29 Kommentare
- 15.05.2020, 15:08h
- Der Artikel bräuchte eine wichtige Information: hat das Standesamt überhaupt den Ermessensspielraum diverse Menschen anzuerkennen? Falls nicht, kann man den Leuten dort doch keinen Vorwurf machen. Wenn ich Englisch unterrichte kann ich doch auch nicht einfach Mathenoten eintragen...
Der Skandal scheint hier das Gesetz zu sein, nicht das Standesamt... - |
- 15.05.2020, 17:58h
- Ich dachte "divers" sei nur für Menschen mit medizinisch bestätigten intergeschlechtlichen Merkmalen, die angeboren sind?
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- 15.05.2020, 23:22h
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Dem ist nicht so. Aber zuerst zum vorliegenden Sachverhalt:
Da auch eine intersexuelle Person in der Lage sein kann, ein Kind zu zeugen, liegt im gegebenen Fall eine problematische Unterscheidung vor. Nach momentaner Rechtslage kann es nämlich schlicht dazu kommen, dass intersexuelle Personen, welche ihren Eintrag bisher nicht haben umändern lassen, automatisch als Vater anerkannt werden würden (voraussetzt, sie wurden bisher als Mann geführt) - nach einer Änderung des falschen Eintrags aber nicht mehr. Die realen Verhältnisse der Ehe oder Zeugung spielen also überhaupt keine Rolle, sondern lediglich ein Eintrag im Geburtenregister. Das ist übrigens bei der Mutterschaft anders, da auch Männer, welche als Elternteil im Allgemeinen als Väter bezeichnet werden, rechtlich als Mutter gesehen werden, falls sie ein Kind gebären, ganz unabhängig von ihrem Geschlechtseintrag. Das zieht dann wieder einen ganzen Rattenschwanz an Problemen mit sich, auf die ich hier aber nicht eingehen will.
Zurück zum § 22 Abs. 3 PStG. Ich vertrete die Meinung, dass mit dem Begriff divers eigentlich nicht-binäre Menschen gemeint sind und dies auch der Grund ist, warum es jetzt so oft m/w/d und nicht m/w/i heißt. Hier meine Gründe dafür:
1) Der momentane Gesetzgeber hatte gar kein Interesse daran, irgendjemanden anzuerkennen, weder intersex noch nicht-binäre Individuen. Dazu wurde unsere Regierung per Gerichtsurteil gezwungen. Dass sie mit der Umsetzung des Urteils bis zum letztmöglichen Tag wartete und den Rat aller Expertengruppen bezüglich des Gesetztesinhalts ignorierte, zeigt schon, wie sehr sie wirklich ein qualitativ hochwertiges Gesetz wollte. Aus der Urteilsbegründung des Gerichts wird klar, dass es anerkennt, dass Geschlecht(sidentität) = gender und der biologische Phäno- und/oder Genotyp = sex zwei verschiedene Dinge sind. Beides gehört dem Gericht nach folglich berücksichtigt.
2) Um jetzt zu klären, was als rechtliches Geschlecht gilt, musste hier eine Differenzierung getroffen werden. Der Begriff Intersexualität gibt keine Auskunft über das gender einer Person, sondern nur deren sex. Da für das deutsche Rechtssystem aber das gender relevant ist (siehe altes Transsexuellen-Gesetz, inklusive der Gerichtsurteile, welche auch dieses im Laufe der Zeit zurechtgestutzt haben, beispielsweise hinsichtlich der Zwangssterilisation), wäre die Verwendung von Inter- als rechtliches Geschlecht folglich nicht angemessen. Daher gibt es nun den Eintrag divers.
3) Die Person, welche erfolgreich vor Gericht zog, ist intersex, aber auch nicht-binär. Es gibt mehr als genug intersex Individuen, welche eine männliche oder weibliche Geschlechtsidentität haben. Dem wird auch dadurch Umstand getragen, dass Betroffene mit dem neuen Gesetz nicht nur den Eintrag löschen oder zu divers ändern, sondern auch zu weiblich oder männlich korrigieren können. Wäre tatsächlich das sex für das rechtliche Geschlecht entscheidend, so wäre nur eine Umstellung auf divers vorgesehen gewesen. Erneut zeigt sich, dass also das gender ausschlaggebend ist.
4) Deine Fehlinterpretation des Paragraphen ist absolut nachvollziehbar. Der Grund für diese Art von Unklarheit, die letztlich durch das Gesetz gestiftet wurde, ist die Tatsache, dass die Verantwortlichen der Regierung kein Interesse daran hatten, der Realität ins Auge zu blicken und ein Gesetz zu verfassen, welches den Betroffenen wirklich nützt. Siehe auch Punkt 1). Also haben sie das gemacht, was dem Nichtumsetzen des Gerichtsurteils am nächsten kam, sie aber nicht in Schwierigkeiten brachte: Sie haben ein Gesetz durchgebracht, welches von all denen, die laut Gericht geschützt werden sollte (sowohl intersexuelle, als auch nicht intersexuelle nicht-binäre Menschen) nur eine Gruppe relativ klar genutzt werden kann. Dieses Gesetz wurde dann mit Wortneuschöpfungen (Varianten der Geschlechtsentwicklung) verwässert und in der separaten Gesetzesbegründung praktisch auf Intersexuelle beschränkt, wobei auch noch weitere Memos an die Ämter gingen, welche das Ganze in der Praxis weiter verschärften. Dass die Urteilsbegründung klar den Maßgaben des Gerichtsurteils widerspricht und damit eigentlich rechtsnichtig ist, interessierte die Verursacher nicht. Sie wollten im Endeffekt nur maximales Chaos, damit sich an der realen Situation der Betroffenen in der Praxis nichts zum Positiven ändert.
