Die Geschichte des schwulen deutschen Schlagers fing vor einem halben Jahrhundert an: Sonny Costa brachte zwei Lieder auf den Markt, die man sich heute auch online anhören kann: "Homo Joe" und "Er". Die Geschichte und die Hintergründe zu diesen beiden Schlagern hat Ralf Jörg Raber in seinem Buch "'Wir sind wie wir sind'. Ein Jahrhundert homosexuelle Liebe auf Schallplatte und CD" (2010, S. 103-106) vorbildlich untersucht. Dabei stellt er nicht nur die Lieder vor, sondern porträtiert auch die beiden für die Schallplatte verantwortlichen Männer.
"Homo Joe" und "Er"
Für heutige Verhältnisse hört sich der Titel der A-Seite "Homo Joe" schon fast wie eine Beleidigung an und Liedzeilen wie "Wiegende Hüften, geschmeidig im Gang" klingen arg nach überkommenen Klischees. Beim Hören wird aber schnell klar, dass "Homo Joe" ein rundherum emanzipatorisches Gute-Laune-Lied ist. Das zugehörige Cover ist ganz im Disco-Look der Siebzigerjahre gehalten. In vielen Schwulenlokalen soll die Platte um 1970 herum ein echter Tanzhit gewesen sein, der dem Sänger rund 50 bis 60 Auftritte beschert haben soll.
Auf der B-Seite ist das ruhigere und romantischere Lied "Er" zu hören. Bei diesem Lied könnte man fast meinen, dass Sonny Costa stimmlich Freddy Quinn nacheifern wolle, dabei sollte er – nach eigener Aussage – ein wenig wie Zarah Leander singen, "und das ist mir auf der B-Seite auch gut gelungen". Während das Cover der A-Seite zum Tanzen und vielleicht sogar zum Autorennen einlädt, animiert das erotische Cover der B-Seite eher zum Sex. Da liegt ein nackter Mann am Wasser und der Sänger darf bei ihm "Wind und Welle" sein. Es ist unklar, was damit gemeint ist – zumindest aber wird eine positive Einstellung zum schwulen Outdoor-Sex deutlich.
Mit einigen Jahrzehnten Abstand und mit seinem Wissen über Musikgeschichte kann Ralf Jörg Raber in seinem oben genannten Buch die beiden Lieder noch genauer verorten. Für ihn lieferte die A-Seite "Homo Joe" "sozusagen zum ersten Mal schwulen Deutschpop und war die erste tanzbare 'schwule' Schlagerplatte der Bundesrepublik, die B-Seite 'Er' das erste ernsthafte erotisch-schwule Liebeslied, das je in Deutschland auf einer Schallplatte erschien". Das beschreibt nicht nur treffend, sondern hebt auch gut das Besondere an beiden schwulen Schlagern hervor, die vermutlich das Eis für viele weitere Schlager gebrochen haben.
Rezensionen
Die Schwulenzeitschrift "him" gab die Single heraus
Sex-Zeitschriften, die sich an schwule, und solche, die sich an heterosexuelle Männer richten, scheinen keine großen Berührungspunkte zu haben. Zumindest in einem Fall täuscht dies, denn die "St. Pauli Nachrichten" (1968-1981), die in den ersten Jahren auch politisch linke Texte enthielten, und die Schwulenzeitschrift "him" erschienen im selben Verlagshaus, und als die "St. Pauli Nachrichten" 1981 Konkurs anmeldeten, musste auch "him" eingestellt werden. Wilfried Laurig war 1970 der Chef der Frankfurter Redaktion der "St. Pauli Nachrichten", wo – aufgrund der Verbindungen zu "him" – auch die Frage nach einer schwulen Schallplatte aufkam. Die Schallplatte wurde dann durch "him" herausgegeben und in beiden Blättern besprochen.
Der Beitrag in den "St. Pauli Nachrichten" (14. August 1970) ist nicht informativ, aber sehr unterhaltsam und als Kurzgeschichte konzipiert: Die 45-jährige Beamtenwitwe Elfriede Meier hört aus der Wohnung des Nachbarn ein schönes Liebeslied und fühlt sich vom Nachbarn und dem Lied angesprochen. Daraufhin überprüft sie ihren Lippenstift, zieht ihr Kleid zurecht und stattet ihm einen Besuch ab. Als sie jedoch durch den Text "Homo Joe" erfährt, dass ihr Nachbar schwul ist, fällt sie in Ohnmacht, denn schließlich hätte sie bei einem so schönen Lied nie etwas Schwules vermutet. Ihr schwuler Untermieter reicht ihr Riechsalz, sie kommt wieder zu Bewusstsein und erfährt, wo auch sie diese Single erhalten kann.
