Er wurde vom Vorwurf der Volksverhetzung freigesprochen und nur wegen Beleidigung verurteilt – dennoch will er das Urteil nicht hinnehmen: Der homofeindliche Kasseler Biologieprofessor Ulrich Kutschera hat einen Antrag auf Berufung gestellt, bestätige das Amtsgericht Kassel am Dienstag. Der Fall geht damit voraussichtlich vor das Landgericht. Seine sechs von ihm vorgeschlagenen Zeugen – fünf Professoren und ein Kinderarzt – seien mit ihren eingereichten Stellungnahmen im Prozess ignoriert worden, beklagte sich Kutschera gegenüber der evangelikalen Nachrichtenagentur idea.
Der Evolutionsbiologe war am Montag zu einer Geldstrafe von insgesamt 6.000 Euro verurteilt worden (queer.de berichtete). Das Verfahren gegen den Professor der Universität Kassel bezieht sich auf ein Interview zur Ehe für alle, das 2017 auf dem katholischen Internetportal kath.net erschienen war. Unter anderem hatte Kutschera erklärt: "Sollte das Adoptionsrecht für Mann-Mann bzw. Frau-Frau-Erotikvereinigungen kommen, sehe ich staatlich geförderte Pädophilie und schwersten Kindesmissbrauch auf uns zukommen." An anderer Stelle sprach er bei Homo-Männerpaaren mit Adoptivsohn von einem möglichen "Horror-Kinderschänder-Szenario" (queer.de berichtete).
Das Interview, das zur Verurteilung führte und inzwischen nicht mehr abrufbar ist
Staatsanwältin Josefine Köpf sagte bei der Verlesung der Anklage im Juni, diese Aussagen seien "kriminologisch nicht haltbar". Sie warf ihm auch vor, gleichgeschlechtliche Paare als "sterile, asexuelle Erotik-Duos ohne Reproduktions-Potenzial" bezeichnet zu haben.
Angeklagt wegen Volksverhetzung in Tateinheit mit Beleidigung und Verleumdung
Wegen der Aussagen in dem Interview hatten mehrere Homosexuelle und Kasseler Studierende Anzeige gegen Kutschera erstattet. Die Staatsanwaltschaft hatte ihm daraufhin Volksverhetzung in Tateinheit mit Beleidigung und Verleumdung vorgeworfen. Richter Henning Leyhe sah jedoch nur den Straftatbestand der Beleidigung erfüllt und empfahl Kutschera eine "Mäßigung im Diskurs".
Ein erster Prozess im letzten Jahr war wegen Terminschwierigkeiten nach unzähligen Beweisanträgen Kutscheras geplatzt (queer.de berichtete). Vor dem Gericht demonstrierten am Montag erneut dutzende Studierende mit einer großen Regenbogenflagge und Redebeiträgen, die auch die von Kutschera präsentierten "Fakten" und "Theorien" gerade rücken sollten.
Immer wieder neue LGBTI-feindliche Aussagen
In den letzten Jahren hatte Ulrich Kutschera immer wieder mit neuen homo- und transfeindlichen Aussagen für Empörung gesorgt. Er sitzt im Kuratorium der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung und verbreitet seine "wissenschaftlichen" Thesen über Homo- und Transsexualität etwa im Portal "Freie Welt" aus dem Haus der AfD-Politikerin Beatrix von Storch und ihres Ehemanns Sven (queer.de berichtete). In einem Kommentar beklagte er etwa "Gender-Indoktrination" in der "Sesamstraße": Zu der Meldung, Ernie und Bert könnten schwul sein, betonte er, "die gleichgeschlechtliche Veranlagung von Männern" basiere "in aller Regel auf hormonellen bzw. immunologischen Entwicklungsprozessen, die vorgeburtlich nicht so verlaufen sind wie bei ca. 98 % der Heteronormalen". Es sei "unakzeptabel, Kindern eine auf 'developmental disorders' basierende Homo-Verhaltensweise als 'freiwilligen Lebensstil' zu vermitteln."
Kutschera hatte bereits nach dem ersten Verhandlungstermin betont, zu diesem "Präzedenzfall der Abschaffung der Wissenschafts- und Meinungsfreiheit in diesem Land" notfalls bis zum Bundesverfassungsgericht zu ziehen (queer.de berichtete). Erst ein rechtskräftiges Urteil könnte Folgen für seine Professur haben: Dann habe die Universität Kassel als Dienstbehörde zu prüfen, ob sich daraus disziplinarische Folgen ergeben, erklärte Hessens Wissenschaftsministerin Angela Dorn (Grüne) am Montag.
Die Uni hatte Kutscheras Aussagen öffentlich kritisiert. Für verbeamtete Hochschullehrer*innen gilt jedoch das Hessische Disziplinargesetz, nach welchem ein mögliches Disziplinarverfahren solange ruht, bis in einem Strafverfahren in gleicher Sache ein rechtskräftiges Urteil vorliegt. (cw)