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Antrag im Bundestag
AfD will "Frühsexualisierung" unter Strafe stellen
Nach dem erfundenen Kampfbegriff könnte etwa eine Schulaufklärung über LGBTI verboten und als "Kindesmissbrauch" bestraft werden. Sven von Storch betreibt Volksverhetzung zum Thema.

"Demo für alle" 2014 in Hannover. Die homo- und transfeindliche Bewegung war damals von der "Initiative Familienschutz" aus dem Kampagnennetzwerk der AfD-Politikerin Beatrix von Storch und ihres Ehemanns Sven heraus organisiert worden. Horrorszenarien über "Frühsexualisierung", "Gender" und "LGBT-Ideologie" wurden – wie die Partei – erst danach richtig populär (Bild: nb)
- Von Norbert Blech
5. Juli 2020, 04:43h 6 Min.
Die AfD hat in dieser Woche einen Antrag in den Bundestag eingebracht, der in seiner vagen Formulierung in der Praxis Schulaufklärung über LGBTI, eine moderne und angemessene Sexualaufklärung sowie Sexualpädagogik unter Strafe stellen könnte. Erlaubt sollte nur eine "abstrakt-biologische Aufklärung" zur "Fortpflanzung" sein, so die Partei, deren Jugendorganisation einst schon in harmlosen Comic-Motiven der BZgA eine "Frühsexualiserung" sah (queer.de berichtete).
"Jede Form der sog. Frühsexualisierung" sei "in Krippen, Kindertagesstätten, Kindergärten und Schulen als Kindesmissbrauch zu werten und unter Strafe zu stellen", heißt es in einem Unterpunkt des Antrags "Kinder gegen sexuelle Gewalt wirksam schützen" (PDF). Er ist die Antwort der Partei auf die in den letzten Wochen bekannt gewordenen Missbrauchsfälle und sieht an anderen Stellen etwa Strafverschärfungen oder vereinfachte Sicherungsverwahrungen bei Tätern vor.

Jene zu bestrafende "Frühsexualisierung" sei "jede sexuelle Konfrontation von Kindern und Jugendlichen in staatlichen oder staatsnahen Einrichtungen, die über eine rein biologische und abstrakte Aufklärung für Schulkinder ab einem verständigen Alter bezüglich der menschlichen Fortpflanzung inkl. der Schwangerschaftsverhütung oder der Vermeidung von Erkrankungen in diesem Zusammenhang hinausgeht". Schulaufklärung über LGBTI hatte die AfD in den letzten Jahren immer wieder als "Frühsexualisierung" bekämpft – die vage Formulierung zur Aufklärungs-Ausrichtung auf "Fortpflanzung" dürfte sie wohl gezielt ausschließen.
Träger, die "missbrauchsgefährdete Konzepte" anböten, sollten ihre Betriebsberechtigung verlieren, so der AfD-Antrag weiter. Pädagogikkonzepte seien zudem "bundesweit vorab behördlich auf ihre Unbedenklichkeit in Bezug auf die Gefahr sexuellen Kindesmissbrauchs zu überprüfen". "In regelmäßigen unangekündigten Stichproben vor Ort" sei zu kontrollieren, dass es zu keiner "Gefahrenlage" komme.
"Frühsexualisierung" meint oft "Homo-Propaganda"
In der Begründung bezieht sich die AfD konkret auf den Skandal um "Original Play", ein tatsächlich fragwürdiges "Konzept", das freilich nicht von vermeintlichen "Gender-Ideologen" oder Grünen stammt, gegen die die AfD sonst an dieser Stelle zu Felde zieht, sondern in einigen evangelischen Kitas nach US-Vorbild eingesetzt wurde. Der Verbotswunsch der AfD geht aber weit darüber hinaus und erinnert etwa an den Gesetzentwurf zum Verbot von Sexualerziehung in Polen, bei dem christlicher Fundamentalismus und rechtspopulistische Politik zusammenfanden (queer.de berichtete).
Für die AfD öffne "Frühsexualisierung" sexuellem Missbrauch Tür und Tor: "Unter Missachtung des natürlichen Schamgefühls von Kindern ist es durch die Konfrontation mit einer Frühsexualisierung leicht möglich, die Abwehrmechanismen der Kinder gegen sexuelle Handlungen zu schwächen und sie zu Opfern sexuellen Missbrauchs zu machen." In Wirklichkeit hat professionelle Sexualerziehung genau das Gegenteil zum Ziel, soll Schüler selbstbewusst machen und altersgerecht auf Sexualität vorbereiten – in einer Zeit, in der etwa Pornos auf Schülerhandys üblich sind. Die Konzepte sind keine "Frühsexualisierung", sondern eine Antwort darauf.
Die AfD-Antrag ist folglich schädlich. Und verlogen, nutzt die Rechtsaußenpartei den Begriff "Frühsexualisierung" doch auch und besonders gerne für Themen, die nicht mal etwas mit der von ihr überzogen dargestellten Sexualpädagogik zu tun haben – in einer Bundestagsanfrage wurde gar ein Erklär-Beitrag des ZDF-Kinder-Nachrichtenmagazins "Logo" zur dritten Geschlechtsoption als "Frühsexualisierung" bezeichnet. Alles was Homo- oder Transsexuelle betrifft, ist aus AfD-Sicht etwas Sexuelles und etwas für Erwachsene – und dabei praktischerweise gut für eine auf Homo- und Transphobie setzende Stimmungsmache.

