wie sah die Vorbereitung der Schauspieler aus?
Adrian Grünewald, sein Gegenspieler Frederik Schmid und ich haben viel Zeit gemeinsam verbracht und über das Thema geredet. Frederik war beim Casting der jüngeren Darsteller bereits dabei. Entscheidend war, dass solch eine Rolle nicht zur Belastung für einen jungen Schauspieler wird. Das wäre nicht gut für den Jugendlichen und zudem ein großes Risiko für den Film. Wichtig war mir die Unterstützung von Fachleuten in Sachen Missbrauch, die uns beim Drehbuch beraten haben. Zartbitter e.V. wird "Bester Mann" nun auch mit pädagogischem Material begleiten.
Wie alt war Ihr Hauptdarsteller Adrian Grünewald bei den Dreharbeiten?
Adrian feierte zwei, drei Wochen vor den Dreharbeiten seinen 18. Geburtstag. Für uns war das ein glücklicher Umstand, weil es rechtlich viel schwieriger ist, mit jüngeren Darstellern zu drehen, zumal bei solch einem Thema. Wobei beim Casting durchaus jüngere Kandidaten dabei waren, die sehr souverän mit der Thematik umgingen. Alle fanden es gut, dass diese Missbrauchsgeschichte nicht, wie so häufig, aus der Sicht von Mädchen, sondern von einem Jungen erzählt wird.
Demnächst ist Adrian in Christian Alvarts Pandemie-Thriller "Sloborn" (Trailer) zu sehen, wo er eine ganz andere Seite zeigt. Was macht die Qualität des Schauspielers aus?
Adrian ist unglaublich talentiert. Bei "Bester Mann" stand Adrian ja noch ganz am Anfang, erst danach begann er mit seinem Studium in Babelsberg. Seine Qualität liegt in seiner großen Neugierde und Experimentierfreudigkeit. Adrian lässt sich total auf seine Figur ein und nimmt sich viel Zeit dafür. Er spielt die Rollen nicht nur herunter, sondern hinterfragt sehr vieles. In seinen folgenden Projekten hat er gezeigt, über welches Spektrum er verfügt.
Ihre dramaturgische Devise lautet Mut zur Lücke. Weil weniger zeigen mehr Wirkung hat?
Als Zuschauer genieße ich es total, wenn Filme interaktiv werden. Wenn es durch Auslassungen Räume gibt, die man selbst ausfüllt, werden Filme für das Publikum viel individueller. Zudem ging es nicht darum, einen Missbrauch bildlich zu zeigen, sondern das eigentliche Thema lautet Manipulation.
Auffallend ist das visuelle Konzept von "Bester Mann". Welchen Einfluss hat Ihre Ausbildung als Fotograf auf die Bildsprache?
Die schönen Bilder verdankt "Bester Mann" unserem besten Kameramann Dino Osmanović. (lacht) Tatsächlich sind Fotografie und Film kaum vergleichbar. In der Fotografie geht es mehr um Blitz und Verschlusszeiten, beim Bewegtbild stehen andere Faktoren im Fokus. Entscheidend für das visuelle Konzept war es, dem Zuschauer das Gefühl zu vermitteln, mittendrin statt nur dabei zu sein. Statt mit dem üblichen Schuss/Gegenschuss zu erzählen, gibt es bei uns sich überlappende Sequenzen.
Die Bilder des Fotohooting im Film, die man auf dem Notebook sieht, stammen aber von Ihnen?
Stimmt, die Fotos, die man auf dem Notebook sieht, habe ich selbst von Adrian gemacht. Teile der Foto-Requisiten stammen auch aus meinem eigenen Equipment.
Wie gemütlich war die Stimmung beim Dreh in dem lauschigen Bungalow im Wald?
Den lauschigen Bungalow mussten wir zunächst komplett entrümpeln und streichen. Es gab dort noch nicht einmal fließendes Wasser! Wir hatten Plumps-Klos für das Team mit 20 Leuten. Nach dem ersten Tag herrschte dann so eine richtig schöne Ferienlagerstimmung. Nur das Wetter machte uns einen großen Strich durch die Rechnung. Wir mussten Planen in die Bäume hängen, damit wir im Regen drehen konnten.
Gibt es bereits ein nächstes Projekt?
Ich arbeite gerade an einem Drehbuch über einen Influencer, der im Milieu der Verschwörungstheoretiker Karriere macht. Ein Psychodrama, in dem es wiederum um Manipulation gehen wird…
Was sagen Sie zu "Label Me" von Kai Kreuser, der jetzt im Doppelpack mit "Bester Mann" im Salzgeber Club zu sehen ist?
Ich bin ein ganz großer Fan von "Label Me". Mir gefällt sehr gut, dass Kai einen Aspekt der Flüchtlingsproblematik aufgreift, der bislang völlig unterrepräsentiert ist. Insbesondere den Schluss fand ich sehr beeindruckend.
Welche Reaktionen erhoffen Sie sich vom Publikum auf "Bester Mann"?
Ich hoffe, der Film animiert dazu, offen über das Thema Missbrauch zu sprechen, und dass er so ein wenig mit dazu beiträgt, das Tabu zu brechen. Diese Dinge passieren jeden Tag. Überall. Wenn die Gesellschaft irgendwann offener damit umgeht, werden es Täter deutlich schwerer haben und Betroffene sich eher trauen, Hilfe zu suchen.
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Bester Mann. Spielfilm Deutschland/Österreich 2018. Regie: Florian Forsch. Darsteller: Adrian Grünewald, Frederik Schmid, Thomas Bartholomäus. Laufzeit: 44 Minuten. Sprache: deutsche Originalfassung. FSK 12. Edition Salzgeber. Noch bis 3. Juni 2020 exklusiv im Salzgeber Club als Video on Demand.

Links zum Thema:
» "Bester Mann" als VoD auf salzgeber.de
Mehr zum Thema:
» Filmkritik: Starkes queeres Debüt-Doppelpack mit Max-Faktor (07.05.2020)
Mehr queere Kultur:
» auf sissymag.de
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Liegt sicher auch an der Dauer. In anderthalb Stunden kann man ganz anders erzählen als in 45.
Was ganz gut dargestellt wurde, ist die Taktik des "groomings" und die perfide Rhetorik der Täter.
Insgesamt lohnt sich der Film trotzdem, weil er wie gesagt die Maschen der Täter aufzeigt. Was mir fehlte, war eine klare Positionierung des Filmemachers. Es bleibt vieles ambivalent, auch wenn das vielleicht so gewollt ist, hätte ich mir da mehr Klarheit an mancher Stelle gewünscht.
Ein weiterer, schon etwas älterer (und erheblich drastischer) Film mit ähnlich gelagerter Thematik ist "L.I.E" von 2001.