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Offener Brief

Transfeindliches Gesetz: Grüne fordern Einbestellung des ungarischen Botschafters

Außenminister Heiko Maas müsse "aktiv gegen Grundrechtseinschränkungen vulnerabler Gruppen in Europa" vorgehen, fordern Claudia Roth und Sven Lehmann.


Unter Viktor Orbán entfernt sich Ungarn zunehmend von Europa, Menschenrechten und Demokratie (Bild: European People's Party / flickr)
  • 21. Mai 2020, 17:34h 8 4 Min.

Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) und Sven Lehmann, Sprecher für Queerpolitik der Grünen, haben die Bundesregierung aufgefordert, wegen der Einschränkung der Rechte von Trans- und Intersexuellen in Ungarn den Botschafter des Landes einzubestellen. Mit dem am Dienstag verabschiedeten Gesetz werde "die rechtliche Existenz von trans- und intergeschlechtlichen Menschen in Ungarn nun praktisch ausgelöscht", schrieben Roth und der Grünen-Abgeordnete Sven Lehmann in einem Brief an Außenminister Heiko Maas (SPD).

Mit der Zweidrittelmehrheit der rechtsnationalen Regierungsmehrheit hatte das Parlament beschlossen, dass künftig vom Staat im standesamtlichen Personenregister das "Geschlecht zur Geburt" erfasst wird und dieser Eintrag samt Vorname nicht mehr änderbar ist (queer.de berichtete). Das stelle "einen der schwersten Angriffe auf LGBTI-Rechte in Europa der letzten Jahre dar", so die Grünen.

/ HeikoMaas | Außenminister Heiko Maas (SPD) ging am Sonntag auf Twitter auf den Internationalen Tag gegen Homo- und Transphobie ein, aber seitdem dort nicht auf die Lage in Ungarn
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Es sei die "demokratische und menschenrechtliche Pflicht der Bundesregierung, nicht nur deutlich zu widersprechen, wenn demokratische Grundregeln in Mitgliedsstaaten der EU ausgehebelt werden", heißt es in dem am Donnerstag veröffentlichten Schreiben weiter. Vielmehr müsse sie "aktiv gegen Grundrechtseinschränkungen vulnerabler Gruppen in Europa" vorgehen. "Deshalb bitten wir Sie nachdrücklich, den ungarischen Botschafter in Deutschland einzubestellen, um ihm unmissverständlich zu kommunizieren, dass dieses menschenrechtsfeindliche Gesetz in eklatanter Weise gegen die Werte und Grundrechte der Europäischen Union verstößt."

Deutschland "beobachtete" Lage

Die innerhalb weniger Wochen im Rahmen eines Gesetzespaketes zur Corona-Krise verabschiedete Neuregelung im Personenstandswesen führt dazu, dass trans Personen keine rechtliche Anerkennung in ihrem Geschlecht erhalten und keine Dokumente wie Personalausweise oder Führerscheine entsprechend anpassen könnten. Ungarische LGBTI-Organisationen haben den Präsidenten aufgefordert, das Gesetz nicht zu unterzeichnen, sondern es dem Verfassungsgericht vorzulegen – das hatte bereits mehrfach entschieden, das Transsexuellen diese rechtliche Anerkennung zustehe.

/ svenlehmann
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Das Vorhaben der Orbán-Regierung hatte in den letzten Wochen zu heftiger Kritik im In- und Ausland geführt, die queere Háttér Society listet etwa offizielle Schreiben von Vertretern der Vereinten Nationen, des Europarats und der EU. Die Bundesregierung hatte hingegen am 23. April auf eine Kleine Anfrage der Grünen geantwortet, sie "beobachtet die Lage und die Achtung der europäischen Grundwerte in Ungarn sehr genau" (queer.de berichtete). Versuche, die Rechte von LGBTI-Personen zu beschränken, beobachte die Bundesregierung mit großer Sorge. "Sie erwartet vom ungarischen wie von jedem europäischen Gesetzgeber, dass Menschenrechte und die Grundwerte der EU einschließlich des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung (Artikel 21 der Charta der Grundrechte der EU) geachtet werden und macht dies in bilateralen Gesprächen auf allen Ebenen regelmäßig deutlich."

"Die 'sehr genaue Beobachtung' der Lage und der Achtung der europäischen Grundwerte in Ungarn reichen offensichtlich nicht, um die dortige Missachtung fundamentaler Menschenrechte zu verhindern", so die Grünen am Donnerstag. "Wenn sich die Europäische Union nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch als Wertegemeinschaft versteht, darf die Bundesregierung nicht schweigen, wenn im Windschatten der Pandemie-Bekämpfung Diskriminierung von trans- und intergeschlechtlichen Menschen in Ungarn vorangetrieben wird." Die Bundesregierung sollte den Austausch dazu nutzen, "dass das Gesetz vor dem Inkrafttreten zunächst vom ungarischen Verfassungsgericht überprüft wird".

