https://queer.de/?36632
Verhandlung vor Amtsgericht
Kutschera gibt sich zu Prozessbeginn kampfeslustig
Der Kasseler Evolutionsbiologe will seine nach Ansicht der Staatsanwaltschaft volksverhetzenden Aussagen über Homosexuelle "wissenschaftlich belegen" – und notfalls bis nach Karlsruhe ziehen.

Kutschera im letzten Sommer bei einem Vortrag, "Gender-Theorie und Gender Mainstreaming im Faktencheck", vor der AfD-Landtagsfraktion Schleswig-Holstein (Bild: Screenshot Parteivideo)
- 20. Juli 2020, 18:42h 4 Min.
In Kassel hat am Montag der Prozess gegen den Biologie-Professor Ulrich Kutschera wegen extremer Äußerungen über Homosexuelle begonnen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Volksverhetzung in Tateinheit mit Beleidigung und Verleumdung vor. Unter dem Vorwand angeblich "biowissenschaftlicher Fakten" habe er Homosexuellen eine grundsätzliche Neigung zum sexuellen Missbrauch von Kindern zugeschrieben.
Der 65-Jährige ist Evolutionsbiologe der Universität Kassel. Die Vorwürfe gegen ihn beziehen sich auf ein Interview, das 2017 auf dem katholischen Internetportal kath.net erschien und das heute noch abrufbar ist. Es drehte sich um das Thema der gleichgeschlichten Ehe. Unter anderem hatte Kutschera erklärt: "Sollte das Adoptionsrecht für Mann-Mann bzw. Frau-Frau-Erotikvereinigungen kommen, sehe ich staatlich geförderte Pädophilie und schwersten Kindesmissbrauch auf uns zukommen." An anderer Stelle sprach er bei Homo-Männerpaaren mit Adoptivsohn von einem möglichen "Horror-Kinderschänder-Szenario" (queer.de berichtete). Laut "Hessenschau" sagte die Staatsanwältin bei der Verlesung der Anklage, diese Aussagen seien "kriminologisch nicht haltbar". Sie werfe ihm auch vor, gleichgeschlechtliche Paare als "sterile, asexuelle Erotik-Duos ohne Reproduktions-Potenzial" bezeichnet zu haben.

Wegen der Aussagen hatten mehrere Homosexuelle und Kasseler Studierende Anzeige gegen Kutschera erstattet. Ein erster Prozess war im vergangenen Sommer aus formalen Gründen geplatzt, weil keine Zusatztermine für diverse von Kutscheras Anwalt gestellte Beweisanträge zu finden waren (queer.de berichtete). Auch am Montag wurden umfangreiche Anträge gestellt; so sollen mehrere Wissenschaftler gehört und Kutscheras eigenes Buch "Das Gender-Paradoxon" ins Verfahren eingebracht werden.
Männliche Homosexualität "Fehlpohlung"
Kutschera hatte bereits im Vorfeld angekündigt, seine Aussagen verteidigen zu wollen. Auch zu Prozessbeginn betonte er, dass diese durch Tatsachen gedeckt seien, sich durch Studien und Aussagen anderer Wissenschaftler belegen ließen. "Das Kindeswohl steht im Mittelpunkt meiner Aussagen", so Kutschera; sie seien von der Staatsanwaltschaft teilweise aus dem Zusammenhang gerissen worden. Zudem werde ein Teil der Aussagen falsch verstanden, weil sie auf biologischer Fachsprache basierten.
Laut dem Bericht der "Hessenschau" meinte Kutschera in der Verhandlung unter anderem, "die männliche Homosexualität sei eine genetisch bedingte 'Fehlpolung', lesbische Frauen seien hingegen nicht wirklich homosexuell, sie würden auch mit Männern Sex haben. Homosexuelle seien in Beziehungen gewalttätiger als Heteropaare und würden mehr Drogen nehmen." Daraus habe er gefolgert, dass Kinder in "Homo-Haushalten" leiden würden und Kindesmissbrauch wahrscheinlich sei.
/ hessenschauKasseler Biologieprofessor Kutschera verteidigt vor Gericht seine homofeindlichen Aussagen und beruft sich auf die Wissenschaftsfreiheithttps://t.co/DWWTh9WIsK
hessenschau (@hessenschau) July 20, 2020
|
Ein als Zeuge geladener 52-jähriger Universitätsmitarbeiter sagte zu dem kath.net-Interview: "Diese Aussagen und viele weitere sind hetzerisch und sie sind objektiv geeignet, Gewalt zu erzeugen." Sie stünden im Geiste der Begründungen, mit denen schon die Nationalsozialisten die Verfolgung Homosexueller gerechtfertig hätten, so der schwule Informatiker, der eine der Anzeigen gestellt hatte. Die Äußerungen würden heute noch von Regimen genutzt, um Repressionen gegen Schwule zu begründen. Der Informatiker griff Kutscheras Arbeitsweise an: "In jeder Quelle ist ein eklatanter Verstoß gegen wissenschaftliche Standards."
In Interviews im Gerichtsgebäude meinte Kutschera, er gehe von einer Verurteilung aus – werde "diesen Präzedenzfall der Abschaffung der Wissenschafts- und Meinungsfreiheit in diesem Land" aber notfalls bis zum Bundesverfassungsgericht "durchfechten". Der Prozess, in dem es nebenbei auch um eine Fahrerflucht geht, wird Anfang August fortgesetzt.
Kutschera verglich Prozess mit Bücherverbrennung
In den letzten Jahren hatte Kutschera immer wieder mit neuen homo- und transphoben Aussagen für Entzücken insbesondere unter Rechtspopulisten und Rechtsextremen gesorgt. Er sitzt im Kuratorium der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung. In einen Interview mit der "Initiative Familienschutz" aus dem Haus der AfD-Politikerin Beatrix von Storch und ihres Ehemanns Sven hatte er den Prozess gegen ihn als "eine Art 'Bücherverbrennung 2019'" bezeichnet (queer.de berichtete).
Die Universität Kassel erklärte, sie verfolge den Prozess mit großer Aufmerksamkeit. "Professorinnen und Professoren können für ihre Äußerungen nicht nur die Meinungsfreiheit, sondern auch die Freiheit der Wissenschaft in Anspruch nehmen, die das Grundgesetz sehr weit fasst", hieß es. Ob diese im konkreten Fall überschritten worden sei, müsse zunächst das Gericht bewerten. Die Uni warte die Urteilsfindung ab. Studierende im Fach Evolutionsbiologie können seit zwei Jahren einen weiteren Professor statt Kutschera wählen. "Diskriminierung und Verleumdung von Minderheiten und diverser Lebensformen wenden sich gegen die Werte der Universität Kassel", sagte Markus Zens von der Universität der "Hessenschau". Vor dem Gerichtsgebäude demonstrierten Studierende unter dem Motto "Rechte Hetze wegglitzern". (nb/dpa)














