Schon wieder eine Comic-Verfilmung? Muss das sein? Normalerweise wäre man – angesichts einer gewissen Übersättigung durch immer neue Superhelden-Filmen und -Serien – geneigt, auf der Suche nach kluger, spannender Unterhaltung dankend abzulehnen. Doch im Falle von "Watchmen", einer neun-teiligen Adaption der gleichnamigen, kultisch verehrten Graphic Novel von 1986/87 aus dem Hause DC Comics, wäre das ein fataler Fehler. Und das nicht nur, weil die Serie gerade für 26 Emmy Awards nominiert wurde, absoluter Rekord in diesem Jahr (die Verleihung findet am 20. September statt).
Wer nun die Comic-Vorlage nicht kennt und auch mit der Kino-Verfilmung von 2009 nicht vertraut ist, muss keine Berührungsängste haben mit "Watchmen" (bei uns zu sehen bei Sky und so eben auch auf DVD (Amazon-Affiliate-Link ) und Blu-ray (Amazon-Affiliate-Link ) erschienen). Im Gegenteil: vermutlich ist es sogar gar nicht schlecht, ohne Vorwissen an die Sache heranzugehen. Denn Showrunner Damon Lindelof, der schon mit Serien wie "Lost" oder "The Leftovers" Fernsehgeschichte schrieb, hat die Geschichte so sehr verändert und sich zu eigen gemacht, dass manche Fans der ersten Stunde (vor allem solche, die eher rassistisch und homophob veranlagt sind) online lautstark ihren Unmut kundtaten.
Im "Watchmen"-Universum haben die USA den Vietnamkrieg gewonnen
Dass man mitunter ein reichlich verwundert oder gar ratlos vor dem Bildschirm sitzt, stört das Vergnügen bei "Watchmen" jedenfalls nicht, sondern trägt im Gegenteil erheblich zur Faszination dieser Serie. Weswegen über den Inhalt an dieser Stelle nur das Nötigste verraten werden soll. Die Handlung spielt jedenfalls in einer Art Paralleluniversum zu unserer heutigen Welt. Die USA haben damals den Vietnamkrieg gewonnen, die Watergate-Affäre hat es nie gegeben, dafür stürzte 1985 ein riesiges, Kraken-ähnliches Alien auf New York City, was Millionen Tote und eine traumatisierte Nation nach sich zog.
In Tulsa, Oklahoma, wo die Serie überwiegend angesiedelt ist, eignete sich 2016 außerdem die so genannte "White Night", bei der eine Gruppe Rechtsextremer dutzende Polizist*innen ermordeten. Seither treten alle Ordnungshüter*innen nur maskiert in Erscheinung. So wie Angela Abar (Oscar-Gewinnerin Regina King, mal wieder eine Klasse für sich) alias Sister Night, deren Leben auf den Kopf gestellt wird, als nicht nur die rechte Vereinigung wieder Polizisten zu töten beginnt, sondern auch ihre eigene, lange verborgene Familiengeschichte an die Oberfläche zu kommen beginnt.
Hauptheme ist der tiefsitzende Rassismus in Amerika
Warner Home Video hat die deutsche Synchronfassung von "Watchmen" auf DVD und Blu-ray veröffentlicht
Soweit, so unzureichend beschrieben, denn dazu kommen natürlich noch der sagenumwobene Superheld Doctor Manhattan, der einst für den Sieg im Vietnamkrieg gesorgt hat und sich inzwischen auf den Mars zurückgezogen haben soll. Oder seine Ex-Geliebte Laurie Blake (die wunderbare Jean Smart), die inzwischen ein hohes Tier beim FBI ist und in Tulsa die Ermittlungen leitet, mit riesigem, blauen und ihrem Ex-Lover nachempfundenen Edelstahl-Dildo im Gepäck. Und natürlich dem rätselhaften Adrian Veidt (Jeremy Irons), der auf einem entlegenen Landsitz Menschenexperimente durchführt, ohne dass man als Zuschauer*in zunächst weiß, wo oder auch wann er sich da befindet.
All das ist genauso absurd, wie es sich anhört, weswegen es umso bemerkenswerter ist, wie smart und hellsichtig dabei trotz allem von Gesellschaftskonflikten erzählt, die nicht zuletzt die realen USA bis heute prägen und erschüttern. Das eigentliche Thema von "Watchmen" ist – ausgehend vom grauenvollen und selbst in amerikanischen Geschichtsbüchern viel zu oft ignorierten Tulsa-Massaker von 1921 (bei dem ein komplettes von Afroamerikanern bewohntes Stadtviertel zerstört wurde) – der tiefsitzende Rassismus in den Vereinigten Staaten, was der Serie gerade im Kontext der #BlackLivesMatter-Bewegung zusätzliche Relevanz verleiht.
Die sechste Episode ist bahnbrechend queer
Auch aus queerer Sicht ist "Watchmen" bemerkenswert, nicht nur weil Cheyenne Jackson einen originellen Auftritt in Serie in der Serie hat und außerdem der unverschämt charismatische Yahya Abdul-Mateen als Angelas Ehemann nur so sprüht vor Sexappeal.
Vor allem ist aber da die bahnbrechende sechste Episode, die – als Rückblende bzw. Erinnerung angelegt – so bemerkenswert und eindrucksvoll die (sich hier überlappenden) Themen Rassismus und Homophobie in den Dreißigenjahren verhandelt, wie man es in einer Comicverfilmung noch nie gesehen hat – und sobald wohl auch nicht mehr sehen wird.
Für alle, die die Serie noch nicht gesehen haben, soll auch darüber an dieser Stelle nicht mehr verraten werden. Was aber umso mehr Anlass sein sollte, dass "Watchmen" auf die eigene "To watch"-Liste sofort nach ganz oben rückt.