Weil "him" die Schallplatte herausgab, irritiert es ein wenig, wie kritisch sich Dieter Michael Specht in dieser Zeitschrift darüber äußert: "Der 'flotte Text' (oh diese Ankündigungen!) ist ein wenig blöd geraten, wie sich das eben für einen echten deutschen Schlager gehört." Wer solche Musik liebe, solle jedoch zugreifen, denn so viel "Melodien- und Wortschwüle" erlebe man schließlich nur selten (1970, Nr. 5). Im Juni soll die Single "trotz Spechts bissiger Ankündigung" bereits eingeschlagen sein – obwohl sie erst seit diesem Monat bestellbar war (1970, Nr. 6). Einen Monat später wird die "Scheibe" als "eine Bombe, ein echter Knüller" bezeichnet und auch eine – durch nichts gerechtfertigte – Hoffnung zum Ausdruck gebracht: "In wenigen Wochen wird der erste Homo-Schlager die deutschen Hitlisten stürmen" (1970, Nr. 7). Das passierte allerdings nie.
Der Produzent Roland Schneider
Es waren zwei Männer, die die Idee dieser Schallplatte realisierten: der Sänger Wilfried Laurig, wie Sonny Costa mit bürgerlichem Namen hieß, und der Musikproduzent Roland Schneider. Die Idee zu beiden Liedern hatte Laurig, die Arrangements und die Produktion waren Schneiders Part, Text und Musik erarbeiteten beide gemeinsam. Roland Schneider hatte in der Musikbranche einen bekannteren Namen. Er tourte mit Eartha Kitt, entdeckte Costa Cordalis und produzierte für Mary Roos, Roberto Blanco und Ivan Rebroff. Die "him"-Single lässt sich als kleines experimentelles Nebenprodukt seiner Arbeit bezeichnen.
Der Sänger Wilfried Laurig alias Sonny Costa
Sonny Costa im Jahr 1966
"Sonny Costa" wurde in der "him" zwar als ehemaliger deutscher Schlagerstar angekündigt, tatsächlich war er jedoch mit seinen früheren Schallplatten wie "… weil ich ein Protester bin!" (1966) eher mäßig erfolgreich. Zum Schwulsein sagte Laurig einmal, dass jeder junge Mensch mal eine homosexuelle Phase habe, in der ein Mann auch mit einem Mann ins Bett gehe, und diese "Phase habe ich auch durchgemacht". Als in der Redaktion der "St. Pauli Nachrichten" die Idee aufkam, eine Homo-Platte zu machen, und Sänger wie Jürgen Drews ablehnten, entschied sich Laurig, selbst zu singen. Mit dieser Idee ging er auf Roland Schneider zu, die dann gemeinsam die Platte realisierten.
Heute verfolgt Wilfried Laurig gänzlich andere Interessen. Für seinen Scheinstaat "Königreich Atlantis" beansprucht er als selbsternannter "König Roland I." das Gebiet des mythischen Kontinents Atlantis für sich. Seine ersten Bestrebungen für eine geplante neue Weltordnung lassen sich bis in die Sechzigerjahre zurückverfolgen. Als "König Roland I." von "Gottes Gnaden" und "allzeit Mehrer des Reiches" hat er die Schallplatte "Ein bisschen Frieden ist zu wenig" produziert und gibt auch Interviews (Youtube 1:55-2:40). Das alles wirkt zunächst wie ein lustiger PR-Gag und lädt zum Schmunzeln ein. Einige Medien machen sich auch erkennbar darüber lustig, wenn sich der "Prinz von Helgoland" – als Teil seines Hofstaates – in seiner "Prinzenrolle" gefällt. Das Problem ist jedoch, dass sich einige Männer seines Hofstaates ernst nehmen, als "Reichsbürger" reichsideologische Auffassungen vertreten und politische Ämter anstreben, wie Hugo S., der als "Reichsbürger" bereits wegen verschiedener Delikte vor Gericht stand ("Vice", 14. März 2016). Spätestens dann ist mir nicht mehr zum Lachen zumute.
Was bleibt
Es ist nicht viel, was bis heute an Erinnerung bleibt. Nichts deutet darauf hin, dass das Lied über die Schwulenszene hinaus eine besondere Beachtung fand. Gerade wegen seiner geringen Breitenwirkung kommt den Ausführungen von Ralf Jörg Raber eine große Bedeutung zu. Einige Jahre zuvor hat er beide Lieder auch auf seiner CD "Ich will, dass es das alles gibt! Homosexualität auf Schallplatte" (Teil 2, 2004) publiziert (s. hierzu die Besprechung in "Invertito", 7. Jg., 2005).
Mit internationaler Aufmerksamkeit für die beiden Lieder sieht es noch schlechter aus. Martin Aston weist in seinem Buch "Breaking Down the Walls of Heartache. A History of How Music Came Out" (2016, o. S.) bei dieser "bubblegum"-Single allerdings auf einen wichtigen Umstand hin, der manchmal fast vergessen wird: Die Single erschien nur wenige Monate nach der Legalisierung homosexueller Handlungen zwischen Männern in der BRD im September 1969. Die Gesellschaft war so weit, Schwule nicht mehr ins Gefängnis zu stecken – wesentlich weiter aber auch nicht. Von einer Schwulenbewegung war in Deutschland noch keine Rede.
Wenn man das bedenkt, gibt es keinen Grund, dieses Lied einfach nur zu belächeln – unabhängig davon, wie man zu deutschen Schlagern steht. Es gibt vielmehr gute Gründe, sich über diesen emanzipatorischen und vor allem so unverschämt lustbetonten musikalischen Vorstoß zu freuen.
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