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Fotografie
Ein Pionier schwuler Erotik und Pornografie
Der Fotograf Bill Sheffler gründete vor 50 Jahren das homoerotische Bildmagazin "His – Handsome Is". Mit seinem NOVA Studio und dem Studio 2000 prägte er bis in die Nullerjahre auch den schwulen Pornofilm.

Die erste Ausgabe des homoerotischen Fotomagazins "His – Handsome Is"
- Von Martin Pozsgai
27. Juni 2020, 05:29h 8 Min.
Vor 50 Jahren, im Frühjahr 1970, kam mit "His – Handsome Is" das erste Bildmagazin heraus, das ausschließlich von Bill Sheffler aufgenommene homoerotische Fotografien enthielt. Bill Sheffler, der heute viel eher unter seinen späteren Pseudonymen Robert Walters und Scott Masters bekannt sein dürfte, schuf in den darauffolgenden Jahrzehnten ein außerordentlich reiches und phantasievolles Werk schwuler Erotik und Pornografie.
Zahlreiche Produkte seines knapp zehn Jahre in Hollywood wirkenden NOVA Studios oder die Filme von Studio 2000, einer Pornofirma, die er zusammen mit John Travis gründete, zählen zu den Hauptwerken der schwulen Pornografiegeschichte. Viele spätere Stars wurden von ihm gecastet, unter ihnen so populäre Namen wie Kip Noll, Jack Wrangler und Rick Donovan.
Ein Pionier, der in Vergessenheit geriet
Nicht wenige hatten ihren ersten Auftritt bei ihm. Außerdem war er der erste Chefredakteur des über viele Jahrzehnte erschienenen Journals "In Touch For Men" und ein enger Freund von Jim Kepner, dem prominenten Redakteur des Magazins "One", das von einer der ältesten Gay-Rights-Organisationen der USA herausgegeben wurde. Mehrere Generationen schwuler Männer haben so sein umfassendes visuelles Werk kennengelernt.
Anders als bei seinen Zeitgenossen Jim French von COLT Studio (gestorben 2017) oder William Higgins, deren umfangreiche visuelle Hinterlassenschaft anlässlich ihres Todes von den queeren Medien gewürdigt wurde, ist heute aber nicht einmal bekannt, ob Sheffler noch lebt; amerikanische Insider der Pornobranche vermuten, dass er vergangenes Jahr verstorben sein könnte. Dies ist Grund genug, Shefflers Leben und sein überaus produktives Schaffen zu würdigen und im Rückblick zu betrachten.
Sheffler brachte sich selbst das Fotografieren bei

Shefflers Magazin "Champions All" erschien erstmals 1968
1934 geboren, wuchs Bill Sheffler im US-Bundesstaat Illinois auf, wo er das College besuchte. In Chicago gründete er 1967 ein kleines Vertriebsunternehmen namens Checkmate, das 1968 die erste Ausgabe des Magazins "Champions All" mit Fotografien von Walter Kundzicz von Champion Studio herausbrachte. In Kooperation mit Champion Studio und dem Sunshine Beach Club produzierte Checkmate auch 8mm-Filme. 1969 wurde das Unternehmen in den Verlag Lance Publications umgewandelt, mit dem Sheffler weitere Fotografen zur Veröffentlichung ihres Bildmaterials bewegen konnte. Unter diesen waren John Travis aus San Francisco – damals unter dem Pseudonym Jim Hodges auftretend – für das Magazin "HRM's Scene '69" und Jim French von COLT Studio für das Heft "The Rawhide Male No. 2".
In diesen Jahren begann Sheffler auch, nach und nach von Chicago nach Kalifornien zu übersiedeln. Er nahm in San Francisco eine Beschäftigung als Buchhalter einer Druckerei an und brachte sich autodidaktisch das Fotografieren bei. Einige seiner frühen Aufnahmen nackter männlicher Modelle konnte er 1969 in Magazinen von Calafran Enterprises San Francisco publizieren. In diesen Calafran-Heften, die in ihrem Impressum übrigens Jim Hodges als Staff Photographer nennen, trat er als Fotograf mit dem Pseudonym "His – Handsome Is" auf.

