(Bild: Screenshot Facebook)
Eine Woche nach der Festnahme von über 50 LGBTI in Warschau sind am Freitag erneut mehrere Aktivist*innen in der polnischen Hauptstadt binnen weniger Minuten festgenommen worden, als sie gegen einen homo- und transfeindlichen Hass-Bus protestierten.
Live-Video-Aufnahmen des queeren Aktivisten Bart Staszewski zeigen, wie die Aktivist*innen blockierend vor dem berüchtigten Bus einer Anti-Abtreibungs-Organisation stehen und mit der Polizei diskutieren. Die Aufnahmen zeigen den Bus, wie er beschmiert und offenbar mit Eiern beworfen worden war. Ob das im Zusammenhang mit dieser Blockade steht oder früher erfolgte, blieb zunächst offen.
Dann legten oder setzten sich einige Aktivist*innen vor und hinter den Bus, einige legten sich unter ihn. Dabei wurde auch ein Banner "ACAB" gezeigt. Binnen Minuten räumten Beamte die Personen zur Seite und nahmen einige von ihnen teils recht rau fest; sie wurden in Polizeibussen weggebracht. (Update: Späteren Berichten zufolge wurden zwei Personen festgenommen und später wieder freigelassen)
Ein in sozialen Netzwerken verbreitetes weiteres Video zeigt, wie der Busfahrer gegen Ende des Protests losfährt, obwohl sich wieder Leute dem Wagen in den Weg stellen. Polizisten zerren diese aus den Weg und winken dem Fahrer zu, er solle weiterfahren, anstatt in der gefährlichen Situation zunächst den Wagen zu stoppen. Schon während der Festnahme der Aktivist*innen wenige Momente zuvor auf der Rückseite des LKW hatte der Fahrer den Wagen zurückgesetzt.
Am Freitagmorgen war bereits ein Mann von der Polizei festgenommen worden, der an den Dienstsitz des Justizministers eine Regenbogenflagge angebracht hatte. Gegen den 34-Jährigen werde wegen der Verunglimpfung von Staatssymbolen weiter ermittelt, gab die Polizei später bekannt. Damit könnten ihm bis zu ein Jahr Haft drohen.
Blockade bereits am Mittwoch
Die Blockade am Freitag war nicht der erste Zwangshalt des Busses in dieser Woche. Bereits am Mittwoch hatten ihn mehrere Bürger spontan blockiert, indem sie einfach auf einem Zebrastreifen auf und ab gingen. Zugleich hatte ein junger Mann versucht, den Wagen mit Farbe zu besprühen.
Herbeigerufene Polizisten hatten den Mann sofort gestoppt und in ihren Streifenwagen gebracht, um seine Personalien aufzunehmen. Danach konnten er und alle weiteren Beteiligten wieder gehen, der Bus seine Fahrt fortsetzen. Dem jungen Mann könnte allerdings noch Ärger drohen: Der stellvertretende Justizminister Sebastian Kaleta (PiS) twitterte, bei dem "Hooligan" handle es sich um den gleichen Mann, der in der letzten Woche auf einen Polizeiwagen geklettert sei. Der Politiker nutzte das zur Stimmungsmache: "Für solche Hooligans lief die Opposition am Wochenende um die Polizeistationen herum und erzeugte ein Gefühl der Straflosigkeit. Es gibt keine Zustimmung zu Gewalt!"
Eine Woche nach der Verhaftung von Margot
Letzten Freitag hatte die Polizei der Hauptstadt fast 50 queere Aktivist*innen festgenommen und bis zum Samstag in mehreren Wachen festgehalten (queer.de berichtete). Die Festnahmen erfolgten im Laufe eines ganzen Abends und begannen, als die Aktivist*innen einen Polizeiwagen blockierten, in den hinein eine Mit-Aktivistin verhaftet worden war. Ein Gericht hatte zuvor eine zweimonatige Untersuchungshaft für die queerfeministische Aktivistin Malgorzata S. (Spitzname Margot) angeordnet. Die nicht-binäre Aktivistin, die weibliche Pronomen bevorzugt und von Justizminister Zbigniew Ziobro in den letzten Tagen durchgehend mit männlichen Vornamen und Begriffen wie "Bandit" belegt wurde, befindet sich inzwischen in einer Einzelzelle in einem auf Untersuchungshaft ausgelegten Gefängnis in der Stadt Plock.
