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Historische Debatte unterbrochen

Schweiz: Nationalrat vertagt Abstimmung über Ehe für alle

Nach sieben Jahren Diskussion über den Entwurf sollte das Parlament am Mittwoch eine historische Entscheidung treffen – doch nach der Mittagspause wurde die begonnene Debatte vertagt.


Motiv der Kampagne "Operation Libero"

  • 3. Juni 2020, 13:48h 10 4 Min.

Die Schweiz steht kurz vor der Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare, lässt aber noch etwas länger auf sich warten. Übereinstimmenden Medienberichten zufolge entschied der Nationalrat am Mittwochnachmittag, die vor der Mittagspause begonnene Debatte zur Ehe-Öffnung nach dieser nicht mehr aufzunehmen, sondern auf einen noch unbestimmten Zeitpunkt zu vertagen. Grund sei eine dringliche Beratung über Corona-Nachtragskredite, die bereits am Donnerstag im Ständerat, also der Versammlung der Kantone, aufgegriffen werden soll.

Die lange erwartete Abstimmung zur Ehe für alle hätte ursprünglich bereits am 17. März stattfinden sollen, war aber wegen der Corona-Krise verschoben worden. Derzeit tagt das Plenum vorübergehend in der Bernexpo. Nationalratspräsidentin Moret sagte Mittwochnachmittag gegenüber Medien, man versuche, die Vorlage noch in dieser Parlamentssaison weiter zu beraten. Sie geht bis zum 19. Juni.


Das Parlament in seiner Notunterkunft

Den ursprünglichen Gesetzentwurf hatte die Grünliberale Fraktion bereits im Dezember 2013 in das Parlament eingebracht. Danach wurde viel beraten und gezögert. Der Rechtsausschuss riet später mehrheitlich dazu, den Schritt nicht wie ursprünglich vorgesehen per Verfassungsänderung zu gehen, sondern per einfachem Gesetz. Zugleich empfahl er, die Ehe-Öffnung in Etappen durch Weglassung besonders umstrittener Punkte, etwa zur Hinterbliebenenrente umzusetzen, und im letzten Herbst schließlich in seiner letzten Version des Gesetzentwurfs, bei Frauenpaaren auf eine gemeinsame Elternschaft ab Geburt und auf einen Zugang zu künstlicher Befruchtung zu verzichten (queer.de berichtete). Der Bundesrat, also die Regierung, schloss sich dem Kompromiss Ende Januar 2020 an.

Mehrheit in Politik und Gesellschaft vorhanden

Nach den letzten Wahlen im Oktober 2019 haben Befürworter einer kompletten Ehe-Öffnung samt Samenspende für lesbische Paare – SP, Grüne, FDP und Grünliberale – allerdings im Nationalrat eine Mehrheit. Die CVP plädiert mehrheitlich für den Kompromiss aus den Ausschüssen samt dem allgemeinen Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare, während die SVP die Ehe-Öffnung ablehnt.

"Die Paare in der Schweiz warten auf uns", sagte der grüne Nationalrat Beat Flach zum Einstieg der Debatte am Mittwochmorgen. Er verwies darauf, wieviele Länder alleine während der Beratung in der Schweiz bereits die Ehe geöffnet hatten. Yves Nidegger von der Schweizerischen Volkspartei sprach hingegen von einem "Staatsstreich", da mit mehreren Schritten zur Ehe-Öffnung mögliche Volksentscheide verhindert werden sollten, es mit der Lebenspartnerschaft bereits quasi die Ehe für alle gebe und homosexuelle Elternschaft nicht der Biologie entspreche. Sein Kollege Pirmin Schwander forderte eine ausführliche Debatte über eine Verfassungsänderung, während weitere Parlamentarierinnen der Fraktion in Zwischenfragen eine Diskriminierung von Kindern ausmachten, sollte die Ehe geöffnet werden.

/ pinkcross_ch | Die Schweizer LGBTI-Organisation Pink Cross forderte vor der Abstimmung eine Ehe-Öffnung ohne Kompromisse
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Das Gesetz habe durchaus das Kindeswohl im Blick, betonte SP-Nationalrätin Tamara Funicello, indem es Regenbogenfamilien rechtlich absichere. Auch CVP-Nationalrat Vincent Maitre meinte, dass Studien zeigten, dass Kinder in Regenbogenfamilien keine Nachteile hätten: "Auf solche gesellschaftlichen Veränderungen muss man reagieren". Christoph Eymann von der FDP forderte, auch lesbische Paare sollten Zugang zur Samenspende haben und dafür nicht ins Ausland müssen.

Nach rund einer Stunde Debatte ging es dann in die Mittagspause und danach halt um Corona-Hilfen. Die Organisation Pink Corss nannte die erneute Verzögerung "enttäuschend": "Wir fordern, dass die #Ehefüralle noch in der aktuellen Session behandelt wird! Die Bevölkerung wartet – und wir als Community sowieso."

