Dass gut Ding Weile haben will, mag häufig richtig sein, doch ausgerechnet für Serien gilt der Spruch kaum. Meistens ist es doch eher so: Fängt eine Geschichte stark an, lässt sie in späteren Staffeln meist schnell nach. Und wenn nicht von Anfang an die Quote stimmt, bekommt sie kaum sonderlich lange Zeit, doch noch ihr Publikum zu finden. Aber es geht – ganz selten – auch mal anders, wie die ungewöhnliche Erfolgsgeschichte von "Schitt's Creek" beweist, auf die wir anlässlich der Ausstrahlung der sechsten und leider letzten Staffel ab dem 15. Mai bei TVNOW (für Premium-Abonnenten zum Glück auch in der englischen Originalfassung zu sehen) noch einmal zurückblicken.
Ihren Anfang nahm die Serie mit einer fixen Idee von Dan Levy, der in seiner kanadischen Heimat vor allem als MTV-Moderator bekannt geworden war: Wie würde es eigentlich all den superreichen Glamour-Familien aus dem Reality-Fernsehen, etwa den Kardashians, gehen, wenn sie von einem Tag auf den nächsten alles Geld verlören? Zusammen mit Papa Eugene Levy, seines Zeichens Comedy-Legende und bei uns vor allem durch die "American Pie"-Filme bekannt, entwickelte der schwule Schauspieler aus dieser Ausgangssituation eine Sitcom – und fand zu seiner eigenen Überraschung tatsächlich interessierte Sender (zuhause in Kanada den größten öffentlich-rechtlichen, in den USA einen winzigen Pay-TV-Kanal).
Der finanzielle Absturz der Familie Rose
Anfang 2015 also lief die erste Folge "Schitt's Creek", mit der das Abenteuer der Familie Rose beginnt, die von ihrem Vermögensverwalter um eben jenes gebracht wird. Vater Johnny (Eugene Levy) – sich selbst sehr wichtig nehmend und einst mit einer Videotheken-Kette reich geworden – und Mutter Moira (sensationell: Catherine O'Hara) – als Schauspielerin in einer Seifenoper längst nie so erfolgreich wie sie tut – bleibt einzig und allein ein kleines Städtchen namens Schitt's Creek, das sie einst im Spaß gekauft hatten. Dort müssen sie nun – zusammen mit einem Koffer voller Perücken von Moira – ein heruntergekommenes Motelzimmer beziehen, während die längst erwachsenen, aber verzogen-lebensuntauglichen Kinder – den pansexuelle David (Dan Levy) und die selbstverliebte Alexis (Annie Murphy) – ein weiteres teilen.
Hier die blasierten Snobs, die ihrer neuen Lebensrealität nicht recht ins Auge blicken wollen, dort die simplen Kleinstadtbewohner wie der ungehobelte Bürgermeister Roland, der sexy Single-Tierarzt Ted oder die naive Café-Betreiberin Twyla. Und mittendrin die bodenständig-eigenbrötlerische Motel-Managerin Stevie (Emily Hampshire). Aus diesem eher schlichten Prinzip entwickelte "Schitt's Creek" anfangs zunächst einen manchmal deftigen, oft sehr albernen Humor, der vor allem dank des blendend aufgelegten Ensembles Spaß machte.
Emmy-Nominierung als Beste Comedy
Doch spätestens ab der zweiten Staffel zeigte sich, welches Potential wirklich in der Serie steckte. Je tiefer die Levys und ihre Mit-Autor*innen unter die stereotypen Oberflächen von narzisstischer Gefühlskälte und plumper Dorftrotteligkeit drangen, desto mehr kamen Figuren zum Vorschein, die einem wirklich ans Herz wuchsen. Und desto mehr Raum gab es für Beiläufigkeiten, exzentrischen Witz und endlose Running Gags, von Davids ausgefallener, ausschließlich schwarzweißer Garderobe über Alexis' einmalige Grimassen bis hin zu Moiras bereits erwähnte Perücken.
Die Familie Rose in ihrem neuen Zuhause: Moira (Catherine O'Hara), Alexis (Annie Murphy), Johnny (Eugene Levy) und David (Daniel Levy)
(Bild: CBC)
In Nordamerika begann die Show zunächst als kleiner Geheimtipp, doch von Staffel zu Staffel stiegen die Quoten, und spätestens als Netflix "Schitt's Creek" ins Programm aufnahm, sprach sich herum, dass es in den vergangenen Jahren kaum eine lustigere Serie als diese gab. Als 2019 die fünfte Staffel anlief, war die Familie Rose in allen großen Magazinen und Talkshows vertreten, sogar eine Emmy-Nominierung als Beste Comedy war drin. Nur in Deutschland, wo die Serie schnell wieder von Netflix verschwand und seit Ende 2018 beim Streaminganbieter TVNOW zu finden ist, haben immer noch viel zu wenige Zuschauer*innen dieses komödiantische Meisterstück entdeckt, vielleicht auch weil hierzulande nicht jede der zahllosen popkulturellen Anspielungen verständlich ist bzw. in der Synchronisation doch einiges verloren geht.
Die emotionalste Staffel der Serie
Umso mehr lohnt es sich jetzt, alles bislang Verpasste nachzuholen und dann in vollen Zügen die letzte Staffel zu genießen, die vielleicht nicht die lustigste, aber ohne Frage die emotionalste der gesamten Serie ist. Im Zentrum steht – von Anfang bis Ende – die geplante Hochzeit von David und seinem Lebensgefährten Patrick, und allein der selbstverständliche, liebevolle und bewusst idealisierte Umgang mit dieser schwulen Eheschließung macht "Schitt's Creek" zu einem ziemlich einzigartigen Serien-Erlebnis.
In dieser kleinen Stadt, so hatte es Dan Levy einmal zu Protokoll gegeben, gäbe es keinen Platz für Homophobie. Aber dass dann zum Start der finalen Folgen selbst der US-Sender riesige Plakatwände buchte, die einen Kuss der beiden Männer zeigten, verblüffte selbst ihn.
Plakatwand in den USA für die letzten Folgen von "Schitt's Creek" (Bild: Twitter)
Tränen in den Augen sind in der letzten Episode entsprechend garantiert, so viel sei hier schon einmal verraten. Nicht nur wegen des entzückendes Happy-Ends, sondern natürlich auch, weil das Kapitel "Schitt's Creek" damit geschlossen wird. Auf der Höhe des Erfolgs, wenn's am schönsten ist und noch niemand von den Zuschauer*innen beschwert, so hat es Levy junior selbst entschieden. Zu schade. Aber auch wunderbar!