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Polen
Duda traf LGBT-Aktivist: Keine Entschuldigung, keine Veränderung des Wahlkampfs
Bartosz Staszewski konfrontierte den Präsidenten mit Bildern junger queerer Menschen, die sich das Leben nahmen. Die Volksverhetzung durch Politik und Medien wird zugleich immer krasser.

Bartosz Staszewski gab nach dem Treffen mit dem Präsidenten Interviews
- 17. Juni 2020, 18:16h 6 Min.
Der polnische Präsident Andrzej Duda hat sich am Mittwoch mit dem queeren Aktivisten Bartosz Staszewski zu einem Gespräch getroffen. Der Organisator des CSD in Lublin, der unter anderem durch ein Kunstprojekt mit Ortsschildern zu "LGBT-freien Zonen" weltweit bekannt wurde, hatte den Präsidenten am Montag am Rande eines Wahlkampfauftrittes in Lublin angesprochen. Duda hatte in seiner Rede Papst Johannes Paul II. zitiert, der in der Anerkennung gleichgeschlechtlicher Paare eine "Ideologie des Bösen" im Spiel gesehen hatte (queer.de berichtete).
Er habe dem Präsidenten von dem langen Kampf von LGBTI erzählt, von den Ausschreitungen zum CSD in Bialystok oder dem vereitelten Bombenanschlag auf den CSD in Lublin, so Staszewski. Duda habe geantwortet, dass er davon nichts gehört habe. Er sei auch ohne Regung geblieben, als er drei Bilder von jungen Menschen, die sich aus Homo- oder Transphobie das Leben nahmen, gezeigt habe. Dominik, Kasper und Milo seien drei Personen gewesen, keine Ideologie, so Staszewski – am Wochenende hatte der Präsident mit Blick auf diesen als Reaktion auf die Stimmungsmache gegen eine vermeintliche "LGBT-Ideologie" entstandenen Slogan der queeren Bewegung gesagt: "Man versucht uns einzureden, dass das Menschen sind. Aber es ist einfach nur eine Ideologie" (queer.de berichtete).
Prezydent odpowiedzia? na moje wezwanie do spotkania. Trwa?o ponad godzin?. Na samym pocz?tku sprz?tn??em zastaw? ze…
Gepostet von Bart Staszewski am Mittwoch, 17. Juni 2020
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Laut Staszewski sagte der Präsident bei dem Gespräch ferner, dass er weiter gegen "LGBT-Ideologie" kämpfen werde und dass die Menschen auf den Bildern keine gleichen Rechte, sondern einen Psychologen benötigt hätten. "Schließlich sagte der Präsident, er würde sich nicht für seine Reden über die 'LGBT-Ideologie' entschuldigen, denn dass sei Redefreiheit. Ich beendete das Treffen, knöpfte die Jacke zu und verabschiedete mich ohne Händeschütteln."
Biedron lehnte Treffen ohne Vorab-Entschuldigung ab
Im Vorfeld hatte es (unter anderem vom Staatsfernsehen ausgenutzte) Debatten gegeben, ob Staszewski den Termin hätte wahrnehmen sollen – zumal der Präsident auch einen schwulen Blogger, der in Berlin lebt und gegen eine "LGBT-Ideologie" anschreibt, eingeladen hatte. Anschließend lobte das Portal queer.pl allerdings, Staszewski habe den Präsidenten mit genau den richtigen Fragen konfrontiert und das Treffen so genutzt, dass es nicht zu einem PR-Erfolg für Duda wurde.
Ein Sprecher des Präsidenten betonte dennoch, dass es ein "konstruktives Gespräch" gewesen sei. Der Präsident halte aber an Positionen seiner in der letzten Woche vorgestellten "Familien-Charta" fest. Darin hatte er sich unter anderem verpflichtet, die Ehe als "Verbindung aus Mann und Frau" zu "schützen" und keine Adoption von Kindern durch gleichgeschlechtliche Paare zuzulassen. Auch verspricht er einen "Schutz von Kindern vor LGBT-Ideologie" und ein "Verbot der Propagierung von LGBT-Ideologie in öffentlichen Institutionen" (queer.de berichtete).

Robert Biedron am Mittwoch vor dem Präsidentenpalast in Warschau. Am Abend trifft er den Amtsinhaber zur TV-Debatte zur Wahl am 28. Juni
Duda hatte auch den schwulen Präsidentschaftsbewerber der Linken, Robert Biedron, eingeladen – und seine Mutter, die am Montag vor dem Amtssitz des Präsidenten gegen Homo- und Transphobie protestiert hatte (queer.de berichtete). Beide hatten die Einladung abgelehnt, solange sich der Präsident nicht vorab entschuldige. Am Mittwoch gab Biedron am gleichen Ort eine Pressekonferenz und begründete seine Absage an den Präsidenten: "Die Verantwortung des Staatsoberhauptes, des Präsidenten in einem demokratischen Staat, besteht darin, die Gleichberechtigung aller zu wahren und seine Aussagen zu mäßigen, eine Sprache zu verwenden, die nicht den braunsten Seiten der polnischen Geschichte ähnelt".
