Der designierte demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden hat am Dienstag die kalifornische Senatorin Kamala Harris als Kandidatin für das Amt der Vizepräsidentin nominiert. Harris ist nach Geraldine Ferraro (1984) und Sarah Palin (2008) erst der dritte weibliche "Running Mate" einer der beiden großen Parteien; die Kampagnen ihrer beiden Vorgängerinnen fuhren jeweils deutliche Niederlagen ein. Außerdem ist die 55-Jährige sowohl die erste Kandidatin mit afroamerikanischen Wurzeln (ihr Vater war ein schwarzer Einwanderer aus Jamaika), als auch die erste mit asiatisch-amerikanischen Wurzeln (ihre Mutter stammte aus Indien). Diese Faktoren gelten in den USA angesichts der Auseinandersetzungen um Rassismus als besonders wichtig.
Die studierte Rechtswissenschaftlerin war von 2004 bis 2011 Bezirksstaatsanwältin der LGBTI-Hochburg San Francisco und von 2011 bis 2017 "Attorney General" von Kalifornien – mit dieser Position war sie sowohl Generalstaatsanwältin als auch Landesjustizministerin in Personalunion. Danach wurde sie mit deutlicher Mehrheit in den US-Senat gewählt.
Für Ehe für alle und gegen Proposition 8
LGBTI-Organisationen loben Harris für ihren Einsatz insbesondere für Homosexuellenrechte. Dieser begann schon zu Beginn ihrer Karriere als Bezirksstaatsanwältin 2004: Als der Bürgermeister von San Francisco, der heutige kalifornische Gouverneur Gavin Newsom, damals völlig überraschend die Ehe für Schwule und Lesben öffnete, gehörte sie zu seinen größten Unterstützerinnen und führte selbst Eheschließungen durch – diese wurden allerdings später annulliert (queer.de berichtete). Zu diesem Zeitpunkt hatte sich noch eine deutliche Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung gegen die Gleichbehandlung von Schwulen und Lesben im Ehe-Recht ausgesprochen.
Bei ihrer Kampagne zur "Attorney General"-Wahl stellte sie sich entschieden gegen "Proposition 8", also den Volksentscheid, der Schwulen und Lesben 2008 das Recht auf Eheschließung wieder entzogen hatte (queer.de berichtete). Sie versprach, dieses Ehe-Verbot als "Attorney General" nicht verteidigen zu wollen – anders als ihr homosexuellenfeindlicher republikanischer Herausforderer Steve Cooley, den sie bei der landesweiten Wahl nur knapp mit 0,8 Prozentpunkten Vorsprung besiegen konnte.
Fragwürdiger sind dagegen ihre Leistungen bei Transrechten: Als "Attorney General" setzte sie sich dafür ein, Gefängnisinsass*innen eine Geschlechtsanpassung grundsätzlich zu verweigern. Später sagte sie, sie habe lediglich ihre Pflicht als "Attorney General" ausgeführt und die kalifornische Strafvollzugsbehörde verteidigt. Letztes Jahr sagte sie in einem Interview zu dem Thema: "Als dieses Thema aufkam, hatte ich Klienten und eine davon war die Strafvollzugsbehörde. Das war ihre Richtlinie. Als ich gelernt habe, was da getan wurde, habe ich hinter den Kulissen interveniert und sie dazu gebracht, ihre Richtlinie zu ändern." Heute versichert Harris, dass sie sich voll und ganz für Transrechte einsetze.
"Erprobte Kämpferin für Gleichberechtigung"
LGBTI-Organisationen begrüßten die Wahl: "Senatorin Harris ist eine erprobte Kämpferin, um Gleichberechtigung, Sicherheit und Gerechtigkeit für alle zu erreichen", erklärte GLAAD-Präsidentin Sarah Kate Ellis. Damit sei sie die Antithese zum derzeitigen Vizepräsidenten Mike Pence. "Harris ist eine außergewöhnliche Wahl als Vizepräsidentin", ergänzte Alphonso David, der Chef der Human Rights Campaign. "Ihre gesamte bahnbrechende Karriere hindurch hat sie für LGBTQ-Rechte geworben und war an unserer Seite – auch als einige ihrer Parteifreunde gegen uns waren." Er spielt damit auf ihre Unterstützung für die Ehe für alle an, die 2004 selbst unter Demokraten nicht mehrheitsfähig war. Freilich war ihr Wahlkreis damals aber im LGBTI-freundlicheren Mikrokosmos San Francisco. Biden/Harris sei die LGBTI-freundlichste Wahlmöglichkeit in der US-Geschichte, so David.
Lob gab es auch von einigen Stars: Der schwule Eiskunstläufer Adam Rippon, der in der Vergangenheit den homophoben Vizepräsidenten Mike Pence scharf attackiert hatte, erklärte etwa, er könne es nicht mehr abwarten, für Biden/Harris zu stimmen. Die kalifornische Senatorin bezeichnete er in Großbuchstaben als "fantastisch".
Bereits im Vorfeld war bekannt geworden, dass eine Frau – im Rahmen der "Black Lives Matter"-Proteste bevorzugt eine "Woman of Color", also eine nichtweiße Frau – Bidens Vizeposten übernehmen solle. Harris ist dabei wegen ihrer gemäßigten Ansichten eine Wahl, die den Wahlkampf-Vorwürfen der Trump-Regierung, dass die Demokraten jetzt linksextremistisch seien, den Wind aus den Segeln nimmt. Hätte Biden Elizabeth Warren, die Lieblingskandidatin der Parteilinken, nominiert, wäre die Reaktion wohl schärfer gewesen. Trotzdem veröffentlichte US-Präsident Donald Trump sofort nach Harris' Nominierung ein Video, in dem die Senatorin als "radical left" diffamiert wird.

Harris ähnelt in ihren Ansichten denen von Biden und sorgte teilweise mit recht konservativen Vorschlägen zum Steuerrecht oder zur Krankenversicherung für Ablehnung unter linken Demokraten. Auch dass sie als "Attorney General" die Todesstrafe unterstützte, stößt vielen in ihrer Partei sauer auf. Das Biden-Team hofft mit dieser Wahl offenbar, auch moderate Republikaner auf seine Seite zu ziehen – und weist Linke in den eigenen Reihen darauf hin, dass bei einer Biden/Harris-Niederlage vier weitere Trump-Jahre drohten.
Die Präsidentenwahl findet am 3. November statt – in genau 83 Tagen.
Ich finde sie toll, die meisten Medienleute finden sie toll und sie ist auch eine in jeder Hinsicht tolle Person.
Trotzdem gieße ich hier mal Essig in den kalifornischen Wein:
Sie ist einerseits eine PoC, andererseits eine vollakademische Tochter von Vollakademiker*innen. Ihr Vater war sogar Prof an einer absoluten Elite-Uni.
Es ist also für das gegnerische Lager leider ziemlich leicht, bei nicht-privilegierten Arbeitslosen und Arbeitern (v.a. europäischer Herkunft, etwa im Rust Belt) Abneigungen gegen eine abgehobene klassistische Küsten-Elite und ihre Spleens zu wecken.
Na ja, Joe Biden hat ja auch einen gewissen Gewerktschafts-Touch. Hoffentlich hilft's.