Die Knesset befindet sich in Jerusalem, was von den Israelis als ihre Hauptstadt angesehen wird – und sieht wegen scharfer Sicherheitsvorkehrungen eher wie eine militärische Einrichtung als wie ein Parlament aus (Bild: Chris Yunker / flickr)
Die Knesset in Jerusalem hat am Mittwochnachmittag einen ersten Schritt zum Verbot von "Konversionstherapien" zur "Heilung" von Homosexualität unternommen. Im Parlament gab es in einer vorbereitenden Abstimmung eine Mehrheit für einen entsprechenden Gesetzentwurf der oppositionellen Meretz-Partei – 42 Abgeordnete stimmten für den Entwurf, 36 dagegen.
Der Entwurf sieht vor, dass Psycholog*innen, die "Therapien" mit "dem Ziel der Veränderung der sexuellen Orientierung" durchführen, ihre Zulassung für fünf Jahre verlieren können. Bei wiederholten Verstößen droht ihnen Gefängnis. In den letzten Jahren waren mehrere Anläufe für ein Verbot gescheitert.
Ob der neue Entwurf, der nun vor der ersten Lesung in die Ausschüsse wandert, am Ende Gesetz wird, ist allerdings noch völlig unklar. Die Mitte-Rechts-Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu könnte weitere Abstimmungen blockieren, weil der Antrag nicht in der Regierung abgesprochen war.
Abstimmung löst Regierungskrise aus
Das Abstimmungsergebnis führte bereits zu einer veritablen Koalitionskrise, weil liberale Teile der Regierungskoalition für den Entwurf stimmten. Zu den Befürwortern gehörten zwei Politiker von Netanjahus konservativer Likud-Partei, darunter Amir Ohana, der Minister für öffentliche Sicherheit. Ohana ist der erste offen schwule Likud-Abgeordnete in Israels Geschichte (queer.de berichtete.
Die LGBTI-feindliche ultraorthodoxe Parteiengruppe "Vereinigtes Thora-Judentum" kündigte an, die Zusammenarbeit mit dem Koalitionspartner "Blau-Weiß" von Benny Gantz aus Protest einzustellen, weil die Knesset-Abgeordneten der sozialliberalen Parteiengruppe den Oppositionsentwurf geschlossen unterstützten. Bauminister Yaakov Litzman von der ultraorthodoxen Partei Agudat Jisra'el kritisierte das "verfaulte Verhalten" von "Blau-Weiß", das gegen die Koalitionsdisziplin verstoße. Tatsächlich hatten die Regierungsfraktionen in ihrem Koalitionsvertrag erst vor zwei Monaten vereinbart, nur gemeinsam abzustimmen.
Horowitz: "Sie haben heute dabei geholfen, Leben zu retten"
Meretz-Chef Nitzan Horowitz feierte das Abstimmungsergebnis dagegen als "historisch". "Ich danke den Abgeordneten, die für Freiheit und Gleichheit gestimmt haben und so die schrecklichen 'Konversionstherapien' stoppen wollen", erklärte der schwule Politiker. "Sie haben heute dabei geholfen, Leben zu retten."
Fortschritte für LGBTI wurden in den letzten Jahren vor allem vor Gericht oder in Kommunen wie in Tel Aviv erzielt, während in der Knesset aufgrund orthodoxer Regierungspartner Stillstand herrschte. Queere Organisationen begrüßten in Stellungnahmen den ersten und "beispiellosen" Schritt zu dem "lebenswichtigen Gesetz": "Liebe kann nicht konvertiert werden. Seele kann nicht konvertiert werden. Wir können nicht konvertiert werden", kommentierte etwa das Pride House in Be'er Sheva. Allerdings sei der Weg zur Verabschiedung noch lang und bräuchte der Entwurf weitere Änderungen: "Das Gesetz in seiner derzeitigen Struktur verbietet Psychologen und Therapeuten, als 'Konversionstherapeuten' zu fungieren, gilt jedoch nicht für Rabbiner und Geistliche und ermöglicht daher 'Konversionstherapien' durch sie."
Israel leidet seit Jahren unter Regierungskrisen, derzeit verschärft durch eine Rezession und steigende Corona-Zahlen. Zudem muss sich Ministerpräsident Netanjahu gegen Korruptionsvorwürfe wehren; Israelis gehen derzeit fast ununterbrochen in Massendemonstrationen gegen den bedeutendsten israelischen Politiker der letzten Jahrzehnte auf die Straße. Laut Medienberichten wurden allein am Dienstag 34 Demonstrant*innen vorläufig festgenommen. (dk)