Einige virale Hetz-Einträge der AfD der letzten Jahre
Seit Jahren kämpft die AfD etwa mit Lügen und Übertreibungen gegen Bildungspläne an, wonach Lehrer*innen im Unterricht auch sexuelle und geschlechtliche Minderheiten thematisieren sollen. Als "Frühsexualisierung" bekämpft sie auch queere Aufklärungsgruppen wie SCHLAU, die schlicht Antidiskriminierungs- und Akzeptanzarbeit leisten – "Millionen Steuergelder für Analsex-Unterricht in Rheinland-Pfalz" log etwa 2018 die AfD-Bundestagsabgeordnete Nicole Höchst in einer Pressemitteilung (queer.de berichtete).
"Eine einseitige Hervorhebung der Homo- und Transsexualität im Unterricht, wie sie die sogenannte 'Sexualpädagogik der Vielfalt' praktiziert, stellt einen unzulässigen Eingriff in die natürliche Entwicklung unserer Kinder und in das vom Grundgesetz garantierte Elternrecht auf Erziehung dar", schrieb die Partei in ihrem Programm zur Bundestagswahl (queer.de berichtete). Damit würden "Kinder und Jugendliche – oft von schulfremden Personen und meist gegen den Willen ihrer Eltern – in ihrer sexuellen Identität verunsichert, überfordert und in ihren Schamgefühlen verletzt".

queer.de berichtete). Später forderte die Landtagsfraktion in einem Antrag gegen "Früh- und Zwangssexualisierung" an Schulen, Lehrinhalte an der "Kernfamilie" auszurichten und Sexualerziehung nur als Teil des Biologieunterrichts durchzuführen: "Damit wird der Indoktrination durch schulexterne Experten beziehungsweise Lobbyisten entgegengewirkt" (queer.de berichtete) Motiv von Björn Höcke und AfD aus dem Jahr 2016: Ein einzelner (Erwachsenen-)Workshop zum Thema Analsex im Rahmen der damaligen Hirschfeld-Tage wurde für tagelange Stimmungsmache genutzt (
In ihrer "Magdeburger Erklärung zur Frühsexualisierung" forderten AfD-Abgeordnete diverser Landtagsfraktionen 2016 einen Schulunterricht mit der Botschaft einer "intakten Familie" aus Mann, Frau und Kindern und lehnten unter anderem ein Adoptionsrecht für homosexuelle Paare ab – da "wissenschaftlich noch nicht abschließend geklärt ist, ob Kinder, die bei gleichgeschlechtlichen Paaren aufwachsen eine normale und stabile Geschlechtsidentität entwickeln" (queer.de berichtete).

