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Polen
Umfrage: Drohszenario "LGBT-Ideologie" beeindruckt nur PiS-Wähler
Eine Mehrheit der Polen glaubt nicht, dass sexuelle Minderheiten eine Bedrohung sind. Gerade bei Jüngeren kann die Regierung mit ihrer Wahlkampf-Hetze nicht punkten.

BettyElaWhite / Twitter) Wie hier in Breslau am Donnerstag gibt es in diesen Tagen in etlichen Städten queere Kundgebungen unter dem Motto "Ich bin Mensch, keine Ideologie" (Bild:
- 19. Juni 2020, 16:26h 3 Min.
Nach rund einem Jahr extremer Stimmungsmache gegen "LGBT-Ideologie" durch die polnische Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) zeigt eine aktuelle Umfrage, dass die Mehrheit des Volkes fortschrittlicher ist als es sich Kaczynski, Duda und Co. erhoffen.
In den letzten Tagen hatte Andrzej Duda im Kampf um seine Wiederwahl als Präsident den homo- und transfeindlichen Diskurs erneut verschärft: LGBT seien keine Menschen, sondern eine "Ideologie", die zerstörerischer sei als der Kommunismus, hatte er am letzten Samstag bei einem Wahlkampfauftritt gesagt (queer.de berichtete). Zuvor hatte er eine "Familien-Charta" vorgestellt, in der er sich gegen die Ehe und ein Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare sowie gegen die "Propagierung von LGBT-Ideologie in öffentlichen Institutionen" verpflichtete (queer.de berichtete).

Video). Laut einer Übersicht von queer.pl folgen bis Sonntag Kundgebungen u.a. in Warschau, Stettin, Krakau und Bialystok (Bild: Grupa Stonewall / twitter) In Krakau demonstrierten am Donnerstag hunderte Menschen gegen Duda (
Für die Umfrage des Portals OKO.press hatte sich das Meinungsforschungsinstitut Ipsos unter rund 1.000 Polinnen und Polen umgehört. Gefragt wurde: "Präsident Andrzej Duda sagte bei einer Wahlversammlung, dass LGBT eine gefährliche Ideologie sei, vor der Polen verteidigt werden müsse. Sind Sie mit dieser Aussage einverstanden?" 30 Prozent stimmten definitiv, acht Prozent eher zu. 42 Prozent lehnten die Aussage hingegen ab, weitere elf Prozent neigten eher zu einer Ablehnung. Neun Prozent der Befragten zeigten sich unentschlossen.
Ipsos hatte die Frage zudem einer anderen Gruppe ohne Bezug zum Präsidenten vorgelegt: "Stimmen Sie der Aussage zu, dass LGBT eine gefährliche Ideologie ist, gegen die Polen verteidigt werden muss?" Die Abweichungen in den Antworten waren geringfügig und im Rahmen statistischer Fehlerquoten. Hier zeigten sich zusammengerechnet 51 Prozent ablehnend und 42 Prozent zustimmend.
Hetze mobilisiert die dafür Empfänglichen
OKO.press schließt aus den Ergebnissen der zweiten Frage, dass die Idee einer "LGBT-Ideologie" inzwischen Fuß in der Bevölkerung gefasst habe: "Es scheint, dass das Ergebnis fatal ist und von der tiefen, entmenschlichenden Homophobie der polnischen Gesellschaft zeugt." Doch weitere Details der Umfrage (im folgenden zur direkt auf den Präsidenten bezogenen Aussage) rückten das Land in ein anderes Licht.
So sehe nur jeder fünfte der jüngsten Befragten (18 bis 29 Jahre) eine Bedrohung durch die vermeintliche "LGBT-Ideologie". Erst bei den Über-50-Jährigen steige der Anteil deutlich an, um bei Über-60-Jährigen eine deutliche Mehrheit zu erhalten. Nach Geschlechtern aufgeteilt zeigt sich allerdings ein anderes Bild: Bei den 18- bis 39-Jährigen stehen nur 14 Prozent der Frauen hinter Duda, allerdings bereits 41 Prozent der Männer (49 Prozent sind weiter gegen ihn). Größere Unterschiede gibt es auch in der Gesamtbevölkerung zwischen Stadt (22 Prozent für die homo- und transfeindliche Aussage, 73 Prozent dagegen) und Land (54 Prozent Zustimmung zu 36 Prozent Ablehnung).
Aufgetrennt nach Wählerschaft ergeben sich größten Unterschiede: Bei den eigenen PiS-Wählern fürchten sich 82 Prozent vor einer "LGBT-Ideologie". Während die Bedrohungs-These bei Anhängern der liberal-konservativen Bürgerplattform und des Linksbündnisses Lewica fast komplett auf Ablehnung stößt, überzeugt die Stimmungsmache noch 43 Prozent der Wähler des teils ultrarechten Konföderations-Bündnisses und 19 Prozent der konservativen Volks- und Bauernpartei PSL.
OKO.press schließt aus den Zahlen, dass der erneute homo- und transphobe Wahlkampf vor allem der Mobilisierung der eigenen Wähler dienen könnte und dennoch riskant sei: Duda und die PiS erschreckten viele Menschen mit ihrem Kurs. Gerade junge Leute neigten immer mehr zu liberalen Ansichten.

Die Umfrage ist auch für Deutschland interessant: Das Portal "Freie Welt" aus dem Haus der AfD-Politikerin Beatrix von Storch und ihres Ehemanns feierte Duda und die PiS am Dienstag für "LGBT-freie Zonen", "den Widerstand gegen die ideologische Unterwanderung der LGBT-Lobby" und die "Familien-Charta" mit "Schutz von Kindern vor der LGBT-Ideologie"
Was abseits der Umfragen-Interpretation bleibt, sind die sichtbaren und noch unsichtbaren Konsequenzen der queerfeindlichen Stimmungsmache durch Politik, katholischer Kirche und einiger Medien wie dem Staatssender TVP: Sie führte bereits zu Ausgrenzung und Diskriminierungen, zu Ausschreitungen und vereitelten Messer- und Bombenanschlägen gegen CSDs, zur Unterstützung der Politik für ein von Homo-Hassern ins Parlament eingebrachtes Verbot von Sexualerziehung oder zur Errichtung von "LGBT-freien Zonen" in etlichen Städten, Gemeinden und Bezirken. (nb)

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