
https://queer.de/?36346
Verfassungsbeschwerde
Selbstbestimmter Geschlechtseintrag: Jetzt muss Karlsruhe entscheiden
Mit einer Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht will die Gesellschaft für Freiheitsrechte einen selbstbestimmten Geschlechtseintrag ohne ärztliche Begutachtung für alle Menschen durchsetzen.
- 16. Juni 2020, 07:15h 3 Min.
Mit einer Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht gegen einen Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) wollen Grundrechteschützer gegen diskriminierende Regelungen und Gesetzesauslegungen zum Geschlechtseintrag in Geburtsregistern vorgehen. Das Bundesverfassungsgericht solle einen selbstbestimmten Geschlechtseintrag für jeden Menschen ermöglichen, begründete die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) am Dienstag in Berlin den Schritt.
Ziel sei, dass ein unzutreffender Geschlechtseintrag ohne ärztliche oder psychologische Begutachtung gestrichen, geändert oder offengelassen werden könne. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen eine BGH-Entscheidung vom 22. April. Darin versagte der BGH einem Menschen, der sich weder als männlich noch als weiblich identifiziert, die nachträgliche Streichung des im vorliegenden Fall auf weiblich lautenden Geschlechtseintrags nach den Regelungen im Personenstandsgesetz (PStG).
Der BGH verwies nicht-binäre Menschen auf das TSG
Grundsätzlich ermöglicht das PStG die Streichung eines fehlerhaften Geschlechtseintrags. Seit 2018 ist auch der Eintrag "divers" möglich. Der BGH verwies in diesem Zusammenhang aber darauf, das PStG treffe eine Regelung allein für "Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung", die also körperlich weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden könnten, nicht aber bei "empfundener Intersexualität" (queer.de berichtete)..
Stattdessen verwies der BGH den antragstellenden Menschen auf das umstrittene Transsexuellengesetz (TSG). Dieses regle Fälle, in denen das körperliche Geschlecht eindeutig weiblich oder männlich sei, der Personenstandseintrag damit übereinstimme "und sich die geschlechtliche Identität der betroffenen Person ausnahmsweise abweichend hiervon unterscheidet".
Das TSG kennt nur Mann und Frau
Das veraltete und diskriminierende TSG sieht allerdings keine Streichung des Eintrags, sondern nur eine Änderung von "weiblich" zu "männlich" oder umgekehrt vor. Außerdem müssen bei einem Antrag zwei teure psychologische Gutachten vorgelegt werden. Das TSG stammt zudem aus der Zeit vor einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Oktober 2017, in deren Folge die dritte Geschlechtsoption "divers" im Personenstandsrecht eingeführt wurde. Eine Reform des Gesetzes wird seit vielen Jahren vor allem von CDU/CSU blockiert. Erst Anfang des Monats hatten die Grünen einen neuen Anlauf für ein Selbstbestimmunggesetz gestartet (queer.de berichtete).
"Das Recht auf Anerkennung seiner Identität steht jedem Menschen zu", erklärte die Juristin und GFF-Verfahrenskoordinatorin Lea Beckmann zu der nun eingelegten Verfassungsbeschwerde. "Deshalb muss jeder Mensch einen falschen Geschlechtseintrag korrigieren können – und zwar selbstbestimmt und unabhängig davon, wie sein Körper beschaffen ist." Statt medizinischer Nachweise müsse dafür die eigene Erklärung ausreichen.
Die Gesellschaft für Freiheitsrechte ist ein gemeinnütziger Verein mit Sitz in Berlin, der 2015 gegründet wurde. Sie verfolgt das Ziel, mit strategischer Klageführung den Erhalt und den Ausbau der Grund- und Menschenrechte zu erreichen. Die GFF kooperiert u.a. mit Amnesty International, dem Chaos Computer Club und Reporter ohne Grenzen. (cw/AFP)

Links zum Thema:
» Homepage der Gesellschaft für Freiheitsrechte