Der AfD-Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann warnte im letzten Jahr vor "Zwangsfrühsexualisierung, Doktorspiele[n] und Pimmelpuppen im Kindergarten" (queer.de berichtete): "Kinderseelen werden vergewaltigt. Die Gender-Ideologie zertrümmert die Geschlechtsidentität der Kinder. Sie zertrümmert somit letztendlich auch die traditionelle Familie aus Vater, Mutter und Kind."
Der Begriff "Frühsexualisisierung" oder in den letzten Jahren auch "Gender" ist, daran sollte kein Zweifel bestehen, in Deutschland folglich das, was in anderen Ländern als "LGBT-Ideologie" oder "Homo-Propaganda" bekämpft wird.
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Sven von Storch warnt vor "schwul-lesbischer Indoktrination an Schulen"
Halb öffentlich hetzt die AfD derzeit noch deutlicher. In der letzten Woche verschickte die "Initiative Familienschutz" aus dem Kampagnennetzwerk der AfD-Bundestagsabgeordneten Beatrix von Storch und ihres Ehemanns Sven einen Newsletter, um eine Strafverschärfung der Regierung bei sexuellem Kindesmissbrauch als eigenen Erfolg darzustellen. "Aber allein das genügt nicht, um die Gewalt gegen Kinder wirksam zu bekämpfen. Auch das Verbot von Frühsexualisierung und Gender-Aufklärung in Kitas und Grundschulen gehört dazu."
Diese "abstoßende Sexualmissionierung von Kindern" mache es "pädophilen Tätern leicht, ihren Trieben ungestört nachzugehen", schreibt Sven von Storch persönlich. Er fabuliert von "unfassbaren Dimensionen pädophiler Netzwerke dank der links-grünen 'Sexualpädagogik'" und warnt vor erfundenen Horrorszenarien als "Ungeist": "Wenn Schulkinder Referate über homosexuelles Leben und Analsex halten sollen", dann lebe darin die Forderung der Grünen aus den 80ern nach straffreien Sex mit Kindern weiter.

Früherer Flyer der "Initiative Familienschutz", der vor "Gender-Sexualkunde" als "Frühsexualisierung" warnt und im Innenteil etwa beklagt: "Homosexuelle Neigungen sollen Schüler aktiv bejahen"
Am Samstag verschickte Sven von Storch einen weiteren Newsletter: "Anstelle von kindgerechter Aufklärung gibt es heute Unterricht in Porno-Sprache. Statt an den Wert der Familie sollen Kinder an den Popanz der 'sexuellen Vielfalt' glauben", warnte er vor einer "pädophilen Agenda von SPD, Linken und Grünen". "Mit ihren kranken Ideen haben die Schergen des Kulturmarxismus die Sexualerziehung regelrecht gekapert." Hinter "verschlossenen Klassen- und Kitatüren" finde eine "Umerziehung der Kinder" statt.
Als "perverse Auswüchse" macht von Storch etwa aus: "Analsex als Unterrichtsthema, Kinder, die im Schultheater Homosexuelle darstellen müssen und Fünfjährige, die Puppen mit Penis und Vagina zum 'Spielen' bekommen." Abgeordnete sollten gegen die "Sexualisierung der Kinder" und die "schwul-lesbische Indoktrination an Schulen" vorgehen, Verantwortliche müssten "zur Rechenschaft gezogen werden".

Dokumentation: Nur zwei Newsletter von vielen der "Initiative Familienschutz". Komplett-Ansicht über Lupe.
Die beiden Newsletter machen noch einmal deutlich, wogegen die AfD mit ihrem Antrag gegen "Frühsexualisierung" vor allem kämpft: gegen LGBTI. Als Thema an Schulen, letztlich aber auch als Personen. "Wir sind keine Ideologie, sondern Menschen", antworten queere Personen auf ähnliche Stimmungsmache und Angriffe in Polen. In einem der Newsletter sammelt Sven von Storch derweil noch Spenden für den Kampf gegen "das Krebsgeschwür Gender".

Gewalt an Kindern und Jugendlichen geht nicht von der LGBTIQ-Gemeinschaft aus, sondern von heterosexuellen Menschen, meist Männer, von Priestern und Nonnen, von Menschen, die Kinder schützen sollten.
Wer die Fakten verschleiert und hetzt wie Ihr, der betreibt FAKE NEWS, wie es nicht mein President sagen würde.
Aufklärung ist keine Frühsexualisierung. Aufklärung lernt den Kindern und Jugendlichen, über ihren Körper Bescheid zu wissen, und, sich nicht zu schämen, wenn man "anders" ist!