Im Rahmen der Präsidentenwahl in Polen ist auch hierzulande wieder vermehrt über die Frage diskutiert worden, ob Städtepartnerschaften mit Orten in Polen beendet werden sollen. Ich halte das für den falschen Weg. Konstruktive Kritik ist unabdingbar, die äußern auch Berliner Bezirke oder Politiker*innen der Berliner Regierungskoalition. Druck lässt sich aber auch aufbauen, ohne Partnerschaften zu beerdigen.
Es ist auffällig, dass Länder wie Polen, Ungarn oder Russland in der Debatte oft als eine Art monolithischer Block dargestellt werden, der irgendwie rückständig und homofeindlich ist. Diese Einschätzung ist nicht nur grober Unfug, sie verbietet sich nach meiner Auffassung auch angesichts der deutschen Geschichte. Auch in den ehemaligen Ostblock-Ländern gibt es eine Community, die sich organisiert und die ihre Stimme erhebt. Auch dort gibt es sowas wie Straight Allies. In Polen hat fast die Hälfte derjenigen, die gewählt haben, eben nicht für einen Rechtsextremen gestimmt. In den Stadträten von Bytom oder Wrocław sind Anträge, die Städte zur "LGBT-freien Zone" zu machen, kürzlich abgelehnt worden, in anderen Fällen haben Gerichte diese Zonen für verfassungswidrig erklärt.
Kooperationen sind wirksamer als angewidert wegzuschauen
Unser Gastkommentator Carsten Schatz ist Fraktionsvorsitzender von DIE LINKE im Berliner Abgeordnetenhaus (Bild: Rico Prauss)
Anstatt Partnerschaften aufzukündigen, sollten wir neue Partnerschaften knüpfen. Als LINKE haben wir für unsere IDAHOBIT-Aktion u.a. mit einer Gruppe polnisch-stämmiger Aktivist*innen zusammengearbeitet. Bei dem Verein Helle Panke e.V. hat unsere queerpolitische Sprecherin im Bundestag, Doris Achelwilm, kürzlich mit dem polnischen Philosophen Tomasz Kitliński diskutiert, der im Übrigen ebenfalls davor gewarnt hat, Kommunikationskanäle zu begraben. Wir hatten dieses Jahr vor den Pride in Lublin zu unterstützen, was pandemiebedingt leider ausfällt, wir an anderer Stelle, in Warschau oder Stettin aber schön öfter getan haben. Das sind praktische Dinge, die nicht besonders viel Fantasie erfordern und trotzdem viel wirksamer sind als angewidert wegzuschauen.
Der Chef der saarländischen LSU lehnt das Aufkündigen von Städtepartnerschaften mit dem Verweis auf europäische Werte ab. Das ist schön. Es gehört aber leider zum Kerngeschäft seiner Partei, der CDU, "europäische Werte" immer nur auf einer abstrakten Ebene zu verhandeln und die Belange von LGBTI konkret zu vernachlässigen oder sie sogar bewusst zu sabotieren. Wie nutzt denn die von der CDU-geführte Bundesregierung die jetzt angetretene Europäische Ratspräsidentschaft, um sich für die Belange von LGBTI in der EU einzusetzen? Da ist bisher wenig Konkretes zu hören. Wieso hat die Berliner CDU denn wochenlang mit Falschbehauptungen und Horrorszenarien gegen unser neues Landesantidiskriminierungsgesetz Stimmung gemacht, das nicht zuletzt nach Anmahnen von europäischer Seite erlassen wurde, den Diskriminierungsschutz auch über das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz hinaus zu verbessern? Da hilft es übrigens auch wenig, dass ihr Koalitionspartner, die SPD, z.B. in Person von Heiko Maas auch eher zurückhaltend daherkam, als es um Kritik an den homofeindlichen Ausfällen von Andrzej Duda während seines Besuchs in Warschau ging.
Wer Polen kritisiert, darf in Deutschland nicht wegschauen
Wenn wir etwas ändern wollen, dann geht das nur beharrlich, ohne erhobenen Zeigefinger, in direktem Austausch, auch und vor allem mit den progressiven Kräften vor Ort. Daraus müssen wir aber auch Konsequenzen für unser eigenes politisches Handeln hierzulande ziehen. Wer den Schutz von LGBTI in Polen oder Ungarn anmahnt, in Deutschland und Europa aber queerpolitisch seit Jahren Defizite fährt – ich nenne da mal stellvertretend die immer noch ausstehende Abschaffung des Transsexuellengesetzes in Deutschland -, der macht sich lächerlich und missbraucht die Kritik an den polnischen Verhältnissen dazu, um kurzfristig ein bisschen Beifall abzugreifen. Das finde ich unredlich.
Die LGBTI-Feindlichkeit in Polen, Ungarn und Russland muss mit harten und unmissverständlichen Schritten auf jeder Ebene beantwortet werden! Nur durch Klarheit und Eindeutigkeit erkennen die Verantwortlichen in den genannten Ländern, dass es der EU, Deutschland und dem Westen ernst damit ist, Homophobie nirgendwo zu dulden und zu tolerieren! Das heißt jedoch nicht - wie im Kommentar unterstellt - dass dadurch die Gesprächskanäle abgebrochen werden müssen! Natürlich muss man zum Gespräch offen sein und natürlich müssen wir die LGBTIs in den Ländern unterstützen auf jede erdenkliche Weise!
Aber: Hetzer müssen durchaus ertragen, dass man ihr Reden und Tun entsprechend qualifiziert und beantwortet , auch wenn dies als erhobener Zeigerfinger gesehen wird! Die vorsichtig, rücksichtsvolle und schonende Art (z.B. von Maas) wird gerade in den drei genannten Ländern nur als Schwäche gesehen!
In dem gesamten Kommentar finde ich nicht ein Argument dagegen, nicht auch das Aufkündigen der Städtepartnerschaften als Mittel gegen grobe Homophobie einzusetzen, außer dass dadurch der Gesprächsfaden abreißen könnte, was aber nicht sein muss!
Und zuletzt: Wie will man sich denn bitte freundschaftlich begegnen, wenn zuvor ein aggressiver Akt - wie die Erklärung einer LGBT- freien Zone - vorausgegangen ist! Ich kann man nicht vorstellen, dass man als westliches Stadtratsmitglied den Kollegen in solch einem Gebiet vorbehaltlos begegnen kann, ohne dass zuvor gemeinschaftlich ein klares Zeichen gegen diese Menschenfeindlichkeit gesetzt wurde!