Wie hier in Warschau demonstrierten letzte Woche tausende Menschen für den Erhalt und die Ziele des Abkommens
In Polen bleibt ein angekündigter Rückzug aus einem internationalen Abkommen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen weiter in der Schwebe. Ministerpräsident Mateusz Morawiecki teilte am Donnerstag mit, er habe das polnische Verfassungsgericht gebeten, die Istanbul-Konvention des Europarats auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen. Die Konvention war 2012 noch von der Vorgängerregierung unterzeichnet und 2015 ratifiziert worden.
Morawiecki sagte, er habe "das Verfassungsgericht gebeten, festzustellen, ob die Istanbul-Konvention mit der Verfassung in Einklang steht". Er selbst habe daran Zweifel etwa im Bereich der Meinungsfreiheit und dem Recht der Eltern, Kinder nach ihrem Gewissen zu erziehen. Zudem dankte er Justizminister Zbigniew Ziobro und anderen dafür, dass sie ihre "Zweifel an bestimmten Bestimmungen" der Konvention geäußert hätten.
Die nationalkonservative Regierungspartei PiS hatte das Abkommen seit Jahren infrage gestellt. Am Wochenende hatte Justizminister Ziobro von der PiS-Splitterpartei Solidarisches Polen (SP) angekündigt, ab Montag den Ausstieg offiziell einzuleiten (queer.de berichtete). Er hatte das Abkommen in der Vergangenheit als "feministische Schöpfung zur Rechtfertigung der homosexuellen Ideologie" und "Gender-Ideologie" bezeichnet. Die Konvention habe "eine zusätzliche Schicht", die "LGBT-Familien-Beziehungen fördert" und Kindern beibringe, "dass das biologische Geschlecht archaisch ist", hatte Ziobro am Samstag behauptet. Von christlich-fundamentalistischen Aktivisten wird seit Jahren behauptet, die Konvention sei Ausdruck einer "Gender-Ideologie", mit der LGBTI-Rechte, Abtreibungserleichterungen und verpflichtende Sexualkunde drohten.
Hin und Her in Warschau und Brüssel
Die Regierung war am Montag allerdings zurückgerudert und hatte betont, dass es noch keine Entscheidung zu dem Ausstieg gebe (queer.de berichtete). Polnische Medien kommentierten, Morawiecki habe das Thema nun wie andere in der Regierung umstrittene Projekte wie eine Verschärfung des Abtreibungsverbots oder eine De-facto-Bestrafung von Sexualkunde für Monate bis Jahre "geparkt" – in diesem Fall beim Verfassungsgericht.
Die EU und der Europarat hatten alarmiert auf die Ankündigung der polnischen Regierung reagiert, mit der in diesen Tagen auch der Streit um "LGBT-freie Zonen" eskaliert (queer.de berichtete). Auch in Polen selbst gab es am letzten Wochenende Proteste von tausenden Aktivist*innen in dutzenden Städten. Sie sehen in dem ankündigten Rückzug aus der Konvention auch einen zunehmenden Einfluss der ultrakatholischen und homo- und transfeindlichen Organisation "Ordo Iuris" auf die Politik: Diese kämpft auf nationaler Ebene gegen die Konvention an – und mit Partnern wie der deutschen "Demo für alle" auch auf europäischer Ebene (mehr Hintergründe in diesem Vorbericht).
Auf internationaler Ebene könnte der Konflikt um Fort- und Rückschritte um "Gender"- und LGBTI-Themen zunehmen: Morawiecki sagte am Donnerstag auch, auf seine Bitte hin habe das Außenministerium eine zwischenstaatliche Zusammenarbeit und diplomatische Maßnahmen ergriffen, um eine "Konvention zum Schutz der Rechte von Familien" als internationales Abkommen zu verabschieden. Dahinter kann sich homo- und transfeindliche Politik verstecken: Als Präsident Andrzej Duda im Wahlkampf um sein Amt eine "Familiencharta" vorstellte, verplichtete er sich damit unter anderem gegen ein Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare und gegen "LGBT-Ideologie" an Schulen (queer.de berichtete)
Die Istanbul-Konvention des Europarats verpflichtet die Unterzeichnerstaaten, jegliche Gewalt gegen Frauen und Mädchen sowie alle Formen häuslicher Gewalt als Verbrechen einzustufen und sich gegen die Diskriminierung von Frauen einzusetzen. Sie wurde von allen 27 EU-Mitgliedstaaten und zahlreichen weiteren Ländern unterzeichnet und in der Folge von den meisten ratifiziert. In Deutschland ist sie seit Februar 2018 in Kraft. (nb/afp)