https://queer.de/?36137
Bundesverfassungsgericht
Homophobe Staffelübergabe in Karlsruhe
Mit Stephan Harbarth wird ein expliziter Gegner von LGBTI-Rechten neuer Präsident des Verfassungsgerichts. Sein Vorgänger Andreas Voßkuhle macht Minderheitenpolitik für Populismus verantwortlich.
- Von
16. Mai 2020, 06:53h 4 Min.
Keine gute Woche für Minderheiten in Deutschland: Am Freitag wählte der Bundestag den früheren Unionsfraktionsvize Stephan Harbarth, einen expliziten Gegner von LGBTI-Rechten, einstimmig zum neuen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts. Er wird Nachfolger von Andreas Voßkuhle, der nach zwölf Jahren in Karlsruhe turnusmäßig, aber mit einem Knall ausscheidet: In einem Interview mit der "Zeit" (Paywall-Artikel) macht Voßkuhle die Minderheitenpolitik der "liberalen Elite" für den Rechtspopulismus in Deutschland verantwortlich.
Die Personalie war vorgezeichnet: Voßkuhles Amtszeit war eigentlich schon am 6. Mai abgelaufen. Harbarth ist schon seit Ende 2018 Vizepräsident des Gerichts. Es gilt als ungeschriebenes Gesetz, dass der Vize an die Spitze nachrückt. Der Präsident des Verfassungsgerichts ist protokollarisch die fünfthöchste Person im Staat.
Gegen Diskriminierungsschutz und Ehe für alle

Stephan Harbarth urteilt als Verfassungsrichter über Gesetze, die er als CDU-Bundestagsabgeordneter selbst mit verabschiedet hat (Bild: Matthias Busse / wikipedia)
Bereits nach Harbarths Nominierung vor zwei Jahren hatte queer.de daran erinnert, dass er als CDU-Abgeordneter gegen eine Erweiterung des Diskriminierungs-Schutzes im Grundgesetz um die sexuelle Identität polemisierte: "Die heutige Debatte ist unnötig", sagte er etwa am 21. Januar 2010 im Bundestag. Die Verfassung sei völlig ausreichend und kein "Versandhauskatalog politischer Wünsche". Der Opposition warf er Symbolpolitik vor: "Dass sie wieder einmal nach einer Verfassungsänderung rufen, entspricht ihrem Politikansatz. Sie entdecken ein Übel und wollen es verbieten" (queer.de berichtete).
Vor drei Jahren stimmte Harbarth im Bundestag gegen die Ehe für alle, weil diese angeblich verfassungswidrig sei. "Für die parlamentarische Behandlung des Gesetzentwurfes ist von entscheidender Bedeutung, ob das Institut der Ehe im Sinne des Artikels 6 Absatz 1 Grundgesetz eine Öffnung für Personen gleichen Geschlechts zulässt oder ob der verfassungsrechtliche Begriff 'Ehe' dem entgegensteht, mithin eine einfachgesetzliche Änderung des Ehebegriffs eine Änderung des Grundgesetzes voraussetzt", gab er in einer persönlichen Erklärung zu Protokoll (PDF). Der Gesetzentwurf des Bundesrates stelle eine "Abkehr von der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts" dar, so der CDU-Politiker. Wer die Ehe öffnen wolle, müsse zuerst das Grundgesetz ändern.
Harbath stimmte zwar für die Rehabilitierung und Entschädigung der nach 1945 verfolgten Homosexuellen, in der Bundestagsdebatte fand er jedoch nur teilweise angemessene Worte. Der Paragraf 175 stehe heutigem Rechtsverständnis "diametral entgegen" und habe Biografien zerstört. Es sei aber falsch, von "Unrechtsurteilen" zu sprechen: Wenn die Legislative das tue, sei das problematisch. Auch sei darauf zu achten, dass nur einvernehmliche Handlungen rehabilitiert werden, um "neue Ungleichbehandlungen" zu vermeiden (queer.de berichtete).
Voßkuhle schämt sich für Urteil zum Paragraf 175

