Eindrücke vom Montag, die bereits ohne Ton verängstigen (Bild: Screenshot, Twitter)
Dutzende bis hunderte Hooligans haben am Montag einen queeren Protest in der polnischen Stadt Sosnowiec gestört. Die kleine und vorab angekündigte Kundgebung sollte Solidarität mit der Warschauer LGBTI-Aktivistin Margot S. ausdrücken, die derzeit in Untersuchungshaft sitzt.
Doch die Veranstaltung von vielleicht 30 Personen in einem tiefergelegten Teil der Innenstadt der 200.000-Einwohner-Stadt rund zehn Kilometer östlich von Kattowitz wurde übertönt von den größtenteils jungen Gegendemonstrant*innen, die sich an allen Ecken oberhalb des Beckens versammelten.
Sie schrieen als Gruppe oder über ein Megaphon "Keine Schwuchteln" oder stimmten einen populären homofeindlichen Sprechgesang zur Melodie von "Go West" an.
Die offenbar vorbereiteten und zum Protest verabredeten Hooligans entrollten auch Transparente mit Aufschriften wie "LGBT-freies Zaglebie" (Kohlebecken, so der gekürzte Name der Region) oder "Sosnowiec verteidigt die Normalität" und warfen laut einem Bericht einer Kattowitzer Regionalzeitung vereinzelt Eier auf die Teilnehmenden unter sich, laut dem Lokalradio auch Bierdosen.
Die offenbar nicht auf die Anzahl der Gegendemonstration vorbereitete Polizei schützte den queeren Protest rudimentär mit Schilden und Hunden und geleitete die Teilnehmenden schließlich sicher aus der Gefahrenzone. "Wäre nicht die Polizei gewesen, hätte es heute ein Pogrom bei unserem Protest gegen den Hass gegeben", schrieb später ein Teilnehmer bei Facebook. "In Polen mitten in Europa." Und dennoch sei die einzige Schlussfolgerung, sich nicht entmutigen zu lassen und weiter zu kämpfen: "Hass kann beseitigt werden."
Weltstars prangern homofeindliche Regierung an
Dutzende internationale Schriftsteller*innen und Filmschaffende haben derweil der polnischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) in einem offenen Brief die Billigung von Homo- und Transfeindlichkeit vorgeworfen. Der spanische Regisseur Pedro Almodóvar, die kanadische Autorin Margaret Atwood und zahlreiche weitere Weltstars erklärten sich am Montag in einem Schreiben an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen solidarisch mit Aktivist*innen und ihren Verbündeten, "die festgenommen, brutal behandelt und eingeschüchtert werden".
Angriffe gegen LGBT nähmen in Polen zu, "weil sie von der Regierungspartei geduldet werden, die sexuelle Minderheiten zum Sündenbock macht, ohne Rücksicht auf die Sicherheit und das Wohlergehen von Bürgern", heißt es. "Wir fordern die Europäische Kommission auf, unverzüglich Maßnahmen zur Verteidigung der europäischen Grundwerte zu ergreifen – Gleichheit, Nichtdiskriminierung, Achtung der Minderheiten -, die in Polen offenkundig verletzt werden. LGBT+-Rechte sind Menschenrechte und müssen als solche verteidigt werden."
Der Brief, der als Online-Petition jeder Person zur Unterzeichnung offen steht, wurde in der polnischen Zeitung "Gazeta Wyborcza", der französischen "Le Monde" und anderen Zeitungen veröffentlicht und unter anderem von Schriftstellern wie Paul Auster, J.M. Coetzee, Ian McEwan und Leila Slimani sowie den Schauspielern Ed Harris und James Norton unterschrieben. Aus Deutschland sind unter anderem der Schauspieler Ulrich Matthes und der Regisseur Volker Schlöndorff dabei.
Der Brief bezieht sich vor allem auf die Festnahme von fast 50 Personen am 7. August in Warschau, die spontan gegen die Verhaftung der nicht-binären LGBTI-Aktivistin Margot S. protestiert hatten (queer.de berichtete). Sie muss nach einer Gerichtsentscheidung für zwei Monate in Untersuchungshaft, nachdem sie mit anderen Personen wenige Wochen zuvor einen LKW mit homo- und transfeindlichen Sprüchen gestoppt haben soll. Ihr werden gemeinschaftliche schwere Sachbeschädigung sowie Körperverletzung vorgeworfen.
Margot sei eine "politische Gefangene, die gefangen gehalten wird, weil sie sich weigert, Entwürdigung zu akzeptieren", heißt es in dem Brief. Die polnische Regierung müsse ihr Vorgehen gegen sexuelle Minderheiten beenden und dürfe nicht länger Gruppen unterstützen, die Homophobie verbreiteten. Die Verantwortlichen für die "unrechtmäßigen und gewaltsamen Festnahmen" am 7. August müssten zur Rechenschaft gezogen werden.
Polizei zieht Hass-Bus aus dem Verkehr
Erst am Sonntag hatten hunderte Nationalist*innen in Warschau gegen LGBTI protestiert – hunderte LGBTI hielten auf der anderen Straßenseite dagegen (queer.de berichtete). Am Freitag waren bei einer weiteren Konfrontation mit dem Hass-Bus zwei Aktivistinnen zeitweilig festgenommen worden (queer.de berichtete). Trotz diverser Strafanzeigen war der Bus einer in Politik und Justiz an Einfluss gewinnenden Anti-Abtreibungs-Organisation wochenlang ungestört durch Warschau gefahren, teilweise unter Polizeischutz.
Ab diesen Montag sollte der Bus durch die Straßen von Posen (Poznan) fahren – die Polizei nahm ihn allerdings durch Beschlagnahmung aus dem Verkehr. Als Grund wurde offiziell ein fehlendes Nummernschild sowie ein kaputter Scheinwerfer angegeben. Nach einer Beseitigung der Probleme könne der Bus weiterfahren, sagte ein Polizeisprecher. Berichten zufolge ist dem Bus allerdings auch die Nutzung der Lautsprecher untersagt – in Warschau hatte er über diese nonstop seine hasserfüllten Botschaften verbreitet. (nb/afp)
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