Der CSD Berlin wird dieses Jahr nur digital stattfinden (Bild: mw238 / flickr)
Die Berliner CSD-Vorstandsteam hat am Freitag seine fünf politischen Forderungen vorgestellt, die auf Grundlage einer Online-Befragung entwickelt worden seien. Drei der Forderungen beschäftigen sich spezifisch mit LGBTI-Rechten in Deutschland und im europäischen Ausland, zwei sprechen allerdings andere Themen an – konkret Klimaschutz und die Gleichbehandlung von nicht-weißen Menschen.
Forderungen zum CSD Berlin 2020
1. Regenbogenfamilien endlich anerkennen und gleichstellen!
2. Solidarität mit unseren Freund_innen in Polen und Ungarn!
3. Abschaffung des Transsexuellengesetzes!
4. BlackLivesMatter! Wir unterstützen den Konsens von BLMB.
5. Wir unterstützen die Forderungen von Fridays for Future Deutschland.
Die Forderung haben allesamt einen aktuellen Anlass. Stichwort Regenbogenfamilien: Ende Mai
schränkten Union und SPD mit dem Adoptionshilfe-Gesetz die rechte lesbischer Eheleute mit Kindern noch weiter ein, was von LGBTI-Aktivist*innen als diskriminierend kritisiert wurde (
queer.de berichtete). Am Freitag findet die Abstimmung über das Gesetz im Bundesrat statt.
Stichwort
Polen und
Ungarn: Die rechtspopulistischen Regierungen beider Länder gehen derzeit aggressiv gegen LGBTI-Rechte vor.
Stichwort Transsexuellengesetz: Nach jahrelangem Stillstand wollen die demokratischen Parteien endlich an einer Reform arbeiten (
queer.de berichtete).
"Unsere Zukunft geht uns alle an!"
Die Unterstützung der Fridays-for-Future-Bewegung begründeten die CSD-Organisator*innen mit den Worten: "Unsere Zukunft geht uns alle an!" Bei der Black-Lives-Matter-Bewegung nannten sie ein Zitat, das sie sowohl Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier als auch der umstrittenen US-Bürgerrechtlerin Angela Davis zuschreiben: "Es reicht nicht aus, kein_e Rassist_in zu sein. Wir müssen Antirassist_innen sein!"
Die Erwähnung der umstrittenen Amerikanerin Davis könnte noch Kontroversen auslösen. Die heute 76-Jährige ist eine Feministin, die sich 1998 als lesbisch geoutet hat. Die aktive Zeit der Afroamerikanerin war hauptsächlich in den Siebziger- und Achtzigerjahren, als sie sich für Frauenrechte und eine Reform des US-Justizsystems einsetzte. Lange Jahre war sie das bekannteste Gesicht der Kommunistischen Partei der USA. Umstritten war insbesondere ihre Haltung gegenüber kommunistischen Ländern wie der Sowjetunion oder Kuba, die sie nie für Menschenrechtsverletzungen oder die Verfolgung Homosexueller kritisierte. Angela Davis spielte auch in der DDR-Propaganda eine große Rolle: Das Honecker-Regime konnte sich mit Hilfe von Davis als "antirassistisch" präsentieren, obwohl es im Realsozialismus eine feindschaftliche Haltung gegenüber vietnamesische "Vertragsarbeitern" an der Tagesordnung war. Angela Davis wurde 1972 von Staatschef Erich Hobecker in Ostberlin empfangen (Bild: Bundesarchiv)
Der Berliner CSD-Verein verweist auch auf den "gemeinsamen Konsens" von Black Lives Matter Berlin, in dem die Forderungen der "Schwarzen Gemeinschaft" dargestellt werden. Die BLM-Aktivist*innen nehmen darin auch Bezug auf queere Rechte: So sei man bestrebt, "heteronormative, cis-dominierende Denk- und Handelspraktiken zu Gunsten einer nicht-binären Praxis zu dekonstruieren".
Shitstürme für "szenefremde" CSD-Themen
In der deutschen Szene war es immer wieder kontrovers, als "szenefremd" anmutende Themen im CSD zu behandeln. So gab es zum Beispiel einen Shitstorm, als der CSD Freiburg ankündigte, vegan zu werden – mit der folgenden Begründung: "Weil wir Herrschaft grundsätzlich ablehnen, bekämpfen wir auch die Unterdrückung bzw. Ausbeutung von Tieren" (queer.de berichtete).
Der vegane CSD führte zu scharfen Reaktionen, auch hier auf queer.de. Ein schwuler Veganer freute sich etwa darüber, "dass man die Vergasung und das Töten unschuldiger Geschöpfe auf einer Demonstration nicht mitunterstützt", andere fühlten sich bevormundet oder erklärten, die Vegan-Debatte lenke von den Forderungen der LGBTI-Community ab (queer.de berichtete). Der CSD in der linksliberalen früheren badischen Landeshauptstadt hält bis heute am veganen CSD fest.
2018 erklärte das Freiburger Organisationsteam in einem Interview, dass man sich nicht nur für die "klassischen LSBTIQA*-Themen" einsetzen wolle, sondern unter anderem auch für "politischen Veganismus, Antisexismus bzw. Feminismus, Antirassismus und Antinationalismus". Entsprechend intersektional arbeiten immer mehr CSD-Verbände. Intersektionalität (aus dem englischen Wort für Straßenkreuzung) bedeutet, dass es verschiedene Diskriminierungsformen gibt, die Menschen gleichzeitig betreffen können und gemeinsam bekämpft werden müssten.
Einen ganz anders gelagerten Shitstorm löste der CSD in Köln mit seinem geplanten CSD-Motto 2020 aus: Das Motto "Einigkeit! Recht! Freiheit!" sollte laut den Organisator*innen Werte aufzeigen, die Grundlage für ein "diverses, offenes und friedliches Miteinander" seien (queer.de berichtete). Mit dem Zitat aus der deutschen Nationalhymne hatte sich der CSD-Verein auch auf Territorium gewagt, das nicht direkt mit LGBTI-Rechten zusammenhängt.
Dieses Motto entzweite die Szene: Es löste Entzücken bei manchen Szeneorganisationen wie den Lesben und Schwulen in der Union (LSU) oder den Liberalen Schwulen und Lesben (LiSL) aus. Viele, besonders politisch eher linksgerichtete Aktivist*innen, nannten das Motto aber etwa "unverantwortlich in Zeiten von verstärktem Nationalismus" (queer.de berichtete). Auch einige Geflüchtete oder Transpersonen betonten, dass sie sich nicht mit dem Motto identifizieren könnten. Deshalb zogen die Organisator*innen es schließlich vier Wochen nach der Ankündigung zurück (queer.de berichtete).
Dieses Motto sorgte Anfang des Jahres für Entsetzen in Teilen der Community – und wurde nach wenigen Wochen wieder beerdigt
Der CSD Berlin findet dieses Jahr am 25. Juli statt – wegen der Corona-Krise nur digital. Das bereits vor knapp zwei Monaten bekannt gegebene Motto lautet: "Don't hide your Pride!" (queer.de berichtete).
Am Samstag demonstrierten in Berlin auch mehrere tausend Menschen in einem alternativen CSD, der aber nicht vom Pride-Verein organisiert wurde. Auch auf dieser Kundgebung spielte Black Lives Matter eine große Rolle (queer.de berichtete). (dk)
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Ob die deutsch-romantische Bürgerkinderbewegung 'Fridays for Future' allerdings die einzig richtige Antwort auf das Klimaproblem ist, wage ich zu bezweifeln.
Da war der CSD ziemlich hip und unüberlegt.