/ LOS_Schweiz | Auf die Lesbenorganisation der Schweiz zeigte sich entnervt über die erneute Verzögerung
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Paare könnten noch bis 2021 warten müssen

Nach dem Nationalrat muss sich noch der Ständerat, die Kammer der Kantone, in seiner Herbst- oder Wintersession mit der Vorlage beschäftigen. Wird dort eine unterschiedliche Version des Gesetzes bevorzugt, kommt es zu einer Art Vermittlungsausschuss. Zu dem endgültigen Ergebnis könnten Gegner der Ehe-Öffnung noch ein Referendum erzwingen, wenn sie innerhalb von drei Monaten mindestens 50.000 Unterschriften sammeln. Laut SRF hat die kleine evangelikale Partei EDU bereits einen entsprechenden Schritt beschlossen. Aktuellen Umfragen zufolge lehnen allerdings nur knapp unter 20 Prozent der Bevölkerung die Ehe für alle ab, bei Hinzunahme der Samenspende rund 30 Prozent.

Bislang dürfen sich Schwule und Lesben in der Schweiz nur verpartnern – nach dem 2007 in Kraft getretenen Partnerschaftsgesetz, das nur eingeschränkte Rechte vorsieht. So ist ihnen bisher etwa nur die Adoption leiblicher Kinder des gleichgeschlechtlichen Partners oder der gleichgeschlechtlichen Partnerin erlaubt. Durch die Ehe für alle würde die Eingetragene Partnerschaft für die Zukunft abgeschafft; wie in Deutschland könnten bestehende Lebenspartnerschaften in eine Ehe umgewandelt werden oder existierten mit bisherigen Rechten und Pflichten weiter.

-w-

#1 Taemin
  • 03.06.2020, 16:32h
  • Da ist in der Überschrift von der "Ehe für alle" die Rede, im Text aber wird klar, dass es nur um die Umbenennung der bisherigen Lebenspartnerschaft in (Pseudo-) Ehe geht. Nicht mal Hinterbliebenenversorgung soll diese "Ehe" beinhalten. Und sogar dieser Etikettenschwindel ist den Schweizer Politikern noch zu viel, so dass sie die Sache einfach abbrechen. Man erinnere sich, wie quälend lange der Weg zum allgemeinen Wahlrecht in der Schweiz und in einzelnen Kantonen war. Gesellschaftspolitisch verharrt dieses Land stur im 19. Jh.
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#2 tychi
  • 03.06.2020, 17:34hIrgendwo im Nirgendwo
  • Antwort auf #1 von Taemin
  • Es ist kompliziert. Und eine Prüfung für die schwul-lesbische Solidarität.

    Die Light-Version (oder Kernvorlage, wie sie offiziell heisst) bedeutet für uns Schwule genaugenommen die volle "Ehe für alle" (inkl. Adoption).

    Für Lesben hingegen ist es in der Tat eine unbefriedigende Lösung, die auf Dreiviertel des Weges stehen bleibt. Die Samenspende für lesbische Frauen (wie auch ledige Frauen) soll darin weiterhin nicht möglich sein wird. Ebenfalls problematisch bleibt die Elternschaft. Eine Partnerin muss das Kind der biologischen Kindsmutter erst adoptieren (im Gegensatz zur angenommen Vaterschaft bei Heteropaaren).
    Die Hinterbliebenenrente betrifft ebenfalls so nur lesbische Frauen. In der Schweiz sind Witwen gegenüber den Witwern bessergestellt (das ist wohl historisch bedingt). Bei gleichgeschlechtlichen Paaren werden jedoch Frauen wie Männer den Witwern gleichgestellt.

    Es ist und bleibt kompliziert. Ich hoffe jedoch, dass die Abstimmung im Nationalrat trotz Vertagung noch in dieser Session erfolgt. Ist die Ehe für Alle mit Adoption einmal durch (inklusiv Volksabstimmung, die ziemlich sicher stattfinden wird), werden nachträgliche Anpassungen wohl folgen.

    PS: Bei der Mutterschaftsversicherung mussten die Frauen Jahrzehnte warten, bis das Parlament die Vorlage umsetzte. Da war sogar ein Verfassungsauftrag vorhanden.
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#3 FinnAnonym
  • 03.06.2020, 20:59h
  • Die sollen endlich die Ehe öffnen. Und zwar vollständig ohne Einschränkungen.

    Grundrechte dürfen nicht immer aufgeschoben werden. Damit signalisiert man nur, dass Grundrechte etwas sind, was fraglich ist.

    Und selbst wenn die Homohasser einen Volksentscheid erzwingen würden, kann man dem gelassen entgegen sehen. Denn wo 70-80% der Bürger dafür sind, sind solche Versuche chancenlos.
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