Kurz nach der wenig überraschenden Ablehnung des Adoptionshilfegesetzes durch den Bundesrat zeigte sich die Union in einer Pressemitteilung empört über die "ideologischen Grabenkämpfe der Grünen", die "auf dem Rücken von Adoptivkindern ausgetragen" werden würden. Dabei bediente sie sich alter homophober Klischees.
Der Hintergrund: Die Länderkammer stoppte am frühen Freitagnachmittag das Adoptionshilfegesetz, weil es die Rechte von Regenbogenfamilien einschränken würde. Die demokratischen Oppositionsparteien und LGBTI-Aktivst*innen hatten zuvor scharf dagegen protestiert. Selbst die Lesben und Schwulen in der Union attestierten mit Blick auf den Regierungsentwurf: "Schlechterstellung von Zwei-Mütter-Familien geht gar nicht!"
Altes Narrativ von Homo-Hassern
Nun versuchen Unions-Vizefraktionschefin Nadine Schön und Familienpolitiker Marcus Weinberg die Ablehnung des Bundesrates politisch auszunutzen, mit einem vielen älteren LGBTI-Aktivist*innen wohlbekannten Narrativ – nämlich das Klischee vom Homosexuellen als pauschale Gefahr für Kinder. Die CDU-Abgeordneten machen sich zusätzlich die auch in der AfD verbreitete Gewohnheit zu eigen, alle Schuld den unter Rechtskonservativen verhassten Grünen in die Schuhe zu schieben – dabei hatte die FDP genau die gleiche Kritik an dem Adoptionshilfegesetz geübt. So bezeichnete FDP-Queerexperte Jens Brandenburg die Ablehnung durch den Bundesrat als "erfreulich".
Schön schlug trotzdem mit pathetischen Sätzen ausschließlich auf die Grünen ein: "Das heutige Nein von Bündnis 90/Die Grünen zum Adoptionshilfe-Gesetz lässt alle Adoptivkinder im Stich. Schade, dass sie nicht das Wohl der Kinder in den Mittelpunkt stellen." In bester AfD-Manier tat Schön in einem verklausulierten Satz die von der Opposition geäußerte Kritik am Gesetz als "schlichtweg falsch" (auf Neudeutsch: Fake News) ab.
Die Argumentation mit dem "Kindeswohl" ist besonders heikel: Zwar scheinen sich die Abgeordneten hier darauf zu beziehen, dass nun das gesamte Gesetz zunächst nicht durchgesetzt wird. Allerdings wird – und wurde von Seiten der Union – mit dem Begriff "Kindeswohl" oft auch die Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare abgelehnt. Ein CDU-Bundestagsabgeordneter behauptete etwa 2010, Homo-Paare seien generell "dem Kindeswohl nicht zuträglich" (queer.de berichtete). Auch in der Bundestagsdebatte zum Gesetz vor fünf Wochen hatte eine Unions-Abgeordnete betont, dass die Zwangsberatung "aus Sicht des Kindeswohls" notwendig sei, da für diese Kinder "Schwierigkeiten oder potenzielle Identitätsfragen" aufgeworfen werden.
Davon abgesehen spielt die Pressemitteilung Kinder aus Regenbogenfamilien gegenüber anderen Kindern aus, anstatt einzusehen, dass man auch ein besseres und nicht diskriminierendes Gesetz hätte vorlegen können. Und das Wohl von Kindern aus Regenbogenfamilien wird praktisch ignoriert.
Weinberg: Kinderrechte spielen für grüne Gegner des Gesetzes "eine untergeordnete Rolle"
Weinberg teilte ebenfalls aus: "Die Ablehnung der Grünen zu[m] Adoptionshilfe-Gesetz ist für uns überhaupt nicht nachvollziehbar und sehr bedauerlich", so der Hamburger Politiker. Auch er warf den Grünen verschwurbelt vor, mit ihrer Homosexuellenfreundlichkeit Kinder zu schädigen: "Die Grünen signalisieren mit ihrer ablehnenden Haltung, dass für sie das Wohl der Kinder und damit die Achtung von Kinderrechten eine eher untergeordnete Rolle spielen." Stattdessen führten sie "ideologische Grabenkämpfe". Sind existierende und werdende Regenbogenfamilien Ideologie?
Ergänzend sagte Weinberg, die Bundesregierung habe schließlich im Vorfeld der Bundesratsabstimmung "die Forderungen" der Grünen erfüllt, weil diese versprochen habe, "noch vor Oktober 2020 eine Regelung zu beschließen, die diesem Anliegen gerecht wird" – im Klartext: Die Bundesregierung beschließt ein Gesetz, das Diskriminierung von lesbischen Frauen und deren Kindern verschärft, verspricht dann aber, die Diskriminierung wieder abzuschaffen, sobald die Opposition dem diskriminierenden Gesetz zustimmt.
Diese Logik ist natürlich Blödsinn – insbesondere wenn man sich anschaut, dass schon diverse Bundesregierungen Reformen versprochen und dann nichts getan haben. Ein Beispiel ist das in großen Teilen verfassungswidrige vier Jahrzehnte alte Transsexuellengesetz – mehrere Bundesregierungen haben hier bereits eine Reform angekündigt. Zuletzt präsentierte das Justizministerium letztes Jahr aber einen derart schlechten Entwurf, dass dieser sofort wieder in den Schubladen verschwand (queer.de berichtete).
Die harschen Worte von Schön und Weinberg kommen umso überraschender, da sich beide eigentlich als offen gegenüber LGBTI-Themen hervorgetan haben. So gehörten sie 2012 zu den "Wilden 13", die sich für die Gleichbehandlung von eingetragenen Lebenspartnern und heterosexuellen Eheleuten eingesetzt hatten (queer.de berichtete). Beide stimmten außerdem für die Ehe für alle. Dass sie im politischen Wettstreit heute alte homophobe Klischees wieder hervorkramen, ist besorgniserregend. Denn ihnen sollte bewusst sein, welche Geister sie damit rufen.
Fakt ist, im Bundesrat gibt es keine Mehrheit für ein Gesetz, dass der Bundestag beschlossen hat. Das passiert schon mal. Das ist unser politisches System. Der Föderalismus zwingt alle sich entgegen zu kommen.
Die Frage, ob es sachdienlich war, das Gesetz heute abzulehnen, ist berechtigt.
Ob es clever war, wird das Ergebnis am Ende zeigen. Der nächste Anlauf muss sitzen, sonst wird das gar nichts mehr bis zur nächsten Wahl.
Und da gebe ich den zwei von den Wilden 13 Recht: in der Sache wäre es für die Kinder besser gewesen eine Regelung zu haben. Die Zwei-Mütter-Variante hätte man nachholen können.