Model Bob Boyer in einem Calafran-Magazin, fotografiert von dem Fotografen "His – Handsome Is"
Die Aktfotos veröffentlichte er im eigenen Verlag
Im Jahr darauf, im Frühling 1970, kam dann in seinem eigenen Verlag Lance Publications das eingangs erwähnte Magazin "His – Handsome Is" heraus, das ausschließlich Aktfotos präsentierte, die er selbst aufgenommen hatte. Die durchaus hochwertigen Aufnahmen von immerhin 17 verschiedenen Modellen auf 72 Seiten deuten darauf hin, dass er das Fotografieren relativ schnell gelernt hatte und effektvoll umzusetzen wusste. Unter den abgebildeten Modelle befanden sich John Stanford, Dave Corbin und Tom Kent. Und mit dem üppig bestückten Ray Fuller, den er 1969 bereits für Calafran abgelichtet hatte, deutete sich damals schon an, dass Sheffler beim Casting – salopp formuliert – ein überaus glückliches Händchen besaß. Als spektakulär müssen auch seine Paarfotografien von Bob Allen und Jim Lee auf den Seiten 39 bis 43 des Heftes bezeichnet werden, die in ihren Küssen und Liebkosungen ein unglaubliches Selbstbewusstsein ausstrahlen.

Ray Fuller im Magazin "His – Handsome Is"
Das Heft muss ein großer Erfolg gewesen sein, denn Sheffler baute danach den Verkauf von eigenen Nacktfotografien aus. Sein bislang als Fotografennamen verwendetes Pseudonym "His – Handsome Is" wandelte er in "Handsome Is Studio (HIS)" um und siedelte dieses in Hollywood an. 1971 setzte Sheffler dann seine Absicht um, "to offer you", wie er seinen Kunden in einem Mail-Order-Begleitbrief schrieb, "photo sets and color slides of sexual activity between male adults". Und das Geschäft mit den Erotikaufnahmen lief offenbar so gut, dass er bald darauf The Stephens Agency gründete. Mit diesem Unternehmen, das seinen Sitz am Sunset Boulevard hatte, drehte er unter dem Namen Warren Stephens erstmals 8mm-Pornofilme und verlegte Magazine mit Hardcore-Szenen. Seine Farbfilme wie "Starprobe" über zwei Kerls, die nach einem Konzert nicht nur eine Autogrammkarte vom Rockstar erhalten, oder "Fill'er up" über die ausschweifenden Begegnungen des jungen Autofahrers Jeff Evans mit dem Tankwart Jim Frost an dessen Zapfstelle weisen mit ihrer Rahmengeschichte schon auf die späteren NOVA-Filme voraus.
Unter den Druckwerken von The Stephens Agency sind die Magazine "David And His Friends" hervorzuheben. David August ist das Hauptmodell, das in verschiedenen US-Städten abwechslungsreiche sexuelle Abenteuer erlebt, die jeweils ein ganzes Bildheft füllen.

Abbildungen aus dem Magazin "David And His Friends", Vol. 3, 1972
Schwuler Spielfilm-Porno als James-Bond-Parodie
Den ersten Porno in Spielfilmlänge drehte Sheffler schließlich für Jaguar Productions, Hollywood. Der Streifen, der 1973 unter dem Titel "Greek Lightning" in die Kinos kam, ist eine witzige James-Bond-Parodie mit Jimmy Hughes in der Hauptrolle. Hughes spielt den Geheimagenten Johnny Acropolis, der einen Erpresser ausfindig zu machen hat. Seine einzigen Anhaltspunkte sind Fotos von Tätowierungen, die er identifizieren muss, wobei er von einer erotischen Handlung in die andere rutscht.
Im Oktober 1973 erschien dann nach einigen Monaten Vorarbeit die erste Ausgabe der Zeitschrift "In Touch For Men", damals noch mit dem aussagekräftigen Untertitel "celebrating gay awareness". Sheffler war Chefredakteur der Zeitschrift und zog sich damit eine gewisse Zeit aus dem Erotik-Business zurück. In seinen eigenen Worten gab er die Zeitschrift aus Beverly Hills mit der Intention heraus, "to produce for the homophile community a quality magazine comparable to publications in the general market". Ein hoher Anspruch an den Inhalt in Text und Bild, vergleichbar vielleicht mit dem Journal "After Dark" oder der amerikanischen "Playgirl", die kurz zuvor im Januar 1973 zum ersten Mal erschienen war. Das ausgewogene Graphikdesign des neuen Printerzeugnisses – The Stephens Agency lieferte hierfür das Layout – zeigte jedenfalls die Verbundenheit Shefflers mit dem Verlagswesen, aus dem er beruflich kam.
Anspruchsvolle Pornos mit Rahmenhandlung