Der lsvd hat zu dem Thema übrigens einen gut lesbaren Ratgeber, wenn du dich näher informieren möchtest:
www.lsvd.de/de/ct/1361-Ratgeber-f%C3%BCr-inter-und-transgesc
hlechtliche-Menschen - |
- 16.05.2020, 09:47h
- Ich glaube nicht, dass der Gesetzgeber hier irgendwas vergessen oder übersehen hat, sondern genau diese Diskriminierung ist gewollt. So geschieht es ja auch bei lesbischen Elternpaaaren.
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- 16.05.2020, 18:18h
- Ach so, vielen Dank für deine ausführliche Erklärung! Intergeschlechtlichkeit ist glaube ich auch ein sehr vielfältiges Thema. Manche intersexuelle sehen sich ja auch einfach als Frau/Mann, weil ihre Eltern sich ja meistens für ein Geschlecht "entscheide" müssen. Aber ich kann auch gut verstehen, dass man als Inter-Mensch sich keinem traditionellen Geschlecht zuordnen kann. Dass es dann aber auch noch Nicht-binäre Personen gibt, die biologisch Mann/Frau sind, macht das Ganze noch verwirrender.
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- 17.05.2020, 01:53h
- Was ist denn an nichtbinären Menschen, die nicht intersexuell sind, verwirrend?
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- 17.05.2020, 11:49h
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Hätte die CDU gerne so aber faktisch kann das Gesetz auch von nicht-binären und binären trans Menschen (die dann halt einen andren Eintrag auswählen) genutzt werden. Manche Standesämter versuchen das zwar zu unterbinden, jedoch ist mir kein Fall bekannt wo Mensch nicht spätestens vor Gericht recht bekommen hat.
Gerade bei nicht-binären Menschen ligt das auch daran, dass das Verfassungsgericht sich in dem Gesetz voraus gehenden Urteil eigentlich ziemlich konkret gemacht hat dass es nen positiven dritten Geschlechtseintrag geben muss, egal wie jemand von der Binärität abweicht. - |
- 17.05.2020, 14:58h
- Für mich persönlich ist es nicht verwirrend, da ich die Unterschiede kenne. Aber für andere Menschen ist es verwirrend, weil der Eintrag "divers" sich ja explizit an Menschen mit intergeschlechtlichen Anlagen wendet. Nicht-binäre Menschen, die 100% männlich/weiblich zur Welt gekommen sind dürfen es ja nicht für sich eintragen lassen. Außerdem werden Intergeschlechtliche Menschen in eine Ecke gedrängt, in die sie vielleicht gar nicht möchten. Mal machen ältere latent homophobe CDU-Politiker/innen peinliche Witze über sie, mal werden sie für LGBT-Rechte herangezogen. Ich finde man sollte bei der ganzen Debatte um Gender Angelegenheiten Intergeschlechtliche Menschen außen vor lassen (außer ihr Gender ist weder männlich noch weiblich). Gender und biologisches Geschlecht sind nun mal verschiedene Dinge. Es gibt drei biologische Geschlechter: männlich, weiblich und halt verschiedene Arten von Inter. Bei den sozialen Geschlechtern würde ich pauschal zwei sagen, weil ich nun mal so aufgewachsen bin (ich bin 19) und auch die meisten Kulturen so geprägt sind. Ich wäre aber für Veränderungen offen und habe nichts dagegen, wenn sich jemand als etwas anderes identifiziert. Aus Respekt vor der Person akzeptiere ich jede Geschlechtsidentität. Auch wenn ich nicht alles nachvollziehen kann, heißt es nicht, dass ich Menschen ihre Identität abspreche. Menschen sind verschieden und das ist auch gut so.
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- 17.05.2020, 16:12h
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"Bei den sozialen Geschlechtern würde ich pauschal zwei sagen, weil ich nun mal so aufgewachsen bin (ich bin 19) und auch die meisten Kulturen so geprägt sind."
"Aus Respekt vor der Person akzeptiere ich jede Geschlechtsidentität."
Vielleicht kannst du die Diskrepanz zwischen diesen beiden Aussagen mal klären? Wer wirklich jede Geschlechtsidentität respektiert, kann nicht gleichzeitig alle außer zweien unter Berufung auf Traditionen ausschließen.
"Ich wäre aber für Veränderungen offen und habe nichts dagegen, wenn sich jemand als etwas anderes identifiziert."
Klingt ziemlich passiv. Wie wäre es, stattdessen selbst Teil des Fortschritts zu werden und die Veränderungen aktiv voranzutreiben? Wir sind zwar mehr oder weniger alle von kulturellen Normen geprägt, wir haben aber alle auch die Möglichkeit, diese zu verändern. - |
Aber bei dieser Regierung ist mit einer Korrektur nicht mehr zu rechnen.
Muss man wohl notfalls wieder bis vors Bundesverfassungsgericht ziehen. Als ob die nichts anderes zu tun hätten, als immer die Fehler der Regierung auszubügeln und deren Arbeit zu machen.