Professor Ulrich Kutschera, hier als Experte zu Charles Darwin in einer ARD-Sendung, macht seit Jahren mit Aussagen gegen die vermeintliche "Gender-Ideologie" von sich reden (Bild: Screenshot ARD)
Das Amtsgericht Kassel hat am Montag den umstrittenen Biologie-Professor Ulrich Kutschera wegen extremer Äußerungen über Homosexuelle nach zwei Verhandlungstagen zu einer Geldstrafe in Höhe von 6.000 Euro verurteilt. Er wurde wegen Beleidigung schuldig gesprochen, berichtet die dpa.
Die Äußerungen des 65-Jährigen seien nicht wie von ihm vorgetragen durch die Freiheit der Wissenschaft gedeckt gewesen, sagte der Richter: "Es kommt auch auf den Zusammenhang an." So habe sich der Evolutionsbiologe in einem Interview geäußert und nicht in einer Vorlesung. Kutschera habe zudem durch seine Begrifflichkeiten Werturteile abgegeben und sei durch die Auswahl seiner Quellen ebenfalls wertend vorgegangen. "Man kann Sachen ablehnen, aber nicht herabwürdigen", sagte der Richter laut "Hessenschau". Den Vorwurf der Volksverhetzung sah das Gericht allerdings nicht als gegeben an; der nicht vorbestrafte Forscher wurde zudem von einem nebenbei verhandelten Vorwurf der Fahrerflucht freigesprochen.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig – Kutschera hatte nach dem ersten Verhandlungstermin im Juni betont, zu diesem "Präzedenzfall der Abschaffung der Wissenschafts- und Meinungsfreiheit in diesem Land" notfalls bis zum Bundesverfassungsgericht zu ziehen (queer.de berichtete). Auch die Staatsanwaltschaft kann noch in Berufung gehen. Das Verfahren gegen den Evolutionsbiologen der Universität Kassel bezieht sich auf ein Interview zur Ehe für alle, das 2017 auf dem katholischen Internetportal kath.net erschienen war.
Unter anderem hatte Kutschera erklärt: "Sollte das Adoptionsrecht für Mann-Mann bzw. Frau-Frau-Erotikvereinigungen kommen, sehe ich staatlich geförderte Pädophilie und schwersten Kindesmissbrauch auf uns zukommen." An anderer Stelle sprach er bei Homo-Männerpaaren mit Adoptivsohn von einem möglichen "Horror-Kinderschänder-Szenario" (queer.de berichtete). Laut "Hessenschau" sagte die Staatsanwältin bei der Verlesung der Anklage, diese Aussagen seien "kriminologisch nicht haltbar". Sie werfe ihm auch vor, gleichgeschlechtliche Paare als "sterile, asexuelle Erotik-Duos ohne Reproduktions-Potenzial" bezeichnet zu haben.
Staatsanwaltschaft reagierte auf mehrere Anzeigen
Wegen der Aussagen in dem Interview hatten mehrere Homosexuelle und Kasseler Studierende Anzeige gegen Kutschera erstattet. Die Staatsanwaltschaft hatte ihm daraufhin Volksverhetzung in Tateinheit mit Beleidigung und Verleumdung vorgeworfen. Ein erster Prozess im letzten Jahr war wegen Terminschwierigkeiten nach unzähligen Beweisanträgen Kutscheras geplatzt (queer.de berichtete). Vor dem Gericht demonstrierten am Montag erneut dutzende Studierende mit einer großen Regenbogenflagge und Redebeiträgen, die auch die von Kutschera präsentierten "Fakten" und "Theorien" gerade rücken sollten.
Das Interview, das nun zur – noch nicht rechtskräftigen – Verurteilung führte und inzwischen nicht mehr abrufbar ist
Vor Gericht hatte Kutschera diverse Beweisanträge zu seinen Thesen gestellt und diese als angeblich wissenschaftlich verteidigt. Laut einem Bericht der "Hessenschau" zum ersten Verhandlungstermin meinte Kutschera etwa, "die männliche Homosexualität sei eine genetisch bedingte 'Fehlpolung', lesbische Frauen seien hingegen nicht wirklich homosexuell, sie würden auch mit Männern Sex haben. Homosexuelle seien in Beziehungen gewalttätiger als Heteropaare und würden mehr Drogen nehmen." Daraus habe er gefolgert, dass Kinder in "Homo-Haushalten" leiden würden und Kindesmissbrauch wahrscheinlich sei.
Die Äußerungen in dem kath.net-Interview seien von der Staatsanwaltschaft aus dem Zusammenhang gerissen worden und würden teilweise missverstanden, weil sie auf biologischer Fachsprache basierten, verteidigte sich Kutschera weiter. Das ließ der Richter nicht gelten: "Das allgemeine Publikum versteht es so, wie es im allgemeinen Sprachgebrauch ist."
Hetze und Beleidigungen gehen weiter
Ein als Zeuge geladener schwuler Universitätsmitarbeiter, der Anzeige gestellt hatte, sagte zu dem kath.net-Interview hingegen: "Diese Aussagen und viele weitere sind hetzerisch und sie sind objektiv geeignet, Gewalt zu erzeugen." Sie stünden im Geiste der Begründungen, mit denen schon die Nationalsozialisten die Verfolgung Homosexueller gerechtfertigt hätten. Der Informatiker griff am ersten Verhandlungstag auch Kutscheras Arbeitsweise an: "In jeder Quelle ist ein eklatanter Verstoß gegen wissenschaftliche Standards."
Am Montag sagte ein 53-jähriger Berliner Arzt vor dem Amtsgericht Kassel aus, der Kutschera ebenfalls angezeigt hatte. Er habe dies getan, "weil ich mich in meiner Menschenwürde verletzt fühle." Der Professor habe mit seinen Äußerungen die Grenzen der Freiheit von Meinungsäußerung und Wissenschaft überschritten.
In den letzten Jahren hatte Kutschera immer wieder mit neuen homo- und transphoben Aussagen für Empörung gesorgt. Er sitzt im Kuratorium der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung und verbreitet seine "wissenschaftlichen" Thesen über Homo- und Transsexualität etwa im Portal "Freie Welt" aus dem Haus der AfD-Politikerin Beatrix von Storch und ihres Ehemanns Sven (queer.de berichtete). In einem Kommentar beklagte er etwa "Gender-Indoktrination" in der "Sesamstraße": Zu der Meldung, Ernie und Bert könnten schwul sein, betonte er, "die gleichgeschlechtliche Veranlagung von Männern" basiere "in aller Regel auf hormonellen bzw. immunologischen Entwicklungsprozessen, die vorgeburtlich nicht so verlaufen sind wie bei ca. 98 % der Heteronormalen". Es sei "unakzeptabel, Kindern eine auf 'developmental disorders' basierende Homo-Verhaltensweise als 'freiwilligen Lebensstil' zu vermitteln."
AfD-Werbung für eine Veranstaltung mit "dem international angesehenen Biologen Prof. Dr. Ulrich Kutschera" im letzten Jahr
Kutscheras Arbeitgeber, die Universität Kassel, erklärte nach der Verhandlung: "Die Äußerungen von Ulrich Kutschera empören." Doch das erstinstanzliche Urteil sei noch nicht rechtskräftig. Für verbeamtete Hochschullehrer gelte das Hessische Disziplinargesetz, nach dem ein mögliches Disziplinarverfahren solange ruht, bis in einem Strafverfahren in gleicher Sache ein rechtskräftiges Urteil vorliege. Ein Verfahren für die Nachfolge von Kutschera sei aber "auf einem sehr guten Weg". (nb/dpa)