Im November 1977 startete Sheffler mit dem NOVA Filmstudio
Der Erfolg der Falcon-Studios in San Francisco regte Sheffler an, sich wieder der Filmproduktion zuzuwenden. Im November 1977 trat sein NOVA Studio, das er unter dem Pseudonym Robert Walters führte, auf den Markt. Laut Prospekt enthielt die "Premiere Release" die Filme "Backpackin'", "The Music And The Mirror" und "Tubtricks" und bot die Magazine "Hot Rods In Action" und "Frank Evans In Hot Jeans" an. Sowohl die Filme als auch die Printerzeugnisse waren inhaltlich und gestalterisch äußerst anspruchsvoll produziert. Auch sollten die 8mm-Streifen verschiedene Vorlieben bedienen und enthielten neben Zweier- und Dreier-Szenen das Solo von Mike Arlen auf einer imaginierten Tanzbühne. Gleiches galt für das sehr ästhetische Werbematerial, dessen Layout – wie das der Magazine – stilvoll gestaltet und klar gegliedert war und mit seinem großem Wiedererkennungseffekt erneut Shefflers Herkunft aus dem Druckgewerbe spiegelte.
NOVA-Filme erzählten stets eine Rahmengeschichte, in die das erotische Handeln eingebettet war und von der auch die NOVA-Magazine, die großteils die Standfotografie der Filme enthielten, profitierten. In den ersten Jahren erschien beispielsweise der Film "The Main Attraction", in dem Bo Richards seinen neuen Job als Barkeeper beginnt und Jeff Scott, der für eine Nachmittagserfrischung vorbeikommt, sein erster Kunde ist. In der Bar beginnt Jeff zu träumen und stellt sich eine hocherotische Disco-Szene mit Bo vor, die so intensiv ist, dass die Phantasie real wird. Das zu diesem Film herausgegebene Magazin "The Main Attraction" vollzog diese Geschichte mit ihren Abbildungen in gleicher Weise nach. Die lebensnahe Rahmenhandlung und das entsprechende Setting ermöglichten den Betrachtern eine Projektion gleichsam in das eigene Leben – und sei es, dass es auch nur heimlich ersehnt wurde.

Doppelseite aus "The Main Attraction"
Eine Erfolgsgeschichte mit harten Einschnitten
Ab 1980 wurden die bisherigen 8mm-Versionen der NOVA-Streifen auch auf Videocassetten angeboten. Die ersten echten Tonfilme im Videoformat waren schließlich 1983 "Brian's Boys" und 1984 "Something Wild". Die Qualität der Produkte war stets gleichbleibend hoch und auf einem Niveau, das auch in Shefflers späteren Videofilmen für Studio 2000 vorherrschend war. Dieses 1992 zusammen mit John Travis gegründete Unternehmen betrieb er bis 2006, nun unter dem Pseudonym Scott Masters. In dieser Zeit gewann das Studio zahlreiche Auszeichnungen bei den Grabbys, bei den Gay Erotic Video Awards und GayVN Awards. Nach dem Verkauf von Studio 2000 zog Sheffler sich aus dem Geschäftsleben zurück und ließ sich wieder in Illinois nieder. Sowohl NOVA Studio als auch Studio 2000 wären es wert, in einer eigenen filmwissenschaftlichen und pornografiegeschichtlichen Untersuchung analysiert zu werden.
Über die Jahrzehnte hinweg betrachtet war Bill Shefflers Tätigkeit unglaublich produktiv. Sein Leben liest sich wie eine unablässige Erfolgsgeschichte, die aber auch harte Einschnitte verkraften musste: Eine strafrechtliche Verurteilung wegen Obszönität 1972 zählt ebenso dazu wie die Enttäuschung über die Veruntreuung von NOVA-Kapital durch einen Partner, die Ende 1986 zur Schließung des Studios führte. Gleichwohl fühlte sich Sheffler immer auch der Schwulenbewegung verpflichtet, der Gay Community, der er dienen wollte. Die Einbindung emanzipatorischer Texte ("Gays Define Themselves") von Jim Kepner, der später das National Gay and Lesbian Archive gründen sollte, in die Magazine von The Stephens Agency betont dies bereits in den ersten Jahren sehr deutlich.

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Queer.de ist super gut informiert.
Danke.