LGBT-"Ideologie" = "Genitalien an öffentlichen Orten"
Derweil nimmt die homofeindliche Rhetorik kein Ende: Adam Bielan, Sprecher von Dudas Wahlstab, sagte in einem Interview, LGBT kämpften nicht für Rechte, sondern "zusätzliche Privilegien", die aber nur Eheleuten vorbehalten sein sollten. Der "LGBT-Ideologie" stünden auch Homosexuelle kritisch gegenüber, so der Europaabgeordnete. "Ihr zufolge sollte man beispielsweise an öffentlichen Orten seine Genitalien zeigen – so sehen Paraden in vielen Ländern aus im Westen." Auf ein solches Bild vor Augen habe sich der Abgeordnete Przemyslaw Czarnek bezogen, als er vor der "Ideologie" warnte, verteidigte Bielan einen weiteren in Kritik stehenden PiS-Politiker.
Czarnek hatte am Samstagabend im polnischen Fernsehen mit folgenden Worten vor einer "LGBT-Ideologie" gewarnt: "Lasst uns Familien gegen diese Art von Korruption, Verderbnis und von absolut unmoralischem Verhalten verteidigen. Wir müssen uns gegen die LGBT-Ideologie verteidigen und aufhören, diesen Idioten zuzuhören, wenn sie über irgendwelche Menschenrechte oder Gleichbehandlung reden. Diese Leute sind nicht gleich mit normalen Leuten und wir werden die Diskussion beenden."
LGBT-"Ideologie" = Sex und Satan
Für Empörung sorgte auch der PiS-Politiker Andrzej Glaz, Vorsteher der Gemeinde Tuszów Narodowy. In einem Brief an Polens Beauftragten für Menschenrechte, Adam Bodnar, verteidigte er eine Gemeinde-Resolution gegen "LGBT-Ideologie": "Ihr Motto ist Freiheit, alles zu tun, was angenehm erscheint und was in den Augen der überwiegenden Mehrheit der Nation ekelhaft ist. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, alles Böse einzuführen."
Die gegenwärtige Welt, die von der LGBT-Ideologie beeinflusst werde, "wurde von Satan, Erotik und Sex besessen", so der Politiker weiter. "Wenn man sich anschaut, was gerade passiert, kann man davon ausgehen, dass die heutige Menschheit einer größeren Bestrafung ausgesetzt sein wird als das, was mit den Menschen von Sodom und Gomorra passiert ist, die verbrannt wurden." Seine Gemeinde werde sich weiter gegen die "Regenbogenpest" stellen.
TVP-Korrespondent: Homosexuelle im KZ waren "Degenerierte" und "Vergewaltiger"
Die übelste Entgleisung der letzten Tage kam aber von einem Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Senders TVP, der in den letzten Jahren zu einem – auch homofeindlichen – Propagandakanal der Regierung wurde. Nachdem Duda am Sonntag Auschwitz besucht hatte, hatte ihn ein Journalist des Portals Onet.pl bei Twitter daran erinnert, dass die Nazis auch Homosexuelle in das Konzentrationslager brachten. "Die meisten überlebten nicht", so Bartosz Weglarczyk. "Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß glaubte, dass sie getrennt gehalten werden müssten, weil sie Wachen und andere Gefangene mit Homosexualität infizieren könnten."
/ bweglarczykNazici wysali w latach 1933-1945 5-15 tys. homoseksualistów do obozów koncentracyjnych, w tym do Auschwitz. Wikszo nie przeya. Komendant Auschwitz Rudolf Hoss wierzy, e trzeba ich trzyma oddzielnie, bo mog zarazi homoseksualizmem straników i innych winiów. https://t.co/kIhedduD9a
Bartosz Wglarczyk (@bweglarczyk) June 14, 2020
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Cezary Gmyz, TVP-Korrespondent in Berlin, nutzte diese mahnende Geschichtsstunde bei Twitter für eigene Ausführungen: "Viele Homosexuelle in Konzentrationslagern waren außergewöhnliche Degenerierte und Vergewaltiger. Ich beziehe mich auch auf das Buch von Roman Frister, der sich in 'Selbstporträt mit Narbe' als Opfer einer analen Vergewaltigung in Auschwitz beschreibt." In dem Bemühen, Opfer zu Tätern zu machen, ergänzte er später, ähnlich sei es in Frauenlagern wie in Ravensbrück gewesen: So habe sich die KZ-Überlebende Wanda Póltawska "angewidert" gezeigt von der Jagd nach jungen Mädchen sowohl durch Wachen als auch den Gefangenen. (nb)
Update 18.6., 14.45h: Schauws stellt Strafanzeige gegen TVP-Korrespondenten
Ulle Schauws, die Sprecherin für Queerpolitik der grünen Bundestagsfraktion, teilte am Donnerstag mit, sie habe "aufgrund eines volkshetzerischen und die Naziverbrechen relativierenden Tweets eine Strafanzeige gegen Herrn Cezary Gmyz, den Korrespondenten des öffentlichen polnischen Fernsehens TVP in Deutschland gestellt". Zudem werde sie an den Verein der Ausländischen Presse in Deutschland appellieren, ihn wegen seiner Äußerung aus dem Verein auszuschließen. "Es gibt Grenzen des Sagbaren", so Schauws.
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