S. wird vorgeworfen, Mitte Juni zusammen mit anderen Mitgliedern ihrer Gruppe "Stop Bzdurom" (Stoppt den Unsinn) eben jenen Hass-Bus nicht nur blockiert zu haben, sondern den Fahrer verletzt und den Wagen beschädigt zu haben; so wurden Reifen und Leinwand zerschnitten, der Spiegel zerbrochen, das Nummernschild abgelöst, die Rückfahrkamera beschädigt und das Fahrzeug mit Farbe beschmutzt (mehr im Vorbericht). Die Opposition, LGBTI-Aktivisten und auch der Anwaltsverband halten die Untersuchungshaft, die in der Regel nur bei schweren Verbrechen angeordnet wird, für unangemessen. Die Regierung und der Staatssender TVP nutzen Margot und die Ereignisse der letzten Woche hingegen für weitere Stimmungsmache auf dem Rücken von LGBTI. Die Polizei stellte einige Festgenommene vom letzten Wochenende in sozialen Netzwerken bloß und machte bei einigen von ihnen Medienberichten zufolge Hausbesuche und befragte Nachbarn zu ihrem Verhalten.
Der Hassbus blieb hingegen bislang unbehelligt. Im Rahmen einer irreführend "Stop Pedofilii" genannten Kampagne gehört er wie ähnlich krass-plakative Aktionen gegen Abtreibung und extremen Lautsprecherdurchsagen zur Organisation "Fundacja Pro" unter Mitwirkung des ultrakatholischen Instituts "Ordo Iuris". Bereits im letzten Jahr fuhr ein Bus der Organisation durch polnische Städte, um etwa am Rande von CSD-Veranstaltungen Unterschriften für einen Gesetzentwurf zum Verbot von Sexualkunde zu sammeln, den der Sejm in diesem Frühjahr in erster Lesung behandelte (queer.de berichtete). Zweck sei "Schutz der Kinder gegen sexuelle Gewalt durch LGBT-Aktivisten und Verhinderung der sexuellen Promiskuität junger Menschen", so die Organisation, die Homosexualität mit Pädophilie und Kindesmissbrauch gleichsetzt. "Sexualerziehung, bei der Kinder sexuell stimuliert und an Homosexualität gewöhnt werden", sei ein "Mittel der LGBT-Lobby für politische Zwecke".
Das Institut, in Deutschland mit der "Demo für alle" verbandelt, ist zunehmend politisch und juristisch aktiv, vertritt etwa Kommunen, die teilweise von "Ordo Iuris" vorbereitete Resolutionen gegen "LGBT-Ideologie" verabschiedeten, gegen Aktivist*innen, die das als "LGBT-freie Zone" zusammenfassen. Auch unterstützte Ordo Iuris etwa einen Ikea-Mitarbeiter, der wegen homofeindlicher Aussagen gefeuert wurde. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen eine Personalleiterin des Konzerns, weil sie die Religionsfreiheit des Mannes verletzt habe (queer.de berichtete).
Eine frühere Version des Busses im letzten Jahr, eine Art kreuz.net auf Rädern
In den letzten Monaten war der Hassbus schon mehrfach durch von der Dauerbeschallung entnervte Bürger mit einer friedlichen Autoblockade gestoppt worden (1, 2). Strafanzeigen und ein erstes Gerichtsverfahren gegen ihn führten zu nichts.
Neuer LKW trollt Hass-Bus
Seit Donnerstag gibt es allerdings eine neue Gegenwehr: Der Youtuber, Komiker und Publizist Krzysztof Gonciarz hat einen eigenen LKW angemietet, der den Hass-Bus begleitet und mit ironischen Botschaften trollt. "Jeder kann sich einen LKW mieten und damit Unsinn verbreiten", heißt es auf einem Transparent. "Ich kann nicht glauben, dass das legal ist."
Auch macht sich der Bus über die absurden Aussagen der Gegenseite zu Sexualaufklärung lustig. Die Hassbus-Botschaft, die "LGBT-Lobby" wolle Vierjährigen Masturbation beibringen, wird etwa mit der Aussage gekontert, Busse wollten Vierjährigen beibringen, ihr Essen auszuspucken. Eine auf dem LKW angebrachte Webadresse bringt weitere humorvolle Gegenrede gegen den Bus.
"Wir haben uns diese Aktion vor ein paar Tagen ausgedacht", so Gonciarz gegenüber queer.pl. "Wir wollten etwas tun, das die Leute amüsiert und auf das Problem der Anti-LGBT-LKW aufmerksam macht, aber dem Feuer keinen Treibstoff hinzufügt. Die Aktion ist eine Comedy-Performance, aber das Ziel ist natürlich, die bekannten LKW von den Straßen Warschaus loszuwerden." Die Passanten auf der Straße reagierten mit Lächeln und Applaus. "Man merkt, dass die Leute die aggressiven Botschaften im öffentlichen Raum satt haben." (nb)