Andreas Voßkuhle hatte sich bislang für Minderheitenrechte starkgemacht (Bild: Sandro Halank / Wikipedia)
Harbaths Vorgänger Andreas Voßkuhle stand bislang für die Verteidigung von Minderheitenrechten. Der 56-Jährige ist seit 2008 in Karlsruhe, seit 2010 als Präsident. Unser seiner Präsidentschaft beendete das Bundesverfassungsgericht in mehreren Urteilen die Diskriminierung eingetragener Lebenspartner gegenüber heterosexuellen Eheleuten. Im vergangenen Jahr erklärte er in einer Fernsehsendung auf die Frage von queer.de-Autor Erwin In het Panhuis, man müsse sich für das Urteil des Bundesverfassungsgerichts "schämen", das 1957 den Paragraf 175 mit dem Grundgesetz vereinbar erklärte (queer.de berichtete).
Sein Amt beendete Voßkuhle jedoch mit einem Eklat. Auf die Frage der Wochenzeitung "Die Zeit", wie er sich den Aufstieg des Populismus in Deutschland erkläre, antwortete er in der aktuellen Ausgabe: "Ein wichtiger Aspekt ist, glaube ich, dass die die liberalen Elite die – wenn Sie so wollen – 'normalen' Menschen etwas aus dem Blick verloren hat." Ihren Problemen und Sorgen habe die Politik vielleicht zu wenig Aufmerksamkeit entgegengebracht, behauptete der Jurist. "Die liberalen Eliten interessieren sich häufig eher für Menschen, die offensichtlich diskriminiert werden. Das ist auch wichtig und richtig, und da machen wir gute Fortschritte. Aber dafür darf man die anderen nicht aus dem Blick verlieren, die große Mitte, alle jene, die nicht offensichtlich benachteiligt sind, sondern die eher unter dem Radar ein normales Leben führen."
Ines Pohl: Voßkuhle-Argumentation "infam" und "ganz gefährlich"
Im neuen QUEERKRAM-Podcast von Johannes Kram, der am Montag auf queer.de veröffentlicht wird, kritisierte die ehemalige Deutsche-Welle-Chefredakteurin Ines Pohl, die ab Juli die Leitung des Studios Washington übernimmt, Voßkuhles Argumentation als "infam" und "ganz gefährlich": "Ich glaube, manche Dinge muss man einfach aushalten, da muss man sich mit breitem Kreuz hinstellen und in Kauf nehmen, dass es auch von Populisten missbraucht wird, sonst würde man gesellschaftliche Weiterentwicklung nicht hinkriegen."
So hat es übrigens auch Voßkuhle mal selbst gesehen. Es gehöre zu "den zentralen Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts, den Nicht-Mächtigen im demokratischen Verfassungsstaat auch durch unpopuläre Entscheidungen zu ihrem Recht zu verhelfen", sagte er 2013 bei einer Buchvorstellung und erwähnte dabei homosexuelle und transgeschlechtliche Menschen (queer.de berichtete). In einer "zivilisierten, humanen Gesellschaft" hätten Minderheiten Recht auf eine "eine starke rechtliche Stimme."
Offiziell vollzogen wird der Wechsel an der Spitze des Verfassungsgerichts mit der Ernennung durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.
















Die Personalie Harbarth ist ohnehin ein Skandal. Erst mal war der Mann keine Minute seines Berufslebens je als Richter tätig, ehe er ins höchste Gericht berufen wurde (wenn ich nicht völlig falsch unterrichtet bin). Zweitens hat der direkte Sprung aus dem Bundestag ins Bundesverfassungsgericht mehr als nur einen Hauch von Parteifilz, selbst wenn jemand der Ansicht sein sollte, es sei überhaupt in Ordnung, einen Bundestagsabgeordneten zum Verfassungsrichter zu machen. Ferner war Harbarth maßgeblich an der Abfassung jenes § 217 StGB beteiligt, der vom Bundesverfassungsgericht später als verfassungswidrig aufgehoben wurde - er hat also das Grundgesetz gebrochen und eignet sich schon deshalb nicht als Verfassungshüter. Schließlich sortiert er die Bürgerinnen und Bürger in solche, denen nach seiner Meinung alle Rechte zustehen, und solche, denen volle Gleichbehandlung verweigert werden dürfe. Kriterium ist ihm unter dem Einfluss der kath.Kirche die sexuelle Orientierung, womit er ein (un-) würdiger Nachfolger des früheren Rechtsaußens des Verfassungsgerichts, Udo di Fabio, ist.
Alles in allem: ein neuer personeller Tiefpunkt in der Geschichte der Stellenbesetzung bei deutschen Verfassungsorganen.