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SPD: EVP soll Orbán rauswerfen

Die Arbeitsgemeinschaft SPDqueer, die vor der Gesetzesverabschiedung ein Handeln der Bundesregierung und der EU gefordert hatte, hat derweil am Mittwoch zusammen mit der Arbeitsgemeinschaft der Sozialdemokratischen Frauen in einem Offenen Brief an den CSU-Politiker Manfred Weber, dem Vorsitzenden der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europäischen Parlament, gefordert, die Fidesz-Partei "des Antidemokraten und Antieuropäers Viktor Orbán" aus der Fraktion zu werfen.

Unter anderem mit dem Verbot der Anerkennung von Transsexuellen sei Fidesz für einen "braunen Mai in Ungarn" verantwortlich. "Mit Braunen wird nicht paktiert. Mit Braunen wird nicht getagt und auf braune Stimmen wird nicht gebaut", so die SPD-Arbeitsgruppen. Ein Nicht-Handeln mache Weber "mit schuldig": "Schuldig gegenüber der europäischen Idee. Schuldig am Verlust der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit. Schuldig am Verlust unserer gemeinsamen europäischen Zukunft."

/ MiRo_SPD | Der SPD-Politiker Michael Roth, Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt, reagierte am Dienstag auf Twitter auf die Verabschiedung des Gesetzes
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Erst im Februar hatte Orbán einen Brandbrief an die EVP geschrieben und darin praktisch ein Europa ohne Ehe für alle und "Gender-Ideologie" gefordert (queer.de berichtete). Im März 2019 war Fidesz wegen zunehmender Demontage des Rechtsstaates und der Demokratie in Ungarn von der EVP suspendiert worden: Die Partei gehört zwar weiterhin der Fraktion an, die Abgeordneten und Orbán dürfen aber nicht an Sitzungen teilnehmen oder für Ämter kandidieren.

Bislang uneingeschränkt zur EVP gehört Orbáns Koalitionspartner KDNP, die Christlich-Demokratische Volkspartei. Das Gesetz mit der Anti-Trans-Bestimmung war am 31. März im Namen der Regierung vom stellvertretenden Ministerpräsidenten und KDNP-Vorsitzenden Zsolt Semjén eingebracht worden. (nb/pm)

 Update  22.05.: Auch LSU fordert Fidesz-Ausschluss aus EVP

In einer Pressemitteilung forderten am Donnerstag auch die Lesben und Schwulen in der Union (LSU) Konsequenzen von der EVP. "Nach diesem erschreckenden Parlamentsbeschluss steht für uns als LSU endgültig fest, dass wir es in Ungarn mit regierender Unmenschlichkeit zu tun haben", erklärte der LSU- Bundesvorsitzende Alexander Vogt. "Ein Ausschluss der ungarischen Regierungspartei Fidesz aus der Europäischen Volkspartei EVP ist für uns damit definitiv alternativlos geworden. Es ist höchste Zeit, die auf Eis gelegte Mitgliedschaft der Fidesz in der EVP endlich ganz zu beenden."

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#1 YannickAnonym
  • 21.05.2020, 22:35h
  • Eine EU, die nicht mal die Einhaltung ihrer eigenen Grundrechte-Charta in allen Mitgliedsländern gewährleisten kann, verliert jede Glaubwürdigkeit und letztlich auch das Vertrauen ihrer Bürger.
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#2 zundermxeAnonym
  • 22.05.2020, 10:08h
  • Die praktische Duldung und damit ebenso einhergehende praktische Unterstützung dieser fundamentalen Verletzung von Menschenrechten (nicht nur) in Ungarn zeigt die sehr wenig ausgeprägte Überzeugung und Einsatzbereitschaft für Europa und die europäische Idee viel zu vieler Politiker*innen jenseits von Wirtschaftsinteressen.
    Leider trifft dies auf Deutschland wie auf Europa gleichermaßen zu.

    Nur was sollen wir von Politiker*innen erwarten, die selbst im Inland die Zeit nicht reif sehen bzw. nicht jeden Einsatz für angebracht und gerechtfertigt halten um in allen Bereichen und auf allen Ebenen eine vollkommen selbstverständliche Gleichberechtigung und Lebensmöglichkeit aller zu schaffen?!
    Etwas Diskriminierung zu dulden, zu rechtfertigen oder zu schaffen ist eben die selbe Wurzel und Überzeugung, die in Ungarn dieses Übel ermöglichen.

    Insofern wird der Weg für uns, auch Dank deutscher Politik, nicht wirklich kürzer.
    2020 - Leben und Freiheit scheinen eine Utopie.
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#3 PetterAnonym
  • 22.05.2020, 17:27h
  • "Außenminister Heiko Maas müsse (...)"

    Na, das ist ja der richtige.

    Da kann man bei dem aber lange drauf warten...

    Der sitzt doch nur noch die Restzeit ab, bevor er endlich von der SPD in die Wirtschaft wechseln kann.
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